Unterentwicklung in .der Dritten Welt: Ergebnis kolonialer und neokolonialer Ausplünderung

Am 2. September 1986 hielt Präsident Fidel Castro auf der VIII. Gipfelkonferenz der Bewegung der Nichtpaktgebundenen in der Hauptstadt Simbabwes, Harare, eine Rede, in der er in knappen Zügen die Unterentwicklung in großen Teilen der Welt analysierte. Im Folgenden veröffentlichen wir Auszüge aus der Rede von Präsident Fidel Castro.

Wir werden immer schonungsloser ausgebeutet. Wir müssen ständig höhere Preise für das bezahlen, was wir aus den kapitalistischen Industriestaaten importieren - sei es ein Lastwagen, ein Traktor, eine Lokomotive, eine Industrieanlage, eine Fabrik, ein Medikament, ein Ausrüstungsgegenstand oder ein einfaches Ersatzteil -, aber für unsere Exporte bekommen wir immer weniger Geld.

Für ein beliebiges importiertes Produkt müssen wir heute im Austausch sechsmal mehr Zucker, Tee, Kaffee, Kakao, Henequen, Kopra, Eisen, Bauxit, Kupfer usw. liefern als vor 30 Jahren.

Heute gibt es mehr ungleichen Handel, mehr Protektionismus, mehr Dumping, mehr unfairen Wettbewerb, eine größere Marktkontrolle durch die transnationalen Konzerne, höhere Zinssätze, eine größere Kapitalflucht in die USA und die europäischen Finanzzentren sowie eine stärkere Manipulation internationaler Finanztätigkeit durch die imperialistischen Mächte als je zuvor in der Geschichte. Der Preis, den wir heute als Neokolonien zahlen, liegt noch weit höher als der, den wir als Ko1onien gezahlt haben.

Die Auslandsverschuldung betrug 1977 373 Milliarden Dollar. Bereits im Jahre 1985, also nur acht Jahre später, hatte sie sich bereits auf 950 Milliarden Dollar verdreifacht. Zwischen 1981 und 1985 legten die Länder der Dritten Welt mehr als 300 Milliarden Dollar allein für Zinsen sowie 526 Milliarden für sämtliche Schuldendienste auf den Tisch.

Im Jahre 1985 verwandte Afrika 32 Prozent seiner Exporteinkünfte für den Schuldendienst-und Lateinamerika 44 Prozent.

Zwischen 1980 und 1985 verloren die Länder der Dritten Welt 104 Milliarden Dollar durch ungünstige Handelsbedingungen und 120 Milliarden aufgrund zu hoher Zinssätze. Der Preisrückgang bei Grundstoffen zwang diese Länder 1985 dazu, 25 Prozent mehr zu liefern als 1980, nur um die gleiche Menge an Importen zu erhalten.

Während im Jahre 1979 noch 40,2 Prozent des internationalen Finanzflusses an die Länder der Dritten Welt gingen, waren es 1985 nur noch 10,3 Prozent. Die Vereinigten Staaten, das reichste und am weitesten entwickelte Land der Welt, erhielten 1980 6,1 Prozent, 1985 jedoch schon 24,2 Prozent. Das Geld, das die Vereinigten Staaten für ihre gewaltige Aufrüstung, ihre Sternenkriegspläne, die Ausgleichung der gewaltigen Haushalts- und Handelsdefizite sowie für ihre Politik der Aggression und andere wahnwitzige Vorhaben ihrer gegenwärtigen Administration brauchen, muß ja schließlich irgendwoher kommen.

Der Internationale Währungsfonds - der Finanzverwalter des Imperialismus - fordert von den Ländern der Dritten Welt, daß sie ihre Haushalts- und Handelsdefizite ausgleichen, die Ausgaben für das Bildungs- und Gesundheitswesen beschneiden, staatliche Investitionen stoppen, ihre Währung abwerten, die Preise für Konsumgüter und Dienstleistungen erhöhen und die Beschränkungen für freie Importe aufheben. Mit anderen Worten: Die Schuldenlast und die Folgen der Krise sollen von denen getragen werden, die bereits verarmt sind. In Washington aber steht nur ein paar Häuserblocks vom Hauptsitz des IWF entfernt das Weiße Haus, der Sitz der amerikanischen Regierung, die auf die unglaublichsten Finanz- und Handelsdefizite aller Zeiten verweisen kann. Trotz der unmittelbaren Nachbarschaft hat der IWF niemals einen Experten mit der Forderung ins Weiße Haus geschickt, den Finanzdefiziten, dem ungleichen Handel, dem Protektionismus, dem Dumping, dem Zinswucher, der Manipulation des Dollars und anderen schändlichen Machenschaften, die so verheerende Auswirkungen auf die internationale Wirtschaft haben, einen Riegel vorzuschieben.

USA-Hochrüstung auf Kosten der Weltwirtschaft

Die Vereinigten Staaten betreiben ihre Hochrüstung mit dem Geld der Welt, und der Währungsfonds tut nichts dagegen. Die Vereinigten Staaten leben auf Kosten der internationalen Wirtschaft über ihre Verhältnisse, und der Währungsfonds sieht ruhig zu. Das ist die Wirtschaftsordnung, die uns aufgezwungen wurde.

Anhand mathematischer Analysen und ernsthafter Überlegungen zu diesem Problem gelangten wir zu der Schlußfolgerung, daß die Auslandsschulden der Dritten Welt nicht rückzahlbar und nicht einziehbar sind. Diesen Ländern ist es politisch, ökonomisch und moralisch nicht möglich, zu zahlen.

Unsere Länder sind keine Schuldner, sondern Gläubiger. Die Entwicklung des Kapitalismus wurde mit dem Blut, dem Schweiß und den Besitztümern der Kolonien in Asien, Afrika und Lateinamerika bezahlt. Durch ungleiche Handelsbedingungen hat er uns mehr gestohlen, als unsere gesamten Schulden ausmachen. Protektionismus und Dumping blockieren unsere Exporte und ruinieren unsere Völker. Ein Großteil des uns geliehenen Geldes floß in die westlichen Finanzzentren zurück, ohne daß wir irgendeinen Nutzen davon gehabt hätten. Die überhöhten Zinssätze vervielfachen die bereits untragbare Last. Die Auslandsverschuldung muß annulliert werden; und die Regierungen der Gläubigerländer müssen die Schulden auf ihre eigenen Banken übernehmen, ohne daß daraus neue Steuern oder Opfer irgendeiner Art für die Bankkunden oder Steuerzahler in diesen Ländern erwachsen. Gleichfalls könnte die Schuld mit weniger als 15 Prozent der gegenwärtigen jährlichen Militärausgaben bald bezahlt werden. Die internationale Wirtschaft kann die Krise nur überwinden, wenn die Schulden beseitigt werden und eine neue internationale Wirtschaftsordnung geschaffen wird, die von der UNO zwar befürwortet, jedoch nie in die Tat umgesetzt wurde. Dies würde einen gewaltigen jährlichen Anstieg der Kaufkraft in der Dritten Welt bedeuten, womit sich der internationale Handel vervielfachte. Des Weiteren würde die Industriekapazität in den entwickelten kapitalistischen Staaten voll ausgenutzt werden, und diese Länder könnten ihr größtes Problem lindern: die chronische und wachsende Arbeitslosigkeit.

Zum Beweis dafür, daß die Mittel vorhanden sind, brauche ich nur darauf zu verweisen, daß die entwickelten kapitalistischen Länder 1986 mindestens 120 Milliarden Dollar aufgrund der niedrigen Ölpreise einsparen werden. Das wäre genug, um den Schuldendienst der Länder der Dritten Welt für dieses Jahr zu decken. Mit weniger als einem Drittel der jährlich für militärische Zwecke verschwendeten finanziellen Mittel könnte man die Schulden ganz begleichen und auch die Kosten decken, die mit der Schaffung der neuen internationalen Wirtschaftsordnung verbunden wären.

Frieden, Abrüstung, die Lösung des Problems der Auslandsverschuldung und die Schaffung einer neuen internationalen Wirtschaftsordnung gehören deshalb untrennbar zusammen. •

 

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