"UNO - schickt uns Eure Truppen"

von Christine Schweitzer
Hintergrund
Hintergrund

Es gibt in der jüngeren Geschichte - sieht man von der Besetzung Kuwaits durch den Irak ab - nur wenige Beispiele von Kriegen, in die sich das Ausland so intensiv eingemischt hätte wie den Krieg in Jugoslawien. Dabei zeigte es bis zum Ausbruch der bewaffneten Auseinandersetzungen nur wenig Interesse an den Vorgängen in diesem Land.

Der Westen unterstützte seit dem Bruch Titos mit Stalin 1948 Jugoslawien; versperrte dieses doch der Sowjetunion den Zugang zum Mittelmeer. Die Zunahme innerer Spannungen wurde mit weiterer wirtschaftlicher und politischer Unterstützung der Belgrader Zentralregierung gekontert, wohl in der Hoffnung, daß diese dann schon die Unzufriedenheit in den Republiken würde lenken können. Hierin war man sich einig mit der Sowjetunion, für die nach dem Tode Stalins Jugoslawien nicht nur ein wichtiger Handelspartner, sondern als Führer der Blockfreienbewegung auch ein wichtiger politischer Partner geworden war. Viele Länder, in West wie Ost, fürchteten darüber hinaus, daß eine Auflösung Jugoslawiens einen gefährlichen Präzedenzfall für das eigene multi-nationale Land schaffen könnte.

Die fünf Fehler der Europäer
Noch zwei Tage vor der Unabhängigkeitserklärung von Kroatien und Slowenien am 26. Juni 1991 wurde Belgrad von der EG ein 1,5 Milliarden DM - Kredit zugesprochen. (Er wurde eine Woche später allerdings eingefroren.) Die USA versuchten es in letzter Minute mit politischem Druck: US-Außenminister Baker reiste am 21.6. nach Belgrad und erklärte dort gegenüber der Presse, sein Land lehne alle einseitigen Maßnahmen ab und werde die Separatisten nicht anerkennen. Die Haltung der EG und der Besuch Bakers sind im Nachhinein öfters als Ermutigung der Zentralregierung zu militärischem Eingreifen verstanden worden. Wenngleich weder Washington noch Brüssel es so gemeint hatten - das Festhalten an der Einheit Jugoslawiens bis in die letzte Sekunde kann als der erste große Fehler der Europäer angesehen werden.

Nach der Intervention der Bundesarmee in Slowenien und später angesichts der Kämpfe in Kroatien begannen einige EG-Staaten, mit Deutschland als treibender Kraft, die Anerkennung der beiden Republiken für den Fall in Aussicht zu stellen, daß die Auseinandersetzungen nicht beendet würden. Diese politische Kehrtwendung war gemeint als Drohung an die jugoslawische Bundes-regierung. Für Slowenien und Kroatien hörte sie sich eher wie ein Versprechen an. Ohne die Hauptschuld an diesem Krieg in Frage zu stellen - Kroatien hat, zumindest anfänglich, auch Krieg geführt, um die Anerkennung zu erlangen.

Freilich hatte es, als es einmal zum Krieg gekommen war, wenig Alternativen. Das Ausland hatte ja gerade demonstriert, daß es sich erst dann einmischt, wenn geschossen wird. Kroatien hätte - sofern solche Überlegungen überhaupt angestellt wurden - allen Grund gehabt zu fürchten, daß im Falle seiner Kapitulation außer einigen kurzfristigen Protestnoten nichts weiter erfolgt wäre. Und für einen gewaltfreien Widerstand (Soziale Verteidigung), der theoretisch die Chance geboten hätte, beide Übel zu vermeiden, fehlten anscheinend die Voraussetzungen. Keine Krisenprävention zu treiben und Unrecht solange hinzunehmen, wie es sich nicht durch offene Gewalt manifestiert, sind keine Fehler, die nur in diesem Falle begangen wurden, sondern eher Strukturmerkmale internationaler Politik, deren Vermeidung vielleicht schon einer großen Anzahl von Menschen das Leben gerettet hätte.

Der vierte Fehler der EG war -und ist?-, zu viel auf einmal erreichen zu wollen. Es wurden im Laufe der Vermittlungsbemühungen zwischen August und Dezember immer wieder Waffenstillstandsbedingungen und Vorschläge für eine zukünftige Ordnung Jugoslawiens miteinander vermischt. Viel vernünftiger wäre gewesen, zunächst einmal einen Waffenstillstand auszuhandeln und dann mit den Friedensverhandlungen zu beginnen, dabei signalisierend, daß genügend Zeit vorhanden ist, alles zu besprechen, was irgendeine der Seiten auf den Tisch bringen will. Solange Krieg geführt wird, besteht nicht nur ein ungeheurer Zeitdruck für alle Seiten, sondern es fehlt i.d.R. auch die Bereitschaft, auf die andere Seite zuzugehen und deren berechtigte Interessen anzuerkennen, was die Voraussetzung für einen stabilen Frieden ist.

Das letzte große Problem der EG war, daß sie von serbischer Seite schon ziemlich schnell nicht mehr als neutral angesehen wurde. Dies ist vor allem auch der Haltung Deutschlands zu verdanken, das immer wieder mit scharfer Kritik an Serbien und Vorschlägen, Kroatien anzuerkennen, in die europäische Debatte eingriff und dabei sogar Konflikte mit seinen Partnern in der EG riskierte. Die Frage hier ist nicht, ob die deutsche Position die dem Konflikt angemessenere war, sondern daß eine solche Position als Parteinahme gewertet werden mußte. Als dann im November gegen Serbien Sanktionen verhängt und angekündigt wurde, alle Republiken anzuerkennen, die dies wünschten, mußte sich die serbische Seite an die Wand gedrängt fühlen. Ein Geheimnis erfolgreicher Vermittlung demgegenüber ist gerade, beiden Seiten zu ermöglichen, das Gesicht zu wahren.

Hat die EG sich lächerlich gemacht?
Die Berliner "tageszeitung", das selbsternannte Sprachrohr der deutschen Alternativszene, hat damit begonnen, viele Menschen denken ähnlich: Die EG habe total versagt, sie habe sich mit ihren Vermittlungsversuchen lächerlich gemacht (taz-Überschrift: "EG droht Serbien mit Dauerdebatte"). Sicher ist, daß die EG viele Fehler gemacht hat und sicher ist auch, daß ihre zahlreichen Bemühungen keinen Erfolg gebracht haben. Aber hat sie sich deshalb lächerlich gemacht? Lassen wir die Ereignisse kurz Revue passieren: Im Slowenienkrieg wird die sog. "Troika" aus Vertretern des ehemaligen, gegenwärtigen und zukünftigen EG-Vorsitzenden losgeschickt, der es nach zwei Anläufen gelingt, das Abkommen von Brioni zu vermitteln. (In Brioni wurde ein Waffenstillstand, das dreimonatige Aussetzen der Unabhängigkeitserklärungen und die Entsendung von EG-Beobachtern vereinbart.) Anfang August wird die Beobachtertätigkeit auch auf Kroatien ausgeweitet. Diese beobachten allerdings überwiegend Krieg anstelle von Waffenstillständen, wenngleich sie gelegentlich auf lokaler Ebene, etwa bei der Evakuierung von Kasernen, gute Dienste leisten können, und werden von der kroatischen Bevölkerung bald despektierlich wegen ihrer weißen Kleidung "Eismänner" genannt. Es folgt eine Reihe von Vermittlungsbemühungen mit Waffenstillstandsvereinbarungen, die nie in Kraft treten oder nach kurzer Zeit wieder gebrochen werden. Am 7. September wird trotz andauernder Kämpfe die Friedenskonferenz in Den Haag eröffnet, die nach mehreren Runden im November vorläufig ausgesetzt wird, inzwischen aber weitergeht.

Immerhin haben die Bemühungen der EG erreicht, daß die Kommunikation zwischen den Konfliktparteien nie ganz abgebrochen ist. Und sie hat das getan, was im bzw. vor dem Golfkrieg so dringend erforderlich gewesen wäre, damals aber nicht geschah, nämlich versucht, einen Konflikt auf diplomatischem Weg zu lösen. Meines Ermessens sollte dies, bei aller berechtigter Kritik an der EG, anerkannt werden.

Fehlstart der KSZE
Die KSZE spielte hingegen bislang kaum eine Rolle in diesem Konflikt. Gerade zwei Wochen vor der Intervention in Slowenien war ihr neuer Krisenmechanismus vereinbart worden, der dann von Österreich auch sofort in Gang gesetzt wurde. Doch delegierte sie die Aufgabe, zu vermitteln, sofort an die EG. Auch bei späteren Krisensitzungen waren außer Appellen keine Ergebnisse zu verzeichnen; mit einer Ausnahme, der Entsendung eigener Beobachter, die Ende Oktober vereinbart wurde. Alles in allem kein guter Start der KSZE in die Zeit nach dem Kalten Krieg.

"UNO- schickt uns Eure Truppen"
ist der Text eines Transparents auf dem größten Platz in Zagreb. Die meisten Menschen in Kroatien sahen von Anfang an die einzige Lösung ihres Problems im Eingreifen ausländischer Truppen. Dabei war von kroatischer Seite keineswegs nur an "Blauhelme" gedacht, sondern an Interventionstruppen, die den "Frieden schaffen" sollten. In Westeuropa, wo ebenfalls sofort eine Diskussion über den Einsatz von Militär begann, war hingegen sehr schnell klar, daß nur "friedenssichernde" Einheiten, also "Blauhelme", in Frage kämen. Eine "friedensschaffende" Truppe würde - und das wurde in Großbritannien am deutlichsten gesehen - nur eine weitere bewaffnete Armee zu den ca. 20, die derzeit schon in Kroatien kämpfen, darstellen. Wiederum waren es Deutschland und Frankreich, die diese Diskussion vorantrieben, in deren Verlauf neben UNO-"Blauhelmen" auch die Aufstellung von "Blauhelm"-Einheiten durch die Westeuropäische Union oder die Europäische Gemeinschaft angedacht wurde. In Deutschland war dies sicherlich mit dem Wunsch gekoppelt zu sehen, die Akzeptanz von "Blauhelmeinsätzen" unter deutscher Beteiligung auf diese Weise zu stärken und beide Länder sind am Aufbau europäischer Streitkräfte interessiert.

Bekanntlich ist es zur Jahreswende dem UNO-Sonderbeauftragen Cyrus Vance nach mehreren Reisen und vergeblichen Verhandlungen gelungen, die kroatische und serbische Regierung zur Zustimmung zur Stationierung von 10.000 UNO-"Blauhelmen" zu bewegen, die zehn bis fünfzehn Jahre bleiben und sich sowohl an der Grenze Kroatiens wie in den Krisengebieten aufhalten sollen. Die Zustimmung der Serben in den Regionen Kroatiens, aus denen die Bundesarmee abziehen und UNO-Truppen Platz machen soll, steht bei der Abfassung dieses Artikels allerdings noch aus.

Angenommen, diese Vereinbarung hält im Unterschied zu allen früheren Waffenstillständen und ist nicht nur auf das Winterwetter, das serbische Weihnachtsfest am 6./7. Januar und die Not-wendigkeit einer militärischen Atempause zurückzuführen, dann müßte natürlich gefragt werden, warum Vance dort erfolgreich war, wo seine Vorgänger versagten.

Das erste und augenfälligste ist natürlich die simple Tatsache, daß es ein anderer Vermittler ist. Die UNO ist, da sie sich bislang weniger eingemischt hat, unbelasteter als die EG. (In Kroatien hatte sie sich nur einmal unbeliebt gemacht, als der Sicherheitsrat am 25.9. ein Waffenembargo gegen alle Seiten beschlossen hatte, das Kroatien härter traf als die gut ausgerüstete Bundesarmee.)

Das zweite wichtige Merkmal der jetzt getroffenen Vereinbarungen ist, daß beide Seiten sie ein Stück weit für sich als positiv interpretieren können. Die Sonderbehandlung der serbischen Siedlungsgebiete verspricht Serbien den Schutz seiner BürgerInnen, was ursprünglich vielleicht nicht, nach diesem Krieg aber sicher notwendig ist. Außerdem läßt es die Hoffnung bestehen, daß diese Gebiete doch noch zu Serbien geschlagen werden. Kroatien begrüßt den Rückzug der Bundesarmee und damit das Ende des Krieges bei Bewahrung seiner ursprünglichen Grenzen.

Die vielfältigen Probleme in Kroatien bleiben allerdings, auch wenn der Waffenstillstand eingehalten wird, bestehen. Eine Einigung über die Zukunft Slawoniens und der Krajina ist derzeit noch genauso weit weg wie die Bosnien-Herzegowinas und der anderen Konflikte im ehemaligen Jugoslawien. Der Kosovo und die Vojvodina wurden gerade gegen den Willen ihrer Bevölkerungsmehrheit in ein sog. "neues Jugoslawien" unter serbischer Vorherrschaft gezwungen. Die Konflikte in Jugoslawien werden uns noch lange beschäftigen, wenn den Menschen vor Ort und den anderen EuropäerInnen nichts Besseres und nicht mehr als die Entsendung von Truppen einfällt.

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Christine Schweitzer ist Co-Geschäftsführerin beim Bund für Soziale Verteidigung und Redakteurin des Friedensforums.