Friedliche Schulen schaffen

USA: Sichere Schulen ohne Polizei

von Caro Carty
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Inmitten eines historischen Lehrer*innenstreiks und der jüngsten COVID-Welle in Minnesota, USA, versammelte sich eine Gruppe von Schüler*innen, Verwaltungsangestellten und Spezialist*innen für Schulsicherheit auf Zoom. Im Verlauf des Gesprächs äußerten die Schüler*innen ihre Besorgnis darüber, dass bestimmte Lehrkräfte und Verwaltungsangestellte rassistische Vorlieben zeigten und den persönlichen Raum und die Grenzen der Schüler*innen nicht respektierten. Eine Frage blieb jedoch offen: Gibt es eine Möglichkeit, die Schulen für alle Beteiligten sicherer und friedlicher zu gestalten?

Während solche Sorgen in Schulbezirken in den gesamten Vereinigten Staaten leider nicht ungewöhnlich sind, befindet sich diese spezielle Gruppe von Schüler*innen in einer einzigartigen Position. Sie sind die Gründungsmitglieder einer Student Peace Advisory Group, einer Gruppe von Schüler*innen, die mit dem Schulpersonal und der Schulverwaltung sowie mit der internationalen Schutzorganisation Nonviolent Peaceforce (NP) zusammenarbeiten wollten, um das Sicherheitssystem der Schule mitzugestalten. Die neue Gruppe steht für eine neue Vision der Schulsicherheit, an deren Umsetzung Schulbezirke in Minnesota und im ganzen Land arbeiten - eine Vision, die nicht auf der Anwendung oder Androhung von Gewalt beruht, sondern auf Beziehungen. 

Der öffentliche Schulbezirk von Minneapolis ist einer von vielen in den Vereinigten Staaten, in denen Schüler*innen bei der Neugestaltung der Schulsicherheit eine Vorreiterrolle spielen. Nach einer jahrelangen Kampagne von Schüler*innen und Familien für den Abzug der Polizei aus den Schulen hat der Schulbezirk im Juni 2020 seinen Vertrag mit dem Minneapolis Police Department (MPD) gekündigt. Nach dieser historischen Entscheidung haben die Schulbezirke eine neue Chance zu entscheiden, was Sicherheit für sie bedeutet, welche Faktoren den Erfolg und das Gedeihen der Schüler fördern und wer am besten in der Lage ist, dies zu kultivieren.  

Eine kurze Geschichte der Polizeiarbeit in Schulen
Polizeibeamt*innen sind in den Vereinigten Staaten erst seit fünf Jahrzehnten in Schulen stationiert. In Erwartung rassistischer Gegenreaktionen auf die Schulintegration schufen die Behörden in Flint, Michigan, 1953 den ersten School Resource Officer (SRO) an einer Schule. Nach Angaben des Center for Public Integrity (Zentrum für öffentliche Integrität) verbanden sich solche SRO-Stationierungen mit kommunalen Polizeiprogrammen und brachten zahlreiche "Officer Friendly"-Programme in Schulen hervor, darunter D.A.R.E (Drug Abuse Resistance Education) und G.R.E.A.T (Gang Resistance Education and Training) während des Krieges gegen Drogen. 1970 gab es in den USA noch weniger als 100 Polizeibeamt*innen in Grund-, Mittel- und Oberschulen. 2019 war diese Zahl auf 20.000 bis 30.000 gestiegen, wobei die Zahl der Polizist*innen nach dem Columbine High School Massaker und den Sandy Hook Schießereien zum Teil aus Angst stieg. 

Minneapolis folgte einem ähnlichen Trend in seiner Schulpolizei. Minneapolis war eine der ersten Städte, die im Rahmen des Law Enforcement Assistance Act von 1965 Bundesmittel für School Resource Officers erhielt. Der erhaltene Bundeszuschuss belief sich inflationsbereinigt auf fast eine halbe Million Dollar für Ausbildung und Programmentwicklung. Im Jahr vor der Entscheidung, Polizei aus den Schulen von Minneapolis abzuziehen, hatte der Bezirk 1,3 Millionen Dollar seines Budgets für die Anstellung von 16 SROs beim Minneapolis Police Department aufgewendet.

Von Anfang an waren die SROs eine Quelle von Konflikten, da Schüler*innen und Familien die Gefahr erkannten, die sie insbesondere für schwarze Schüler*innen in Minneapolis und anderswo darstellen. Außerdem war Minneapolis für seine Bildungsungerechtigkeit bekannt, vor allem in Bezug auf die Disziplin. Schwarze Schüler*innen werden achtmal so oft suspendiert wie Weiße Schüler*innen, während dies landesweit nur dreimal so häufig der Fall ist. Sowohl Schüler*innen als auch Befürworter*innen der Rassengerechtigkeit haben auf den Zusammenhang zwischen diesen verschiedenen Auswirkungen und der "School-to-Prison-Pipeline" hingewiesen, bei der vor allem Nicht-Weiße Schüler*innen in Schulen mit niedrigem Einkommen oder übermäßiger Polizeipräsenz überproportional häufig in Jugendstrafanstalten und später oft ins Gefängnis kommen.

Erst im Jahr 2019 stellte die Psychologin Shabnam Javdani in einer empirischen Untersuchung fest, dass „es keine Beweise dafür gibt, dass die Anwesenheit von Polizeibeamten an Schulen eine abschreckende Wirkung auf Gewalt an Schulen, Waffengewalt oder Massenerschießungen hat". Diese Schlussfolgerung wurde in mehreren Studien und Berichten bestätigt.

?streichen:Javdani fand heraus, dass die Polizei in den Schulen tatsächlich mit schädlichen Ergebnissen in Verbindung steht, einschließlich einer geringeren Verbundenheit mit der Schule, vermehrter disziplinarischer Ausgrenzung, vermehrten Festnahmen von Kindern in der Schule, geringeren schulischer Leistungen und verstärkten rassistischen Ungleichheiten, die sich nicht durch das Verhalten der Schüler*innen erklären lassen. Allerdings berichten Schüler*innen und Lehrer*innen auch, dass die Anwesenheit von Polizei einige ihrer Ängste in Bezug auf gezielte Gewalt und Schießereien an der Schule besänftigten.

 
Sicherheit an Schulen neu denken  
Ende Mai 2020 wurde die Stadt Minneapolis durch den Mord an George Floyd durch das Minneapolis Police Department (MPD) erschüttert. Die nächste Generation unserer Gesellschaft blieb von der Betroffenheit, der Empörung und der landesweiten Abrechnung mit dem systemischen antischwarzen Rassismus und der staatlich sanktionierten Gewalt keineswegs verschont. Und viele von ihnen waren auf die Straße gegangen und hatten die brutalen Reaktionen der MPD während der Aufstände von 2020 selbst miterlebt, einschließlich des Einsatzes von „weniger tödlicher" Munition und chemischen Waffen. 

Genauso wie die Gemeinden sich fragen, ob die Polizei am besten geeignet ist, um auf Verkehrsverstöße und psychische Krisen zu reagieren, fragen sich Eltern, Schüler*innen und Schulverwaltungen, ob Polizeibeamt*innen am besten geeignet sind, um ein sicheres Schulumfeld zu schaffen. Nach einer jahrelangen Kampagne von Schüler*innen und Familien zur Abschaffung von SROs an Schulen wurde der Mord an George Floyd zum Katalysator, den der Schulbezirk brauchte, um nach einem neuen Sicherheitssystem zu suchen. Im Zuge der Aufstände von 2020 veröffentlichten die Schüler*innen einen Brief, in dem sie erklärten, dass sich „Schwarze und Braune Schüler*innen mit Polizeibeamten in den Schulen nicht sicher fühlen". Eine Online-Umfrage, die unmittelbar vor der Abstimmung durchgeführt wurde, ergab, dass 90 % der Schüler*innen in Minneapolis für die Kündigung des Vertrags mit dem Bezirk waren. 

Inzwischen überdenken Schulbezirke im ganzen Land ihre Beziehungen zu den Polizeibehörden. Einem von Nonviolent Peaceforce und Nonviolence International veröffentlichten Bericht zufolge betrifft diese Entwicklung auch Bezirke in Bloomington, Charlottesville, Denver, Los Angeles, Louisville, Madison, Oakland, Portland, Sacramento, Seattle und St. Paul.

Auch unabhängige und kirchliche Schulen haben sich um neue Sicherheitsmodelle bemüht. Die Ascension School, eine katholische Akademie im Norden von Minneapolis, hat vor kurzem mehrere junge Männer eingestellt, die selbst aus dem Norden von Minneapolis stammen und von der Nonviolent Peaceforce speziell in gewaltfreien, unbewaffneten Interventionen geschult wurden. Das neue gewaltfreie Sicherheitsteam hat an der Entwicklung von Sicherheitsplänen gearbeitet, die auf Beziehungen beruhen, sowie an Frühwarnsystemen. Jetzt sind sie ein Vorbild für Gewaltprävention und Konfliktbewältigung für die Schüler*innen der Schule und die breitere Gemeinschaft.

In den öffentlichen Schulen von Minneapolis baut die laufende Sicherheitsplanung auf der Arbeit vom Herbst 2020 auf. Nonviolent Peaceforce (NP) bot den dreizehn neuen Emergency Management, Safety & Security Specialists, die eingestellt wurden, um in Abwesenheit der SROs für Sicherheit zu sorgen, ein grundlegendes Training in Beziehungsaufbau, Gewaltprävention und Deeskalation an.

Jetzt arbeitet NP mit den öffentlichen Schulen von Minneapolis und dem Gesundheitsministerium von Minneapolis zusammen, um eine studentische Friedensberatungsgruppe zu bilden. Die Schüler*innen werden die Führung bei der Entwicklung neuer Sicherheitsinitiativen an der Schule übernehmen und Schulungen und Engagement-Strategien mitgestalten, um die Sicherheit und Zugehörigkeit aller zu fördern.  

Wie viele andere Projekte in den Vereinigten Staaten, die sich mit dem Thema Sicherheit befassen, zielt auch das Projekt in Minneapolis darauf ab, sicherere und friedlichere Schulen zu schaffen, indem bei den Lehrkräften Fähigkeiten in den Bereichen Beziehungsaufbau, Gewaltbeobachtung und Deeskalation entwickelt und bei den Schüler*innen Selbstbewusstsein, Selbstregulierung, Deeskalation, schützende Begleitung und gesunde Beziehungen gefördert werden. In den kommenden Monaten und Jahren werden sich die Schüler*innen regelmäßig treffen, um auf mögliche Spannungspunkte und Konflikte hinzuweisen, die zu Gewalt eskalieren könnten.

Gewalt in der Schule bleibt nicht nur in der Schule; was in der Schule und in der Gemeinschaft geschieht, beeinflusst sich gegenseitig. Wenn Konflikte in Schulen mit zwischenmenschlicher Gewalt, Gewaltandrohung und möglicher staatlicher Einmischung angegangen werden, werden Konflikte in Gemeinden mit denselben Mitteln angegangen. Nonviolent Peaceforce und seine Partner zeigen, dass es einen anderen Weg gibt, um ganzheitliche Sicherheit für alle Schüler zu schaffen. Wenn die Konflikttransformation in Schulen auf Antirassismus und vor allem auf Gerechtigkeit beruht, können Konflikte in Gemeinden auf eine Weise ausgetragen werden, die generativ und lebensbejahend ist. Die Schülerinnen und Schüler sind die Vorreiter, wenn es darum geht, zu vermitteln, dass Sicherheit ohne Gerechtigkeit nicht wirklich Sicherheit und Frieden ohne Gerechtigkeit nicht wirklich Frieden ist.

Wie ein Schulleiter einer MPS High School sagte: „Der beste Weg, Sicherheit zu gewährleisten, ist die Schaffung eines Umfelds, in dem sich alle bestätigt fühlen und dazugehören."
 

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Caro Carty, Communications and Major Donor Assistant, mit Sitz in St. Paul, Minneapolis.