US-Revirement in Richtung verdeckte Operationen und außergerichtliches Töten

von Hans Georg Ehrhart

Die Art und Weise der Tötung von Osama bin Laden bestätigt eine Entwicklung in der amerikanischen Politik der Bekämpfung von Terrororganisationen und Terrorakteuren, die als „Obama-Doktrin“ bezeichnet werden könnte. Sie setzt verstärkt auf verdeckte Operationen und gezieltes Töten. Die interne Auseinandersetzung in Washington über die richtige Politik gegenüber der AFPAK-Region (Afghanistan und Pakistan) haben die stärker auf den Antiterrorismuskampf setzenden Kräfte gewonnen.

Noch 2009/10 schien es so, als könnten sich die Protagonisten einer umfassenden Aufstandsbekämpfung (Counterinsurgency/COIN) durchsetzen. Mit der Verstärkung des militärischen und zivilen Engagements – dem sogenannten „surge“ – sollte die Initiative von den Aufständischen zurück gewonnen werden. Gleichzeitig sollte der verstärkte Einsatz von Drohnen in Pakistan die Taliban schwächen und Al Qaida ausschalten. Während die COIN-Protagonisten um General David H. Petraeus im US-Militär von der Notwendigkeit eines langen und umfassenden militärischen Engagements in Afghanistan und gelegentlichen gezielten Tötungen in Pakistan ausgingen (COIN plus), plädierten die Gegner dieses Ansatzes um Vizepräsident Joe Biden für eine intensivierte Antiterrorpolitik und weniger COIN (Antiterrorismus plus).

Präsident Obama entschied mit seinem eigenhändig aufgesetzten Befehl vom 29. November 2009, dass es den Aufwuchs zwar geben werde, beschränkte ihn aber auf 30.000 zusätzliche Soldaten (statt 40.000 bzw. 80.000, wie in anderen Optionen vorgeschlagen). Zugleich setzte er den Juli 2011 als den Zeitpunkt fest, an dem mit der Übergabe der Verantwortung an die afghanische Regierung und das Ausdünnen der US-Truppen zu beginnen sei. Die jährlichen Kosten von 100 Mrd. Dollar für 100.000 US-Soldaten sind für ihn weder innen- noch finanzpolitisch auf Dauer tragbar. Also konzentriert er sich auf den Kampf gegen Al Qaida und verdeckte Operationen. Dass dies nicht nur für die AFPAK-Region gilt, zeigen US-Aktivitäten im Jemen und in Somalia sowie das geplante Revirement im Sicherheitsapparat.

Der bisher für Afghanistan zuständige General Petraeus soll Direktor der CIA werden. Der vormalige Leiter des wichtigen Regionalkommandos CENTCOM gilt als Vertreter der modernen COIN-Doktrin. Er war verantwortlich für den „surge“ im Irak und die parallel laufende Operation gegen „Al Qaida in Mesopotamia“. Als der für Afghanistan zuständige Kommandeur Stanley A. McChrystal letztes Jahr seines Amtes enthoben wurde, musste dessen Vorgesetzter Petraeus seinen Job übernehmen. Was zunächst wie eine Degradierung aussah, entpuppt sich nun als Karrieresprung – vom Force Commander zum CIA-Boss. Damit ist einer der Hauptvertreter von COIN politisch eingebunden. Zudem wird die Verbindung zwischen Militär und CIA gestärkt.

Das trifft auch auf eine andere Personalie zu. Der Direktor der CIA, Leon E. Panetta, wird Nachfolger von Verteidigungsminister Robert Gates. Die CIA ist für die Drohneneinsätze in Pakistan verantwortlich. Sie steuert auch eine 3000 afghanische Kräfte umfassende Spezialtruppe, die Talibanführer jagt und tötet. Allein 339 Kommandeure der mittleren Ebene und 949 einfache Taliban sollen 2010 innerhalb von drei Monaten liquidiert worden sein.

Dies ist der schmutzige Teil des Afghanistankrieges, der vorwiegend im Verborgenen stattfindet.

Ins Bild passt, dass mit Generalleutnant John R. Allen ein Mann von den Marines künftig die ISAF führen wird. Er hatte bereits interimsweise Petraeus als Kommandeur CENTCOM ersetzt. Der seit Oktober 2010 amtierende Leiter CENTCOM, General James N. Mattis, ist ebenfalls Angehöriger des US-Marinecorps. Sein Stellvertreter wird Vizeadmiral Robert S. Howard von den Navy SEALS.

Im Bereich dieses Regionalkommandos finden die meisten Einsätze von Spezialkräften statt. Vizeadmiral William McRaven, der die Operation der Navy SEALS gegen Bin Laden plante, wird das Special Operations Command (SOCOM) führen. SOCOM ist unter anderem auf den weltweiten Kampf gegen Terroristen spezialisiert, verfügt über mehr als 50.000 Einsatzkräfte,ist in 75 Ländern aktiv und hat ein eigenes Budget von ca. zehn Milliarden US-Dollar. Das stetige Aufwachsen dieser „Spezialstreitkraft“ und das Budget von 80 Milliarden Dollar fürdie insgesamt 16 US Geheimdienste weisen die Richtung, in die sich die amerikanische Politik der Terrorismusbekämpfung entwickelt: Weg von militärischen Großoperationen, hin zu verdeckten Operationen, einschließlich außergerichtlichen Tötungen.

Bleibt zu fragen, wie sich die Bundesregierung zu dieser Handlungslogik „unkonventioneller Kriegführung“, die manche auch in den Angriffen auf Gaddafi erkennen, künftig verhält? Immerhin führen die USA auch im von Deutschland geführten Regionalkommando Nord in Afghanistan verdeckte Operationen durch. Nach der Rechtsauffassung der Obama-Administration ist außergerichtliches Töten im Rahmen verdeckter Operationen legal, nach der deutschen nicht. In der Vergangenheit hatten Änderungen der amerikanischen Militärdoktrin meist auch eine Anpassung in der NATO zur Folge. So hat das COIN-Konzept Eingang in die NATO gefunden. Nun ist das für verdeckte Operationen wohl nicht zu erwarten. Allerdings könnte der Druck auf die gewichtigeren Partner steigen, entsprechende Fähigkeiten einzubringen. Wie reagiert die Bundesregierung also auf diese amerikanische Schwerpunktverlagerung von COIN plus zu mehr verdeckten Operationen einschließlich außergerichtlichem Töten? Die von der Bundeskanzlerin zum Ausdruck gebrachte Freude über den Tod Bin Ladens lässt (zu) viel Raum für Spekulation.

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Hintergrund
Dr. Hans-Georg Ehrhart ist seit 1989 wissenschaftlicher Referent am Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg (IFSH).