USA-Indien: Trommelfeuer gegen die Atomwaffenabrüstung

von Jens-Peter Steffen

Die Verteidigung des Atomwaffensperrvertrages (NPT) als international verbindliche Bezugsgröße für die völlige Abrüstung aller Atomwaffen wird immer schwieriger. In Fortführung ihrer unilateralen Umgestaltung des internationalen Machtgefüges haben die USA neue Fakten geschaffen. Deren Folgen wirken global in die unterschiedlichsten Sphären, doch hier wird sich auf die Auswirkungen auf die Atomwaffenrüstung konzentriert.

Zur unilateralen Strategie der USA gehört seit den 90er Jahren das Abschließen neuer Zweckbündnisse außerhalb internationaler Verträge, Abkommen und Protokolle. Nur im Atomwaffenbereich lehnen sie den Teststoppvertrag ab und haben die Abrüstungszusagen der Überprüfungskonferenzen von 1995 und 2000 an die Nicht-Atomwaffenstaaten für null und nichtig erklärt. In derselben Phase verschob sich der geostrategische Schwerpunkt der USA nach Zentralasien, den Mittleren Osten und nach Fernost.

Die US-"Neudefinition" des Atomwaffensperrvertrages durch die Bush-Administration wird Wirkung zeigen. Eigentlich seit Anbeginn verweigern sie, im Sinne des Artikel VI vollständig abzurüsten, was dazu beigetragen hat, das inzwischen alle Atomwaffenstaaten ihre Arsenale modernisieren, ihre strategischen Szenarien einander annähern und sich für die Erstschlagoption erklären. Das jüngste Atom-Abkommen der USA mit Indien greift nun direkt den Artikel IV des NPT an, der die Zusammenarbeit bei der zivilen Nutzung der Atomenergie für Vertragsstaaten regelt. Der Artikel soll als Köder für Nichtatomwaffenstaaten wirken, dem Vertrag beizutreten - was Indien bekanntlich nicht getan·hat. Dieses Abkommen gibt das Beispiel, dass man dies auch nicht muss, um in die Vorzüge internationaler Nuklearkooperation zu gelangen. Das ist sicherlich weniger Indien als dem NPT-Partner USA anzulasten.

Im Zuge des Abkommens trennt Indien sein Atomprogramm in einen militärischen und einen zivilen Bereich. Nach und nach wird es 14 seiner 22 bestehenden oder im Bau befindlichen zivilen Nuklearanlagen der Kontrolle der IAEO unterstellen, schärfere nationale Gesetze zur Verhinderung ziviler atomarer Proliferation erlassen und das Atomwaffentestmoratorium beibehalten. Außerhalb internationaler Kontrolle bleiben zwei sich in Entwicklung befindende Schnelle-Brüter-Anlagen - und eben jede als militärisch gewertete Einrichtung.

Beide Präsidenten sind sich sicher, dass das Abkommen trotz heftiger inländischer Kritik die jeweiligen politischen und parlamentarischen Hürden nehmen wird. Dieses internationale Abkommen beiseite schiebende Zusammengehen Indiens und der USA unter der Überschrift einer „besonderen strategischen Partnerschaft" nützt dem geopolitischen Interesse der USA, Indien als atombewaffneten Partner und Gegenpol zum erstarkenden China zu gewinnen und in der Region die Zusammenarbeit im „Krieg gegen den Terrorismus" zu verbessern. Entscheidende Auswirkungen hat das bilaterale Atomabkommen für das internationale Gefüge der Rüstungskontrolle und Abrüstung. Denn es erkennt Indien faktisch - wenn auch nicht mit den Formulierungen des NPT - als Atomwaffenmacht an.

Indien hat über Jahre die Grundlage des NPT - fünf Staaten haben als einzige Atomwaffen und für ihren Verzicht erhalten die anderen modernste Atomenergie - als „atomare Apartheid" bezeichnet. Sie forderten die Abrüstung der Atomwaffen und wollten erst nach dessen Erfüllung dem Vertrag beitreten. Nun stützen sie mit diesem Abkommen das hinterfragte System der „nuklearen Apartheid".

Zeitgleich mit dem Abkommen hat der für den Atomwaffenbereich der USA zuständige Leiter der Atomsicherheitsbehörde, Linton F. Brooks, das NPT-Ziel der vollständigen Abrüstung aller Atomwaffen als erster hoher Regierungsbeamter für dauerhaft obsolet erklärt. Die USA werden für die ,,überschaubare Zukunft" ihre Nuklearkräfte erhalten und modernisieren. ,,Ich sehe keine politischen Umstände, die zur Abrüstung führen könnten, noch glaube ich, dass diese Abrüstung verifizierbar wäre, sollte sie denn ausgehandelt werden." Wie ein PR-Gag definiert die US-Administration Abrüstung jetzt als das Bestreben, den eigenen Bestand modernster Atomwaffen so klein wie möglich zu halten.

Sicherlich wird es den Atomwaffensperrvertrag in zehn oder 20 Jahren noch geben, die Form einer internationalen Einrichtung kann beharrlicher als ihr Sinn sein. Aber wird dieser NPT noch als das zuerkennen sein, was er einmal sein sollte: Ein von der Weltgemeinschaft respektiertes Mittel zur Abschaffung aller Atomwaffen?

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