Verbraucherinnen-Boykott: die Macht der "kleinen Leute"

von Christoph Besemer

Was konnen wir denn schon tun? heißt 'es oft, wenn der kleine Mann/die kleine Frau auf der Straße" auf ein bestimmtes Unrecht hin angesprochen wird. Und dabei sind gerade sie, die mit ihrem Geld die Macht der Konzerne schaffen. So z. B. ergibt die millionenfach abgesetzte Cola-Büchse trotz des geringen Preises, den jede/r' einzelne dafür bezahlt, ein Imperium, das den US-Kultur- und Wirtschaftskolonialismus in den letzten Winkel der Erde trägt. Der koordinierte Verzicht auf solche alltägliche Kaufgewohnheiten dagegen kann Machtkolossen das Fürchten lehren.

Die schwarzen Gemeinden in Philadelphia haben 1960-62 gezeigt, wie man/frau mit gezielten Einkaufsboykotts Giganten wie ESSO, a & p und andere zu Gesprächen, qualifizierten Arbeitsplätzen für Schwarze und Abbau von diskriminierenden Regelungen bewegen kann. Und das in durchschnittlich weniger als einem Monat. In den Niederlanden wurde geschafft, was bei uns immer noch Wunschtraum einer alternativer Linker ist: "Blut-Kaffee" (aus Angola in diesem Fall, 1972) und Orangen aus Südafrika (1972) wurden in wenigen Monaten nicht mehr vermarktet. Wenn sozialer Widerstand den Machtentzug für die Strukturen meint, die unser Gesellschafts- und Wirtschaftssystem ausmachen und - am Leben erhalten - also- nicht so sehr symbolische Aktionen im Freizeitbereich, dann sind Verbraucherlnnnen-Boykotts mustergültige Beispiele dafür, wie breite Bevölkerungsteile "aktiv" werden können und konkrete Forderungen durch die "Abstimmung mit dem Geldbeutel" durchsetzen können. 
Auch in der BRD gab und gibt es einige Versuche, durch Verbraucherlnnen-Boykotts politisch-wirtschaftlichen Druck auszuüben. Allerdings sind hierzulande Boykotts mit politischer Zielsetzung bislang nicht besonders erfolgreich gewesen. Während z.B. ein Fleischboykott wegen überhöhter Preise (1973) in Baden-Württemberg nach wenigen Wochen ein Erfolg war, brachten 10 Jahre Nestle-Boykott ("Nesile tötet Babies"). lediglich einen Teilerfolg, lind 10 Jahre Südafrika -Früchteboykott machten sich erst in der letzten Zeit geringfügig in Umsatzeinbußen bemerkbar.

Daß dies nicht allein an der politischen Zielsetzung liegen kann, zeigen erfolgreiche Beispiele aus anderen Ländern: erst jüngst (1985/86) zeigten Kinder und Jugendpädagogen in Dänemark, wie auch zum Thema Südafrika ein erfolgreicher Boykott auf die Beine gestellt werden kann: ein jähriger "LEGO"-Boykott konnte mit dem Rückzug der Firma LEGO aus Geschäften in und mit Südafrika offiziell - beendet werden. Auch in Schweden konnte ein wegen Südafrika-Geschäften verhängter Boykott von SHELL-Tankstellen nach Zugeständnissen der Firma aufgehoben werden.

Ein Vergleich unterschiedlichster  Verbraucherinnen-Boykottkampagnen . Die Erinnerungen an die Boykott jüdischer Geschäfte läßt viele vom Gebrauch der Waffe. VerbrauerlnnenBoykott zurückschrecken. Tatsächlich können nicht alle Boykotts von vornherein als gewaltfreie Aktionsform bezeichnet werden. Wichtige Kriterien dafür sind die Freiwilligkeit an der Boykott-Teilnahme, keinerlei Drohung mit der Anwendung von Gewalt, die Zielperspektive von mehr sozialer Gerechtigkeit und die anhaltende Dialogbereitschaft legt folgende Kriterien für einen er-folgversprechenden Boykott zutage:

  1. Es muß um eine als schwerwiegend beurteilte Streitfrage mit moralischem Kern gehen, die geeignet ist, Betroffenheit und Engagement zu wecken.
  2. Es muß eine solide organisatorische Basis für den Boykott geben, und die Aktivitäten müssen koordiniert werden.
  3. Die organisierende Gruppe muß über ausreichende Kaufkraft bzw. Marktmacht verfügen und/oder die Möglichkeit, entsprechende Verbündete für die Beteiligung am Boykott zu gewinnen.
  4. Der Boykott ist auf leicht identifizierbare und möglichst wenig Produkte (im Idealfall nur ein Produkt) zu konzentrieren. Der Zusammenhang zwischen dem zu boykottierenden Produkt und der moralischen Streitfrage sollte leicht ersichtlich sein Ersatzprokukte sollten zur Verfügung stehen.
  5. Die Verbreitung der notwendigen Boykottinformation und' -Propaganda muß gewährleistet sein. Das öffentliche Interesse muß über eine längere Zeit an der Boykott-Streitfrage aufrechterhalten werden können.
  6. Die Boykottaktion im engeren Sinn sollte durch andere gewaltfreie Aktionsformen ergänzt werden. Wahrscheinlich liegt die mangelnde Effektivität der wenigen Boykottversuche in der Bundesrepublik daran, daß man sich bei der Auswahl der Boykottprodukte verzettelt Und mit deutscher Gründlichkeit gleich alles boykottieen möchte, was in irgendeiner Weise mit dem bekämpften Unrechtszustand zusammenhängt, Dadurch verpufft aber auch die Boykott-Wirkung; Zum Thehma Südafrika wäre es sicher sinnvoll, sich lediglich die eine die zwei Banken vorzunehmen, die am meisten ins Südafrikageschäft verstrickt sind. Die Erfahrung zeigt, daß kleinere Unternehmen meist von alleine umschwenken, wenn die Marktführer zum Einlenken veranlaßt werden konnten. Zudem ist die Verbindung Geld (für Militär, Polizei, Oberwachungssysreme etc.) -  Unterdrückung augenfälliger als etwa die Verbindung Obst (aus Südafrika) - Unterdrückung.

Ein weiteres Handicap besonders in Deutschland sind die negativen Erfahrungen mit Boykotts in der Nazi-Zeit.
 

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