UNTAES - Eine Erfolgsstory im ehemaligen Jugoslawien?

von Pete Hämmerle

Die Übergangsverwaltung der Vereinten Nationen für Ostslawonien, Baranja und Westsirmien (UNTAES) gilt allgemein als Erfolgsgeschichte der „Internationalen Gemeinschaft“ in einer Region, in der sie sonst eher mit gescheiterten Missionen und massiver Kritik konfrontiert war. Warum ist das so, und wie lässt sich diese Periode der friedlichen Wiedereingliederung der Region in den kroatischen Staat bewerten?

Der historische Hintergrund
Diese Region im Osten Kroatiens mit rund 2300 km2 war im Krieg 1991 heftig umkämpft, u.a. weil die Bevölkerung dort multi-ethnisch zusammen gesetzt war – von den rund 176.000 BewohnerInnen erklärten sich vor dem Krieg (Volkszählung 1991) ca. 43 Prozent als KroatInnen, 35 Prozent als SerbInnen, und 22 Prozent als JugoslawInnen und andere. Im November 2001 nahmen serbische paramilitärische Einheiten und die Jugoslawische Volksarmee die Stadt Vukovar, die zuvor fast vollständig zerstört worden war, ein und vertrieben einen Großteil der kroatischen Bevölkerung. Gemeinsam mit Westslawonien und der Region um Knin bildete Ostslawonien die international nicht anerkannte Republik Srpska Krajina (RSK) bzw. eine von vier von den Vereinten Nationen ausgerufenen Schutzzonen (Sektor Ost). Im Mai und August 1995 eroberte die kroatische Armee in den Operationen „Blitz“ und „Sturm“ die Sektoren West, Süd und Nord, was eine Flüchtlingswelle von 150-200.000 SerbInnen aus diesen Gebieten, unter anderem nach Ostslawonien, auslöste. Es schien nur noch eine Frage der Zeit, bis auch das letzte außerhalb kroatischer Kontrolle stehende Gebiet militärisch „befreit“ werden würde.

Im Zuge der Verhandlungen von Dayton über einen Friedensvertrag für Bosnien kam es jedoch zu einer Einigung für Ostslawonien, die im Basis-Abkommen von Erdut vom 12. November 1995 zwischen der kroatischen Regierung und führenden serbischen PolitikerInnen der Region ihren Niederschlag fand. Auf dieser Grundlage beschloss der UN-Sicherheitsrat in der Resolution 1037 die Einrichtung einer Übergangsverwaltung ab 15. Januar 1996 zunächst für ein Jahr, mit der Möglichkeit der Verlängerung für maximal ein weiteres Jahr.

Aufgaben der Mission
Das Mandat der UNTAES unter dem Administrator Jacques P. Klein (USA) umfasste militärische und zivile Komponenten, um die friedliche Wiedereingliederung in den kroatischen Staat und den multi-ethnischen Charakter der Region zu gewährleisten. Die konkreten Aufgaben bestanden in der Demilitarisierung bis 30 Tage nach Erreichen der vollen Personalstärke, der Überwachung der freiwilligen und sicheren Rückkehr von Flüchtlingen und Vertriebenen in ihre ursprünglichen Häuser, der Schaffung einer Atmosphäre des Vertrauens unter allen BewohnerInnen unabhängig von ihrem ethnischen Ursprung, der Förderung von Respekt für höchste Standards von Menschenrechten und Grundfreiheiten, der Förderung von Entwicklung und Wiederaufbau sowie der Organisation lokaler Wahlen. Zu diesem Zweck wurden rund 5.000 SoldatInnen, 100 militärische BeobachterInnen und 500 PolizistInnen aus insgesamt 36 Staaten sowie rund 1.000 internationale und lokale ZivilistInnen aufgeboten.

Die wichtigsten Etappen auf dem Weg zur Erfüllung des Mandats waren Initiativen zur wirtschaftlichen Entwicklung (Wiedereröffnung von Zug- und Telefonverbindungen, der Erdölpipeline usw.) im Mai 1996, der Abzug bzw. die Übergabe aller schweren Waffen durch die Armee der RSK im Juni, die Einrichtung eines Begegnungs- und Marktplatzes beim für alle zugänglichen Flughafen Osijek im August und die Organisation eines Rückkaufprogramms für Kleinwaffen von Oktober 1996 bis Februar 1997. Im April fanden Lokalwahlen statt, bei denen die Unabhängige Demokratische Serbische Partei und die kroatische HDZ als stärkste Parteien hervorgingen. Die Aufgabe der Polizeimission bestand in erster Linie in der Ausbildung lokaler PolizistInnen, die dann in gemischten serbisch-kroatisch-internationalen Teams der Transitional Police Force zum Einsatz kamen. Nach einer zweimaligen Verlängerung des UNTAES-Mandats um jeweils ein halbes Jahr wurde die Mission am 15.1.1998 beendet und von einer reinen Polizeimission der UNO sowie einer OSZE-Delegation zur Beobachtung der weiteren Entwicklung abgelöst.

Das Verhältnis zwischen UNTAES und lokaler Bevölkerung, Politik und NROs
Auf Seiten der serbischen Mehrheitsbevölkerung herrschten nach den Erfahrungen in den anderen Sektoren zunächst Skepsis gegenüber den Fähigkeiten der UN-Verwaltung sowie Unsicherheit und Angst vor der Übernahme der Regierungsgewalt durch Kroatien und der Rückkehr der kroatischen Bevölkerung vor. Würden sie vor befürchteten Übergriffen kroatischer RückkehrerInnen und vor Diskriminierung im wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Leben geschützt werden, und würden auch die serbischen Vertriebenen in ihre alten Häuser zurückkehren können? Was kam auf sie zu, wenn sie sich entschlossen zu bleiben und die kroatische Staatsbürgerschaft anzunehmen, z.B. in Hinblick auf den Wehrdienst in der kroatischen Armee? Im Lauf der Zeit stellten sich jedoch auch positive Erfahrungen mit der neuen Situation ein, wie z.B. das Funktionieren der neuen Polizei, die Schaffung von Arbeitsplätzen durch den Wiederaufbau oder später die verbesserte Mobilität (Visafreiheit) durch die Annahme kroatischer Dokumente und Reisepässe. Dennoch wurde die Rolle der UN-MitarbeiterInnen auch als Problem empfunden – eine Frau aus Vukovar beschrieb ihre Gefühle mit den Worten: „Sie verdienen gut an unserem Schicksal.“ Für viele geschah der Übergang zu schnell, innerhalb kurzer Zeit mussten viele grundlegende Lebensentscheidungen (Auswanderung, Rückkehr oder Bleiben; Verfolgung und Diskriminierung oder friedliches Zusammenleben mit den ehemaligen Feinden) getroffen werden, da bald klar wurde, dass die UN-Verwaltung kein Dauerzustand sein werde.

Ein wichtiger Schritt zur Normalisierung war die Gründung einer gemeinsamen serbischen Partei mit gemäßigten PolitikerInnen an der Spitze, die von der UNTAES auch durchaus gefördert wurden. Verschiedene lokale und internationale NROs entwickelten vertrauensbildende und einkommensschwache Maßnahmen wie Rechtsberatung, Sozialhilfe usw. Ab Herbst 1996 begannen Freiwillige der Österreichischen Friedensdienste (ÖFD) mit Unterstützung des Friedenszentrums Osijek mit der Einrichtung eines International Meeting House in Vukovar, das als neutraler Treffpunkt für Jugendliche aller Ethnien diente. Nach einer negativen Erfahrung bei der Zusammenarbeit mit UNTAES-MitarbeiterInnen – eine geplante Ausstellung von Zeichnungen serbischer und kroatischer Kinder in Vukovar musste unter wütenden Protesten und Demonstrationen Hals über Kopf abgebrochen werden – legten die Freiwilligen Wert auf eine gewisse Distanz zur UNTAES, u.a. auch wegen der Wahrnehmung der Diskrepanz zwischen UN- und lokalen Gehältern und wegen der Glaubwürdigkeit bei der Zusammenarbeit mit Lokalen. Aus dem IMH ging 1999 die für alle offene Youth Peace Group Danube (YPGD) hervor, die sich in vielen Projekten für Jugendliche, Kinder und ältere Menschen engagierte.

Auf kroatischer Seite stand v.a. der Wunsch nach möglichst schneller Rückkehr der Vertriebenen und der Wiederaufbau der zerstörten Häuser im Vordergrund. Wäre manchen von ihnen anfangs eine militärische Rückeroberung und die Schaffung eines „serbenfreien“ Gebietes wahrscheinlich nicht unrecht gewesen, so konnten sie mit der Übergangsverwaltung doch recht gut leben, wo doch das Ziel letztlich klar war und ihre Rückkehr vom kroatischen Staat mit mehr Elan und wirtschaftlicher Hilfe betrieben wurde als umgekehrt das Rückkehrprogramm von SerbInnen. Zu Beginn und kurz nach dem Ende der Übergangsverwaltung kam es vermehrt zu Bedrohungen und Übergriffen gegen SerbInnen, im Großen und Ganzen aber warteten viele die endgültige Rückkehr der Region unter kroatische Kontrolle ab. Die Lokalwahlen im April 1997 ergaben in vielen Orten eine Machtteilung, und nach dem Tod von Präsident Tudjman und dem Regierungswechsel in Kroatien Anfang 2000 änderte sich die politische Lage doch wesentlich, was sich auch im Verhältnis von KroatInnen und SerbInnen positiv niederschlug.

Hat die UNTAES ihre Ziele erreicht?
Folgt man den Einschätzungen der Vereinten Nationen und mancher PolitologInnen, war die UNTAES-Mission ein voller Erfolg und geradezu ein Modell für andere Regionen Ex-Jugoslawiens. Sie verdanke das dem klaren Auftrag, einer starken militärischen Komponente und günstigen politischen Parametern. Zweifellos konnte sie ihre zentrale Aufgabe und wichtige, „harte“ Ziele ihres Mandats verwirklichen: die friedliche Wiedereingliederung des kroatischen Donaugebiets, Entmilitarisierung und Minenräumung, die Einrichtung einer Übergangspolizei und einer zivilen Verwaltung nach den Wahlen sowie wirtschaftliche Infrastrukturmaßnahmen. Schwerer fällt die Beurteilung des Erreichens „weicher“ Ziele. Insgesamt kann man sagen, dass die Bewahrung Ostslawoniens als multi-ethnische Region gelungen ist, auch wenn bis heute geschätzte 50 Prozent der (serbischen) BewohnerInnen ausgewandert bzw. zurückgekehrt sind. Das Wohnungs- und Eigentumsproblem war in den ersten Jahren nach UNTAES sehr virulent, hat sich aber im Lauf der Zeit entschärft. Die wirtschaftliche Perspektive in der Region war und ist nicht besonders hoffnungsvoll, was einen Hauptgrund für die Abwanderung v.a. junger Leute aller Volksgruppen darstellt. Für das Zusammenleben haben die vielen zivilgesellschaftlichen Initiativen auf Alltagsebene Früchte getragen. Normale nachbarschaftliche Beziehungen sind die Regel, das Klima von Angst und Misstrauen hat sich zumindest zu einem Nebeneinanderleben gewandelt. Dennoch kann man nicht von einer völlig gelungenen Integration sprechen – in vielen Bereichen (Schule, Freizeit…) herrscht noch immer Trennung vor Gemeinsamkeit. Die Frage des Umgangs mit der Vergangenheit (Kriegsverbrechen, Schicksale von Ermordeten, Traumatisierung) wird nach wie vor großteils vermieden, sodass von wirklicher Versöhnung wohl noch länger nicht gesprochen werden kann.

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Pete Hämmerle ist Mitarbeiter beim Internationalen Versöhnungsbund, österreichischer Zweig.