Die Angst vor dem Einsturz eines wohlbehüteten und bequemen Weltbilds

Viele ungeklärte Fragen

von Matthias Reichelt

Nicht irgendwelche Theorien über die Hintergründe der Terrorangriffe am 11. September 2001 sind das Problem, sondern die Geheimhaltung zahlreicher Dokumente, die Nichtbefragung von Zeugen, die Nichtfreigabe von Filmmaterial und letztendlich die offizielle Version der US-Regierung, die an allen Ecken und Enden Widersprüche erkennen lässt. Sehr überzeugend charakterisieren die beiden Autoren, Mathias Bröckers und Christian C. Walther, in ihrem neuen und sehr empfehlenswerten Buch mit dem Untertitel "Der Einsturz eines Lügengebäudes" das Märchen von Osama bin Laden und seinen 19 mit Teppichmessern bewaffneten Hijackern als Verschwörungstheorie, die keiner Überprüfung standhält.

In 38 Kapiteln behandeln die Autoren minutiös die Ungereimtheiten, Ermittlungsfehler und -versäumnisse der Behörden und die offenen Fragen, die auch zehn Jahre danach noch einer Untersuchung harren. Denn der Ende 2002 gegen massive Widerstände in der Bush-Adminstration und maßgeblich auf Druck von Opferangehörigen durchgesetzte Untersuchungsausschuss hat in seinem 2004 veröffentlichten Abschlussbericht viele Fragen nicht beantwortet und wesentliche Fragen erst gar nicht gestellt. Die entstandene Verwirrung bei der militärischen und zivilen Luftraumüberwachung wegen der terroristischen Angriffe am 11. September und der vom 9. bis 11. September stattfindenden Militärübungen "Vigilant Warrior" und "Vigilant Guardian" mit der Simulation von Flugzeugentführungen hatte verheerenderweise ein komplettes Versagen der Flugabwehr sogar über dem bestgeschützten Gebäude der Welt, dem Pentagon, zur Folge. Neben dem Einsatz echter Flugzeuge, die auf den Radarschirmen angezeigt wurden, waren auch Signale der simulierten Flüge auf den Schirmen sichtbar, die spätestens nach dem ersten Einschlag zu einer "entwaffnenden" Konfusion bei den Behörden führten. Hinzu kam das Ausbleiben eines Befehls, Abfangjäger aufsteigen zu lassen. Üblicherweise hatte der jeweils diensthabende Offizier die Hoheit über diesen Befehl. Dieses Procedere war aber acht Wochen zuvor geändert und in die Hände von Verteidigungsminister Donald Rumsfeld gelegt worden. Dieser ließ sich offenbar auch nach Bekanntwerden des ersten Einschlags durch nichts aus der Ruhe bringen und setzte sein Tagesprogramm bis zum Einschlag eines "Flugobjekts" im Pentagon weiter fort.

Das klingt alles unglaublich und ist doch nur ein kleiner Teil aller Ungereimtheiten und Widersprüche, die einer dringenden Klärung bedürfen. Auch die Frage der Finanzierung der Angriffe ist nach wie vor unklar. Der Kommissionsbericht schätzt die Kosten auf 500000 US-Dollar, hat aber keinerlei Erklärung über Quellen und Geldfluss. Überhaupt war die Kommission von vorneherein nicht ausreichend mit Kompetenzen ausgestattet. Fragen stellen durfte sie, aber keine Antworten erzwingen. Viele Zeugen bekamen kein Aussagerecht. Die Verhörprotokolle des 183mal des Waterboarding unterzogenen und in Guantánamo inhaftierten Khalid Scheich Mohammeds blieben der Kommission ebenso verschlossen, wie es ihr verwehrt war, den Zeugen selbst oder die "Verhörenden" zu befragen. Nur gefilterte Berichte bekam sie zu sehen. Dennoch beruhen ca. 40 Prozent aller Quellenangaben im Kommissionsbericht auf seinen unter Folter gemachten Aussagen. "Wir waren zum Versagen verurteilt", lautete das ernüchternde Resümee der Kommissionsvorsitzenden, die Senatoren Thomas Kean und Lee H. Hamilton, die nicht gerade als Skeptiker gegenüber der offiziellen Version bekannt waren.

Zahlreiche Vorkommnisse vor "9/11", wie das unbehinderte Einreisen von "registrierten" und seit 1998 unter Beobachtung stehenden Terrorismusverdächtigen mit offiziellen Kontakten zu Diplomaten, wurden nicht genauer untersucht. Die Dolmetscherin Sibel Edmonds, nach den September-Anschlägen vom FBI eingestellt, stieß bei der Übersetzung von abgehörten Gesprächen im Vorfeld des "9/11" auf einen Coup mit Personen der Geheimdienste aus der Türkei, Israel, Pakistan und den USA. Keiner ihrer Vorgesetzten wollte dem nachgehen. Als sie sich an immer höhere Dienststellen wandte, wurde sie im März 2002 mit einem Schweigegebot entlassen.

Ohne eine eigene Theorie in den Vordergrund zu stellen, die die Autoren sich für ihr Nachwort vorbehalten, befassen sie sich sehr faktenreich mit den Widersprüchen und Defiziten der offiziellen Version und listen am Ende jedes Kapitels die vorzuladenden Zeugen und Involvierten für eine neue Untersuchung auf.

Nachdem das Buch wider Erwarten im ARD-Magazin "Titel, Thesen, Temperamente" eine positive Behandlung erfuhr, regte sich in der FAZ Raphael Gross in völliger Unkenntnis des Buches auf und schwang die bekannten Keulen, mit denen im gegenwärtigen Klima Denkverbote ausgesprochen werden: Verschwörungstheorie, Antiamerikanismus und Antisemitismus. Wie der Vorwurf des Antisemitismus als Herrschaftsinstrument in Israel und auch in Deutschland funktionalisiert wird, hat Moshe Zuckermann im vergangenen Jahr in seinem gleichnamigen Buch nachgewiesen. Dieser Vorwurf wird an allen Fronten eingesetzt, so auch gegen alle, die Zweifel an der offiziellen "9/11"-Version hegen.

Es ist gut, dass Mathias Bröckers sich ein dickes Fell zugelegt hat. Der Publizist Henryk M. Broder hatte ihn schon gleich am 14. September 2001 öffentlich pathologisiert und insgeheim gehofft, dass Bröckers eines Tages als Fettfleck an einer Hochhauswand enden werde. Die Vermeidungsstrategien aus Angst, dass das eigene und wohlbehütete Weltbild vom Einsturz gefährdet sein könnte, werden auf die Dauer nichts nützen. In den USA ist das Heer der Skeptiker größer. In vielen Berufsgruppen - Feuerwehr, Ingenieure, Architekten, Statiker - haben sich Fachleute zu Verbänden zusammengeschlossen und kämpfen für eine neue Untersuchung.

In Folge der offiziellen "9/11"-Version wurden zwei Kriege geführt, die mehrere hunderttausend Tote verursachten. Gründe genug, eine neue Untersuchung zu fordern.

Aus: Junge Welt Wochenendbeilage 10./11.9.2011, http://www.jungewelt.de/2011/09-10/004.php

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