INF-Vertrag

Verbot von Kurz- und Mittelstreckenraketen retten und ausweiten

von Andreas Zumach
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Der für die Sicherheit in Europa so bedeutsame INF-Vertrag vom Dezember1987, in dem die USA und die ehemalige Sowjetunion das Verbot und die vollständige Verschrottung ihrer atomar bestückbaren Kurz- und Mittelstreckenraketen mit Reichweiten zwischen 500 und 5.500 Kilometer vereinbarten, droht am 2. August endgültig auszulaufen.Noch ist allerdings Zeit, dieses bilaterale Abkommen zu retten, und auf dieser Grundlage dann ein multilaterales Abkommen auszuhandeln unter Beteiligung aller Staaten, die inzwischen auch über diese Waffenkategorien verfügen oder diese entwickeln.

Das kann  - wenn überhaupt - aber nur gelingen, wenn die Friedensbewegung politischen Druck macht auf beide Seiten - sowohl auf die Regierungen der USA und ihrer europäischen NATO-Verbündeten wie auf die Regierung Putin in Moskau. Zumindest bis Anfang August ist das Wichtigste hierbei zunächst noch die Forderung nach einer möglichst baldigen umfassenden, seriösen Überprüfung der angeblichen Vertragsverstöße, die sich die USA - unterstützt von ihren NATO-Verbündeten - und Russland gegenseitig machen (siehe Kasten). Denn diese Vorwürfe sind auf beiden Seiten bislang nur Behauptungen, die weder überzeugend belegt noch widerlegt sind. Zur Überprüfung sollten die Regierungen Trump und Putin die weitreichenden Inspektions- und Kontrollmechanismen des INF-Abkommens  wieder in Kraft setzen und anwenden. Mit diesen im Dezember 1987 für die Laufzeit von 13 Jahren vereinbarten Mechanismen überwachten sich beide Seiten gegenseitig zunächst beim Abzug und dann bei der am 31. Mai 1991 abgeschlossenen Verschrottung aller unter das INF-Abkommen fallenden Atomwaffen. Und in den folgenden zehn Jahren bis zum 31. Mai 2001 dienten diese Mechanismen der Sicherheit  und dem Vertrauen beider Seiten, dass die jeweils andere Seite keine neuen Typen der unter das INF-Verbot fallenden  Kategorie von Atomwaffen entwickelte.

Rechtfertigungen
Sollte der  INF-Vertrag tatsächlich endgültig scheitern, läge die Hauptverantwortung dafür bei den USA, die den Ausstieg aus dem Abkommen im Oktober 2018 als erste androhten.

Zur Rechtfertigung für diese Drohung führte Präsident Trump damals neben angeblichen Vertragsverstößen Russlands auch die heutigen Mittelstreckenraketen in China, Iran, Nordkorea an, die bei Abschluss des INF-Vertrags im Dezember 1987 noch nicht existierten. Trump forderte, der bilaterale Vertrag zwischen Washington und Moskau müsse auf diese Staaten ausgeweitet werden. Eine Multilateralisierung des INF-Abkommens ist aus friedens- und rüstungskontrollpolitischer Sicht durchaus eine richtige Forderung. Allerdings ist die von Washington beabsichtigte Zerstörung des bestehenden bilateralen INF-Vertrages mit Sicherheit der falsche Weg, um zu einem multilateralen Abkommen zu gelangen.

Allein China verfügt heute über rund 2.000 Mittelstreckenraketen, die mit Reichweiten von über 2.000 Kilometern zwar  US-amerikanische Ziele im Pazifik und im asiatischen Meer erreichen können, allerdings nicht das Festland der USA. Das Territorium Russlands liegt hingegen in der Reichweite nicht nur dieser chinesischen Raketen. Auch alle anderen Staaten, die heute über Mittelstreckenraketen verfügen - Nordkorea, Südkorea, Iran, Israel, Indien und Pakistan - können mit diesen Waffen Ziele in Russland erreichen. Daher ist der bilaterale INF-Vertrag aus sicherheitspolitischer Sicht Moskaus schon seit geraumer Zeit nicht mehr ausreichend.

Russland
Bei seinem ersten Auftritt vor der Münchner Sicherheitskonferenz im Februar 2007 erklärte Präsident Putin: „Der bilaterale INF-Vertrag von 1987 hat keinen universellen Charakter. Inzwischen haben viele andere Länder Raketen mit diesen Reichweiten. Weitere Länder entwickeln solche Raketen und planen, sie in ihr Waffenarsenal aufzunehmen. Doch nur die USA und Russland haben sich verpflichtet, derartige Raketen nicht herzustellen.In dieser Situation müssen wir darüber nachdenken, wie wir unsere eigene Sicherheit gewährleisten können.“

Und anlässlich des 20. Jahrestages der Unterzeichnung des INF-Vertrags erklärten Russland und die USA im Oktober 2007 in einem gemeinsamen Statement vor der UNO-Generalversammlung: „Wir sind besorgt über die Weiterverbreitung von Kurz- und Mittelstreckenwaffen. Russland und die USA rufen alle interessierten Staaten auf, darüber zu diskutieren, durch eine Zerstörung  ihrer Kurz- und Mittelstreckenraketen und den Verzicht auf entsprechende Entwicklungsprogramme zu einer Globalisierung des INF-Vertrags beizutragen. Damit würden sie dazu beitragen, die Weiterverbreitung von Atomwaffen zu verhindern. Russland und die USA sind bereit zur Zusammenarbeit mit allen interessierten Staaten, um die Weiterverbreitung dieser Raketen zu verhindern und den Frieden in der Welt zu stärken.“

UNO-Abrüstungskonferenz
Es ist höchste Zeit, diese Absichtserklärung aus dem Oktober 2007 endlich umzusetzen. Der geeignete Ort für multilaterale Verhandlungen über ein weltweites Verbot von Kurz- und Mittelstreckenraketen, die mit atomaren Sprengköpfen bestückt werden können, wäre die ständige UNO-Abrüstungskonferenz in Genf. In dieser Konferenz wurden auch auch das weltweite Verbotsabkommen für Chemiewaffen ausgehandelt - unter Beteiligung von Staaten, die chemische Massenvernichtungswaffen zu Beginn der Verhandlungen noch in großen Mengen in ihren Arsenalen hatten und für unverzichtbar hielten. Ein multilateraler Vertrag über das weltweite Verbot von atomar bestückbaren Kurz- und Mittelstreckenwaffen wäre auch ein wichtiger Zwischenschritt zur Umsetzung des 2017 von einer großen Mehrheit der  UNO-Generalversammlung beschlossenen Abkommens über ein vollständiges, global gültiges Verbot von Atomwaffen. Umgekehrt steht zu befürchten, dass es nach einem endgültigen, ersatzlosen Scheitern des bilateralen INF-Vertrags zumindest in Europa zu einer Aufrüstungsspirale mit dieser Waffenkategorie kommt. Damit würde die Umsetzung eines globalen Atomwaffenverbots in ganz weite Ferne rücken. Die Friedensbewegung sollte eine Kampagne starten für Verhandlungen der UNO-Abrüstungskonferenz über ein multilaterales INF-Abkommen.

Gegenseitige Vorwürfe zwischen Washington und Russland

Die Trump-Administration rechtfertigt ihren Ausstieg aus dem INF-Abkommen mit dem Vorwurf, Russland habe unter Verstoß gegen den Vertrag eine neue landgestützte Mittelstreckenrakete vom Typ 9M729 (Nato-Code: SSC-8) entwickelt mit Reichweiten bis 2.600 Kilometer. Russland habe bereits 64 dieser Raketen stationiert, und zwar an vier verschiedenen Standorten (bei einem Ausbildungsbataillon auf dem südrussischen Testgelände Kapustin Jar und einem Bataillon in Kamyschlow östlich von Jekaterinburg sowie auf einem Militärstützpunkt in Schuja bei Moskau und in Mosdok in Nordossetien), verbreiteten Medien in Deutschland, den USA und anderen NATO-Staaten am 10. Februar unter Berufung auf nicht näher spezifizierte „westliche Geheimdienstkreise". Moskau bestreitet den Vorwurf der Vertragsverletzung und erklärt, die neue Rakete bleibe mit lediglich 480 Kilometern Reichweite unterhalb der Verbotsgrenze des Abkommens. Umgekehrt behauptet Russland, die USA würden mit ihrem im rumänischen Deveselu sowie in Polen stationierten Raketenabwehrsystem vom Typ Aegis Ashor gegen das INF-Abkommen verstoßen. Denn die Startgeräte vom Typ MK 41 für die Abwehrraketen würden die USA auch auf Kriegsschiffen verwenden für den Abschuss von seegestützten Marschflugkörpern vom Typ Tomahawk. Daher, so Moskau, könnten diese Marschflugkörper auch von dem landstationierten System in Rumänien abgeschossen werden. Washington bestreitet dies.

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