Fritz-Bauer-Preis

Verständigungsschwierigkeiten zwischen Juristen und Historikern

von Helmut Kramer
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( c ) Netzwerk Friedenskooperative

Die Humanistische Union (HU) hat am 9.10.2010 den Fritz-Bauer-Preis an den früheren Richter am OLG Braunschweig, Dr. Helmut Kramer, verliehen. Fritz Bauer war hessischer Generalstaatsanwalt und hat in den 60er Jahren gegen viele Widerstände die Verfolgung nationalsozialistischer Verbrechen ermöglicht, u.a. den Auschwitzprozess. In der Einladung zur Preisverleihung schreibt die HU: „Helmut Kramer hat sich wie kein zweiter der Aufgabe verschrieben, die Hinterlassenschaften des Nationalsozialismus aufzuarbeiten: Sein Name steht gleichermaßen für die Rehabilitierung der Opfer, für die lokalhistorische Dokumentation der Verbrechen, für die Aufdeckung personeller Kontinuitäten in der bundesdeutschen Justiz, die Aufhebung des NS-Unrechts und die rechtshistorische Bildungsarbeit.“ Die Preisverleihung fand auf Wunsch des Geehrten im Kölner EL-DE-Haus statt, in dem von 1935-1945 die Gestapo-Zentrale samt einem Gefängnis der Gestapo untergebracht war und das heute als Ausstellungs- und Dokumentationszentrum gestaltet ist. Helmut Kramer ist auch aktiv in der Friedensbewegung engagiert. U.a. hat er Personen vor Gericht verteidigt, die Bundeswehrsoldaten zur Desertion während des Angriffskriegs gegen Jugoslawien (1999) aufgerufen hatten. Hervorzuheben ist hier auch sein mit Wolfram Wette herausgegebenes Werk „Recht ist, was den Waffen nützt (2004).“ (Vgl. Besprechung im FriedensForum 6/2004.) Als die Hinrichtungsstätte des NS-Regimes in der Justizvollzugsanstalt Wolfenbüttel abgerissen werden sollte, hat sich Helmut Kramer für einen Erhalt und Ausbau als Gedenkstätte eingesetzt. In seinem Dankvortrag nach der Verleihung des Fritz-Bauer-Preises ging er hierauf ein. Wir dokumentieren den entsprechenden Auszug aus seiner Rede.

Warum eine Gedenkstätte gerade in Wolfenbüttel? Hier gibt es seit etwa drei Jahrhunderten ein Gefängnis. Es liegt noch in der Altstadt von Wolfenbüttel. Und mitten in dem Gelände der Justizvollzugsanstalt gibt es eine der größten Hinrichtungsstätten des Dritten Reiches. Schon die Entstehung ist bemerkenswert. Es war das Jahr 1938, als den Planern des NS-Vernichtungskrieges in Berlin einfiel, dass ein solcher Krieg nicht ohne Unterdrückung und Grausamkeit gegenüber den eigenen Bürgern durchführbar ist. In diesem Fall also nicht ohne eine Sondergerichtsbarkeit einschließlich des Volksgerichtshofs. Konkret: Schon im September 1938 rechnete man mit einem erhöhten Hinrichtungsbedarf. Welch eine Vorgeschichte, welch ein Anschauungsunterricht für Schüler und andere Besucher der Gedenkstätte.

Übrigens hat man sich bei der Architektur des Tötungsgebäudes Mühe gegeben: Im Unterschied zu den anderen Hinrichtungsräumen des Dritten Reiches – auch in Plötzensee gingen die Vollstreckungen in einem Raum des Gefängnisgebäudes vonstatten – hatte man eigens ein neues Gebäude errichtet, zweistöckig und mit einem Uhren- und Glockenturm. Hinrichtungen wurden schon seit dem Mittelalter eine sakrale Weihe verliehen. Ähnlich wie die Juristen taten auch die Theologen das Ihrige, um Grausamkeit zu legitimieren, als etwas Gutes und Wertvolles zu verbrämen. Deshalb wurde vor und nach Hinrichtungen in Wolfenbüttel die Glocke geläutet. Erst als das immer häufigere Glockenläuten die Anwohner der angrenzenden Wohnhäuser beunruhigte, hörte man damit auf. In den Jahren 1939 bis 1945 wurden hier in Wolfenbüttel weit über 600 Menschen hingerichtet. Darunter viele ausländische Widerstandskämpfer, auch Zwangsarbeiter, ein Jude, sog. Volksschädlinge und Wehrkraftzersetzer.

Im Jahre 1983 erfuhr ich, dass das niedersächsische Justizministerium plante, die Hinrichtungsstätte abzureißen und durch ein Wirtschaftsgebäude zu ersetzen. Von mir organisierte protestierende Unterschriften waren vergeblich. Die gesamte Presse, die überregionalen Medien, aber auch die Lokalpresse schwiegen. Mit einer Ausnahme: Mein Freund Eckart Spoo berichtete in der Frankfurter Rundschau über den Skandal. Doch auch das nützte nichts. Ebensowenig wie mein im Auftrag der Gewerkschaft ÖTV mit dem niedersächsischen Justizminister Werner Remmers geführtes Gespräch. Dieser bekräftigte die Abrissentscheidung sogar im niedersächsischen Landtag. Fast in letzter Stunde wandte ich mich mit etwa 100 Schreiben an das Ausland, dort an viele Organisationen der NS-Verfolgten und ehemaligen Widerstandskämpfer. Dies in den wichtigsten europäischen Sprachen. Die dadurch ausgelösten rund 60 Protestschreiben an das niedersächsische Justizministerium brachten den Durchbruch. Der Minister mußte den Rückzug antreten. Auch gab er der Forderung der Gewerkschaft ÖTV nach und gründete eine Gedenkstätte. Von dieser interessanten Vorgeschichte findet sich in der Gedenkstätte kein Wort. Der Gedenkstättenleiter hat diese Geschichte vollständig getilgt.

Immerhin haben mein Freund Joachim Perels sowie drei weitere für die Probleme der NS-Justiz aufgeschlossene Historiker mit mir gemeinsam bis 1999 eine Ausstellung erarbeitet. Untergebracht ist sie in Räumen des Gefängnisses. Nach Anmeldung kann sie von Gruppen und einzelnen Bürgern besichtigt werden. Zur Besonderheit einer Gedenkstätte zur NS-Justiz erinnere ich daran: Im Unterschied zu der Arbeit der meisten anderen Gedenkstätten, die es mit brutalen handgreiflichen Menschenrechtsverletzungen (begangen u. a. mit Schusswaffen, Giftgas und Folterungen) zu tun haben, ist das Tatwerkzeug mordender Juristen die verschleiernde Sprache, die juristische Methode.

Diese Eigenart erforderte eine besondere Ausstellungskonzeption: Für die erste Orientierung gibt es die großen Stelltafeln, geordnet teils nach Zeitabschnitten, teils nach Aspekten. Bei der Ausstellungseröffnung im Jahre 1999 waren die Schautafeln vollständig geschaffen. Wie bei vielen modernen Ausstellungen gehört zu der Konzeption auch der Ausstellung in Wolfenbüttel, dass sich interessierte Ausstellungsbesucher nähere Informationen beschaffen können. Unverzichtbar war dies gerade wegen der Besonderheit der NS-Justiz, über deren Struktur besonders informiert werden muss, nämlich über die Arbeitsweise und Mentalitäten der damaligen Juristen, auch über die Fortsetzung nach 1945, also darüber, dass viele dieser Juristen nach 1945 nicht nur von Strafverfolgung verschont blieben, sondern sogar ihre Karrieren fortsetzen durften.

Für all dies sind in den Tafelgestellen unterhalb der Schautafeln Aktenschuber vorgesehen, aus denen die Ausstellungsbesucher Aktenordner herausziehen können mit Opferbiographien, Täterbiographien und Themenordnern.

Für die Täterbiographien hatten wir etwas ganz Besonderes geschaffen. Das war der sog. „Täterturm“: Ein auf einem Tisch platziertes schwarzes vierseitiges Aktengestell. Die darin vorhandenen 32 Aktenschuber sind zur Aufnahme der Täterbiographien bestimmt. Bei der Ausstellungseröffnung im Jahre 1999 hatte der Gedenkstättenleiter erst vier Täterakten erstellt, obgleich ich ihm die nötigen Unterlagen zur Verfügung gestellt hatte. Die nötige Ergänzung steht bis heute aus. Allerdings hat der Gedenkstättenleiter den „Täterturm“ etwa um die Jahreswende 2007/2008 spurlos verschwinden lassen. Er steht jetzt auf dem Dachboden der Justizvollzugsanstalt.

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Dr. jur. Helmut Kramer (*1930) ist Richter am Oberlandesgericht i.R. und hat u.a. das Forum Justizgeschichte e.V. mitbegründet. Im Oktober 2012 erscheint im Aufbau-Verlag, herausgegeben von Joachim Perels und Wolfram Wette, der Sammelband „Mit reinem Gewissen. Wehrmachtrichter in der Bundesrepublik und ihre Opfer“ mit den Vorträgen, die auf dem Symposium zu Helmut Kramers 80. Geburtstag gehalten wurden. Am Ende des Buches beschäftigt sich Kramer noch ausführlicher mit der Rückkehr der Kriegsjustiz.