Tacheles am 29. Mai 2003 auf dem ökumenischen Kirchentag in Berlin

Unsere dunklen Seiten in den Medien. Bilder des Krieges, Krieg der Bilder

Unsere dunklen Seiten in den Medien. Bilder des Krieges, Krieg der Bilder

Bei kaum einem bewaffneten Konflikt waren Reporter so nah dran wie im Irak-Krieg - und doch ist die Skepsis groß, wie authentisch Journalisten berichten konnten. Umstritten ist besonders die Rolle der "eingebetteten Journalisten", die mit den Truppen reisten. Ist Gewalt ein Mittel, um aufzurütteln, sei es in der politischen Berichterstattung oder auch im Unterhaltungsprogramm? Was bewirken die Bilder von der Front - wird der Krieg zunehmend zum Medienhappening?

Die Debatte am roten Tisch
Golfkriegsveteran Steven Kuhn und Bischof Peter Steinacker, die Kriegsberichterstatterin Livia Klingl und US-Journalist Don Jordan, Tatort-Kommissar Peter Sodann und Gewaltforscher Christian Pfeiffer diskutierten bei Tacheles auf dem Ökumenischen Kirchentag in Berlin über unsere dunklen Seiten in den Medien, ob Journalisten ein Segen sein können und ob die Bibel wegen ihrer Gewaltszenen auf den Index gehört.

Tacheles: Sie waren US-Soldat am Golf, damals, als der irakische Diktator Saddam Hussein Kuwait überfallen hatte. Wie war Ihr Gefühl dabei?

Steven Kuhn: Man ist vollgepumpt mit Adrenalin. Man ist total aufgeputscht, wenn man über die Grenze geht. Man hat Bilder im Kopf, jetzt geht es los. Ich bin Teil der mächtigsten Armee der Welt, wir machen das, wir befreien Kuwait und machen Saddam fertig. Das ist berauschend.

Tacheles: Sie haben während ihres Einsatzes mit der Videokamera privat gefilmt - warum?

Steven Kuhn: Ich wollte einfach eine Erinnerung mitnehmen. Ich hatte nie gedacht, dass ich in Kampfhandlungen verwickelt werde. Aber dann ist die Kamera zu einem Freund für mich geworden. Ich habe mit der Kamera gesprochen, wie zu einem Menschen. Ich hatte niemand, mit dem ich reden konnte, und die Kamera war mein Kumpel. Ich habe ihr gleichsam meine Ängste erzählt, wo wir sind, was wir machen.

Tacheles: Hatten Sie keine Skrupel, man filmt Raketen, schießende Panzer und Explosionen und ahnt, bei jedem Lichtblitz sterben Menschen?

Steven Kuhn: Skrupel hatte ich keine. Weil man es nicht direkt anschaut, sondern durch eine Linse blickt. Das war mein Weg, mich von der Realität des Krieges zu entfernen. Alles war wirklich und auch wieder nicht. Ich versuchte, nicht an den Tod zu denken. Ich dachte nur noch daran zu überleben. An nichts anderes.

Tacheles: Was sind Ihre Bilder des Golfkriegs?

Livia Klingl: Am schlimmsten fand ich bei diesem Krieg am Tag vor seinem Ausbruch die Leni Riefenstahl-artigen Bilder von Waffen, Soldaten und Flugzeugträgern im Abendrot. Unter den Hunderten von Bildern, die die Agenturen täglich anbieten, gab es zu dieser Zeit keine Aufnahmen von Kindern in Hospitälern, dabei hatten die Kinder auf Grund des Embargos seit zwölf Jahren gelitten. Sondern man zeigte in perverser Ästhetik romantisch Waffen. Schaurig fand ich das Bild des Kindes, das beide Arme verloren hatte und am Oberkörper verbrannt war. Wie von einer bösen Propagandaagentur wurde die Botschaft umgedreht. Es war kein armes Kind, weil Leute Krieg geführt hatten, der völkerrechtlich fragwürdig ist, freundlich ausgedrückt, sondern es wurde sehr schnell instrumentalisiert, man wollte diesem Kind helfen, man hat sich auf dieses Kind gestürzt und es ausgeflogen. Hunderte, denen es um kein Haar besser ging, wurden natürlich nicht ausgeflogen. Über andere wird nicht berichtet.

Peter Steinacker: Was mich bewegt hat, ist das Bild dieses Kindes. Und schließlich diese Bilder von Raketen auf Bagdad, wo man das Gefühl hatte, das ist ein grandioses Feuerwerk, aber nie gesehen hat, dass in diesem Feuer Menschen verbrannt sind. Das hat mich geärgert.

Don Jordan: Krieg ist furchtbar, aber manchmal leider Gottes notwendig. Aber wenn der Bischof davon spricht, jemanden niederzupowern, das ist etwas einfach. Man muss auch über die Gründe eines Krieges sprechen, und dabei stellt man fest, dass es manchmal keine andere Möglichkeit gibt, Menschen zu helfen.

Tacheles: Was war Ihr Bild dieses Krieges?

Peter Sodann: Ich muss ehrlich sagen, dass ich mir die Bilder dieses Krieges kaum angesehen habe. Ich kenne noch die Bilder vom Zweiten Weltkrieg. Drei Bilder sind für mich entscheidend. Das war das Feuerwerk über Dresden, das manche aus der Ferne bestaunt haben, aber darin sind Tausende gestorben. Das zweite Bild ist, wie Pfarrer Leuner kam und meiner Mutter die Nachricht vom Tod meines Vaters überbrachte. Und das dritte Bild ist, von meinen Freunden kamen die Väter aus dem Krieg wieder. Und meiner nicht. Und da beginnt man nachzudenken, und seitdem bin ich Pazifist.

Tacheles: In diesem letzten Irak-Krieg gab es so genannte eingebettete Journalisten, die berichten sollten, was tatsächlich an der Front geschieht. Was halten Sie davon?

Livia Klingl: Ich halte dies für das Gegenteil von dem, was Journalismus bedeutet, nämlich einen gewissen Abstand zum Objekt der Berichterstattung zu wahren. Wenn man in einem Panzer sitzt, ist das wie in einer Konservendose, darin stinkt es bestialisch, man teilt die schlechte Luft, man teilt die Angst, man teilt die Langeweile, man teilt alles, was jene erleben, über die man distanziert berichten sollte. Das ist der totale Widerspruch. Dennoch passierte etwas, was das Pentagon wohl nicht wollte, manchmal sind über die eingebetteten Journalisten Aussagen gekommen, was Krieg tatsächlich bedeutet. Da sind Soldaten, auch hochrangige, zu Wort gekommen mit Formulierungen wie, wer sagt, er habe keine Angst, ist ein Idiot. Unabsichtlich wurde nicht nur das Heldentum transportiert.

Ein CNN-Journalist hatte als eingebetteter Reporter beobachtet, wie Soldaten einen Leichnam begruben. Er war ganz gerührt, dass dieses Lebewesen, er sprach von einem Nichtkombattanten, den dortigen Gewohnheiten entsprechend mit dem Kopf nach Mekka begraben wurde. Dieser Nichtkombattant war ein Sechsjähriger, der den Soldaten schlicht vor den Panzer gerannt war. Daran sieht man, wie degoutant Berichterstattung wird, wenn man sie so betreibt, und wie furchtbar Krieg ist, er tötet.

Tacheles: Was halten Sie von den eingebetteten Journalisten?

Don Jordan: Es hat sein Für und Wider. Noch nie ist so ausführlich vom Krieg berichtet worden, auch mit allen schrecklichen Aspekten. Auf der anderen Seite besteht die Gefahr, dass sich die Journalisten mit der Seite solidarisieren, in die sie eingebettet sind. In Amerika hatte der Sender, der am patriotischsten berichtete, die höchsten Einschaltquoten. Aber nur rund 500 waren eingebettet, 1500 Journalisten waren es nicht, und auch was diese berichteten, war schlimm genug. Aber die eingebetteten Journalisten haben auch gezeigt, wie schlimm Krieg für die Soldaten selber ist. Sie erhielten zwar Regeln vom Militär, aber nur wenige Beschränkungen, das muss man anerkennen.

Livia Klingl: Die eingebetteten Journalisten wurden sehr genau nach ihrer Einstellung ausgewählt.

Don Jordan: In Amerika erkennen Sie die Einstellung eines Journalisten nicht so leicht wie in Deutschland. So einfach ist das nicht! (...)

Tacheles: Herr Kuhn, Sie haben im vorigen Golfkrieg mitgekämpft, wie haben Sie denn die Berichterstattung über den jüngsten Irak-Krieg erlebt?

Steven Kuhn: Das war wie ein Film von mir selbst. Ich kam gar nicht mehr weg vom Fernseher. Nicht weil ich fasziniert war, sondern ich habe nach meinen eigenen Erinnerungen gesucht. Als es anfing, saß ich im Studio bei Johannes B. Kerner und sah im Fernsehen, wie Bagdad bombardiert wurde. Ich habe geweint. Alles kam wieder, als hätte jemand meine Psyche geöffnet, es kam auf mich zu wie eine Welle.

Peter Sodann: Ich wollte, dass der Golfkrieg so schnell wie möglich zu Ende geht. Vorbeugen ist besser als heulen. Aber die Vorbeugung gegen diesen Krieg war zu schwach. Wenn amerikanische Soldaten in Interviews gesagt haben, das sei ihr Job, habe ich gedacht, das ist doch keine Arbeit. Das ist kein Job, das ist ein Verbrechen.

Tacheles: Auch die Journalisten haben ihren Job gemacht, wie sie sagen, wo ist da die Grenze?

Peter Sodann: Sie haben die Pflicht, vernünftig gegen den Krieg zu berichten und nicht für den Krieg. Ein Journalist ist für mich ein Humanist, der die Geschichte der Völker aufschreibt. Und dann verstehe ich nicht, wenn er mit seinen Berichten den Krieg verherrlicht.

Tacheles: Da gab es etwa das Bild eines amerikanischen Soldaten, der von einem Iraker geküsst wird, und das schon erwähnte Bild von Ali, dem Jungen, der beide Arme verlor und schwere Brandwunden davontrug. Was davon ist Ihr Bild des Krieges?

Don Jordan: Beide haben ihre Berechtigung. Aber Journalisten dürfen eben nicht nur berichten, um Krieg zu verdammen, oder auch zu verherrlichen. Ich bin gegen beides. Ein Journalist muss zeigen, wie es ist. Es gab leider Gottes in diesem die Alis, aber es gab auch dankbare Irakis, die befreit worden sind.

Peter Sodann: Das Bild des verwundeten Jungen Ali im Krankenbett soll doch wohl auch zeigen, dem Jungen kann geholfen werden. Aber das geht nicht. Er hat keine Arme mehr, er hat keine Chance mehr, ein würdevolles Leben zu führen.

Peter Steinacker: Dass Saddam Hussein entmachtet ist, darüber kann man ja nur froh sein. Aber das heißt nicht, dass der Krieg im Nachhinein gerechtfertigt ist. Die Gründe waren überhaupt nicht überzeugend. Bilder wie das des geküssten US-Soldaten werden doch dafür genutzt für die Rechtfertigung eines Krieges, für die Präsident Bush die Gründe gewechselt hat wie die Hemden.

Don Jordan: Sie können doch nicht Journalisten vorwerfen, was die Menschen denken. Ein Journalist, der in diesem Bereich arbeitet, muss berichten, was aus dem Weißen Haus verlautbart wird. Das kann er nicht kommentieren und als unglaubwürdig verdammen. Er muss darüber berichten, was die Politik hergibt. Wenn die Mehrzahl der US-Bürger glaubte, Saddam Hussein sei an den Attentaten des 11. September Schuld, dann liegt das nicht an den Journalisten, sondern an den Äußerungen aus der Politik. 51 Prozent der deutschen Bevölkerung hat am Wahltag, dem 22. September, auch geglaubt, es gebe keine Steuererhöhungen. Genau so naiv!

Christian Pfeiffer: Journalisten haben immer noch die Pflicht, kritisch zu kommentieren, was Politiker sagen, und das scheint nicht genügend zu laufen. Es muss einen doch entsetzen, dass auf die Frage, wer sind die Feinde Amerikas, an dritter Stelle heute Frankreich genannt wird - als Folge der einseitigen Berichterstattung. Es muss einen doch entsetzen, dass Gastwirte französischen Rotwein in die Gosse gekippt haben, um ihre Abscheu vor dieser Nation zu zeigen. Alles Ergebnisse einseitiger Berichterstattung.

Don Jordan: Vielleicht ist das eher das Ergebnis französischer Politik, kann doch auch sein! Nicht der Berichterstattung.

Christian Pfeiffer: Ich bin ein Fan von Kriminalromanen. Da ist mir ein Wandel in den USA aufgefallen. Bei den Bestsellerromanen nach dem 11. September werden die Bösewichte so beschrieben, dass sie schon in der Kindheit den Katzen die Schwänze abschneiden, Dämonen, die zielstrebig zu Verbrechern werden, und am Ende werden sie nicht der Justiz übergeben, sondern der Held des Kriminalromans erschießt sie persönlich. Die Todesstrafe wird vorweggenommen, die Vernichtung des Bösen ist die Botschaft der amerikanischen Bestsellerkrimis, während bei uns Donna Leon und Henning Mankell vorne stehen, die differenzierte Bilder des Bösen und der Kriminalität bringen. Die Amerikaner geraten immer mehr in die Sackgasse, weiß und schwarz, gut und böse zu definieren.

Don Jordan: Aber die Europäer geraten in die Sackgasse, wegzuschauen und alles zu tolerieren.

Steven Kuhn: Ich traue jedem zu, sich selber eine Meinung zu bilden. Ich darf nicht alles glauben, was ich sehe, und muss mir über verschiedene Quellen ein Urteil bilden. Wir Amerikaner wollen glauben, dass wir etwas Gutes tun. Mir als Soldat wurde immer gesagt, Steven, du gehst da rüber, um die Freiheit zu verteidigen. Wir wurden als Helfer herübergeschickt, daran glauben viele Amerikaner. (...)

Christian Pfeiffer: Wir sehen, wie wichtig politische Interessen in der Berichterstattung werden. Während im Irak alle Kameras eingeschaltet waren, waren im Kongo alle Kameras ausgeschaltet. Zehntausende sind dort gestorben. Warum ist das so? Vielleicht weil der Kongo kein Öl und keine Gasvorkommen hat. Da entsteht ganz schnell eine Mentalität, sollen sie sich im Kongo doch umbringen, es interessiert uns nicht. Wo richten wir unsere Kameras hin? Warum verschweigen wir einen entsetzlichen Krieg, in dem Zwölfjährige zu Kindersoldaten, zu Kriegsmonstern aufgestachelt werden? (...)

Der Text wurde von der Redaktion stark gekürzt. Der vollständige Text ist unter: http://www.tacheles.net/archiv.php?id=22 abrufbar

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