Verteidigungsrede

Der S3jährige Pfarrer und Religionslehrer Klaus Heidenreich war vor dem Amtsgericht Pirmasens angeklagt wg. "Nötigung" während der Sitzdemonstrationen im Sommer 1988 vor dem US-Giftgas-Depot Fischbach. Das Urteil vom 6. 1. 1989: Geldstrafe von 30 Tagesätzen zu je 70,- DM. Das "Friedensforum" dokumentiert in Auszügen seine Verteidigungsrede.

"Sie, Herr Staatsanwalt, werfen mir vor, Fahrzeugführer, die das Tor 1 und 8 passieren wollten, an der Weiterfahrt gehindert zu haben. Mit dem Hinweis auf §240 StGB qualifizieren Sie dies als verwerfliche Gewaltkriminalität.
Die freie Passage für das Fischbach-Depot muß also ein sehr hohes Rechtsgut sein.  Ich denke darüber nach, was in Fischbach passiert, wenn dort keiner sitzt, wenn die Räder rol¬len und die freie Durchfahrt nicht be-hindert wird.
Das US-Depot Fischbach ist ein riesiges Lager für Atom- und Giftgasmunition. Ein Ort also, vollgestopft mit zwei Arten von Zerstörungsmitteln, die zur Vernichtung ganzer Völker und zur Verwüstung der Erde geeignet sind. Diese Massenvernichtungsmittel werden dort gelagert, gewartet, trans¬portiert und einsatzbereit gehalten. Dazu ist offensichtlich täglich ein erheblicher Bedarf an Arbeit und Transportkapazität notwendig.
Freie Fahrt für Fischbach, das bedeutet, daß die Technologie des Massenmordes reibungslos up to date gehalten wird. Die Räder rollen für den Tod.
Was Sie, Herr Staatsanwalt, da vor mir und meinesgleichen schützen, bezeichnet der Weltrat der Kirchen als Ver¬brechen gegen die Menschheit - A Crime against Humanity (Vancouver, 10. 8. '83).
Gemeint ist nicht erst der Einsatz, sondern schon Entwicklung, Produktion, Stationierung, Wartung und bloßer Besitz von atomaren, chemischen und biologischen Massenvernichtungswaffen.
Der ganz gewöhnliche Alltag von Fischbach ist, daß da keiner sitzt und die Räder ungehindert rollen.
Und dieser Alltag, was bedeutet er? Dieser ganz gewöhnliche Alltag bedeutet, daß Fischbach Teil einer permanenten
Vorbereitung eines ungeheuerlichen: Verbrechens an der Menschheit ist. Und das Ganze vor un¬seren Augen tagtäglich in Fischbach und anderswo.
Daß da das ganze Jahr über niemand die Weiterfahrt behindert: das ist der eigentliche Skandal.
Denn nicht bloß aktive Beteiligung am Unrecht, sondern schon bloßes Unterlassen und Stillhalten, Wegsehen und Gewährenlassen macht mitverantwortlich für das Unrecht.
Und deswegen habe ich mich hingesetzt.
Der Herr Staatsanwalt aber sieht dieses Unrecht nicht. Er sieht nur Räder und daß sie still stehen. Alles andere blendet er aus. Er gestattet uns nicht einmal einen Blick auf die Fahrzeuge, die zu diesen Rädern gehören. Er nimmt nicht einmal wahr, daß es Militärfahrzeuge sind. Er blendet erst recht aus, wozu diese Räder rollen und was hinter den Toren von Fischbach geschieht.
Er ist blind für das Verbrechen, das da Tag für Tag im Gange ist.
Nur so gelingt es ihm, mich als Verkehrsrowdy zu definieren,
Das schmerzt mich, Herr Staatsanwalt. Ich muß Sie enttäuschen: Sie unterschätzen mich. So harmlos bin ich nicht. Ich habe mich in Fischbach vor tonnenschwere Trucks gesetzt, um wenigstens für kurze Zeit das Räderwerk dieser Massenmordtechnologie symbolisch anzuhalten.
Die Räder der Trucks sind Symbol für das Ganze des Räderwerks. Das Räderwerk garantiert, daß die Technologie des Völkermords jederzeit verfüg¬bar ist. Die Räder der Trucks für kurze Zeit zum Stehen bringen durch eine Sitzblockade - wie im Sommer geschehen - ist eine Symbolhandlung für die Notwendigkeit, das ganze System still¬zulegen. Jenes System, daß die Erde mit Verwüstung bedroht.
Diese Räder mit dem eigenen Körper zum Halten zu bringen - und nur mit dem eigenen Körper, mit sonst nichts, verletzlich und ungeschützt -, das ist für mich von allergrößter Bedeutung. Ich setzte mich damit bewußt der Gefahr aus, daß ich unter die Räder komme. Wenn sie weiterollen, töten sie mich. So wie das ganze System der Massenvernichtungstechnologie mein Leben ständig mit dem Tode bedroht, solange das System funktioniert.
Ich schildere Ihnen das, um einsichtig zu machen, daß es falsch ist, mein Handeln in Fischbach auf bloße Verkehrsbehinderung zu reduzieren.
Es in Nah- und Fernziele zu zerlegen, ist ebenso falsch. Denn mein Nahziel ist nicht - wie es so schön juristisch heißt - "Verkehrbehinderung zum Zwecke höherer Aufmerksamkeit für meine Meinung", sondern Nah- und Fernziel sind identisch, nämlich das Räderwerk der Zerstörung anzuhalten."

"Soldaten sind potentielle Mörder"
hatte Heinrich Häberlein, Bundessprecher der DFG-VK, in Bayern öffentlich behauptet. Jetzt wurde er vom Amtsgericht Sonthofen vom Vorwurf der Beleidigung der Bundeswehr und der Volksverhetzung freigesprochen. Selbst die Staatsanwaltschaft hatte die¬sen Freispruch beantragt.
Häberlein habe, so das Gericht, seine Äußerung nicht nur auf die Bundes¬wehr, sondern auf alle Armeen dieser Welt bezogen. Außerdem habe er sich möglicherweise in einem sog. "Verbotsirrtum" befunden, weil im Dezember '87 das Landgericht Frankfurt mit drei Berufsrichtern den Angeklagten in einem ähnlichen Fall freigesprochen hatte.
Der ursprünglich auf Anzeige von Bundeswehr-Angehörigen festgesetzte happige Strafbefehl von 80 Tagessätzen á 100 DM wurde somit aufgehoben.

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