Vielfältig für ein Ziel

von Monty Schädel

Mit etwa 80.000 Teilnehmenden an der Internationalen Demonstration am 02. Juni, fast 10.000 Teilnehmenden an der Demonstration von MigrantInnen und UnterstützerInnen für offene Grenzen und gegen Rassismus am 04. Juni, mehr als 5.000 Teilnehmenden am Alternativgipfel und mehr als 10.000 Teilnehmenden an den Blockaden des Tagungsgeländes rund um Heiligendamm und daneben mehr als 100 anderen Protestveranstaltungen unterschiedlicher Thematik und Aktionsform, war der Protest gegen die Tagung der G8 ein Großereignis besonderer Art.

Dass die Aktionen mit antimilitaristischer Ausrichtung (u.a. 30.05. Verhüllung des Rostocker Büros des Rüstungskonzerns EADS, 01.06. symbolische Besiedelung des geplanten Luft-Boden-Schießplatz - Bombodrom - in der brandenburgischen Kyritz-Ruppiner-Heide, 05.06. antimilitaristischer Aktionstag mit einem Antimilitaristischen Stadtrundgang in Rostock und Protesten am Fliegerhorst Laage sowie die Diskussionsveranstaltungen im Rahmen des Alternativgipfels) dagegen eher klein ausfielen, lag wohl an der Spezifik der Aktionen (räumlich - z.T. sehr weit außerhalb von Rostock oder an verschiedenen Orten im gesamten Stadtgebiet - sowie organisatorisch - späte Mobilisierung und halblegale Vorbereitung).

Möglich wurde der letztlich erfolgreiche Protest durch eine weitgehende Kooperation und Abstimmung der Aktivitäten im Vorfeld und z.T. langwierige Beratungen und Verhandlungen unter- und miteinander. Dass es so kommen wird, wie es gekommen ist, war dabei nicht immer klar. In großen Teilen war es sogar heftig umstritten. Doch durch die Hartnäckigkeit einzelner und die z.T. große Kompromissbereitschaft aller, konnte ein gemeinsames Ziel - ein großer beeindruckender Protest - formuliert werden. Dass dieses wiederum nur unter der Einbeziehung möglichst vieler, wenn nicht gar aller globalisierungskritischer Spektren und Bewegungen erreicht werden kann (selbstverständlich für alle: ausgenommen Nazis), hat sich im Laufe der Diskussionen nicht nur als Meinung durchgesetzt, sondern war vor allem die Erfahrung der Proteste vergangener Jahre. Natürlich konnte hier und da auf Erfolge verwiesen werden: die Einen zeigten auf Aktionen, die Teile eines Gesetzes verhindert zu hatten, andere verwiesen auf Demonstrationen mit einer großen Teilnehmendenzahl (wobei "Groß" relativ war), die Nächsten waren mehrfach in den Medien erschienen und wiederum andere konnten literarische Schriften vorweisen, doch in ihrer Gesamtheit hatten sie nicht wirklich etwas verändern oder aufhalten können. - Diesmal sollte es anders werden!

Dass der G8-Gipfel für das "Diesmal soll es anders werden!" eine gute Gelegenheit ist, wurde im Verlauf der Vorbereitungen zunehmend bewusst. Bereits im Spätwinter 2006 trafen sich, nur drei Monate nach der Bekanntgabe Heiligendamms als Tagungsort für den G8-Gipfel 2007, in Rostock 12-15 Aktive unterschiedlicher Spektren und Strukturen, um über eine gemeinsame Vorbereitung des Protestes zu beraten. Bereits in dieser kurzen Zeit waren sie mit Anforderungen und Anfragen aus dem Bundesgebiet konfrontiert worden und zu der Einsicht gelangt, dass dieses "Große" nicht in den bisherigen Bündnissen und Strukturen zu bewältigen war. Über bisherige (Bündnis-)Grenzen hinweg, verständigte man sich auf die gemeinsame Vorbereitung des Protestes in der Region. Dass Strukturen in bisherigen Spektren- und Organisationsgrenzen daneben auch regional agierten, unterstützte die gemeinsame Vorbereitung mehr als dass sie dadurch behindert oder negativ beeinträchtigt wurde. Es gab ein für alle spürbares und von allen gewolltes "Miteinander".

Bundesweit versuchten zunächst zwar noch einzelne globalisierungskritische Strukturen, ihren Protest in Rostock und Umgebung allein und losgelöst von den Vorbereitungen unterschiedlicher Bündnisse zu planen, doch kamen auch diese Planungen spätestens im Rostocker Bündnis zusammen. In allen Spektren und in allen thematischen Zusammenhängen, in Bewegungen und Organisationen reifte nach und nach die jahrhundertelange Erfahrung zur Einsicht: Gemeinsam können wir dem etwas entgegen setzen. Dabei entstanden auch bundesweit wie zuvor bereits in der Region Rostock Zusammenarbeiten zwischen Strukturen, die über lange Jahre hinweg nicht zueinander gefunden hatten. Dass dabei auch so manches Vorurteil gepflegt, aber auch über Bord geworfen wurde, dass alte Kämpfe immer wieder neu ausgefochten aber auch beigelegt wurden und persönliche Differenzen offen ausgetragen, aber auch persönliche Freundschaften geknüpft und gefestigt wurden, liegt in der Gesetzmäßigkeit menschlichen Miteinanders. Im Ergebnis dessen saßen in den Vorbereitungsberatungen des so genannten "Hannoverkreises" Menschen aus all den Bereichen, die mindestens eine Winzigkeit an der Globalisierung der G8 zu kritisieren hatten und etwas zum gemeinsamen Protest beitragen wollten. Weitestgehend gefehlt haben DIE Parteien und DIE Gewerkschaften. Natürlich waren Aktive auch aus diesen Strukturen mit am Tisch, doch im historischen Vergleich spielten sie in dieser Vorbereitung und Mobilisierung nur eine Nebenrolle (was das Engagement der Beteiligten nicht gering schätzen will).

Auf den drei Aktionskonferenzen in Rostock wurden die theoretischen Planungen dann nach breiteren Diskussionen (selten) verworfen oder aber korrigiert/verbessert und in Handlungen umgesetzt. Alte Hasen und junge Füchse brachten ihre Vorstellungen, Ideen und Erfahrungen ein und verbanden sie zu einer Choreografie des G8-Protestes. Wer kann sich nicht noch an dieses schöne bunte Tabelle der Aktionen und Veranstaltungen erinnern, die den gemeinsamen Protest für ein Woche fast als Stundenplan darstellte? So bunt wie der Plan waren auch die Aktionen, und auch wenn nicht alles ohne Reibung ablief, so waren am Ende doch alle mit den gemeinsamen Planungen zufrieden.

Die Umsetzung ist dann jedoch noch etwas ganz anderes. Als eines der größten Probleme stellte sich trotz der großen Anzahl von Menschen vor Ort die ausreichenden Bereitstellung von willigem und/oder qualifiziertem Personal heraus. Abgesehen von der großen Bereitschaft zum persönlichen Einsatz und zur Verantwortungsübernahme bei den Blockaden am Zaun rund um Heiligendamm und bei der Durchführung der Camps in den Tagen des Protestes, fehlte es bei fast jeder anderen Veranstaltung an Personen die nicht "nur" mitmachen, sondern auch in der Absicherung der Veranstaltungen wirkten (Auf- und Abbau, Sicherheit, Einlass, Stühletransport, Spendensammlung, ...). Am Ende jedoch war nicht nur die Planung über einen langen Zeitraum und mit intensiven Auseinandersetzungen sondern auch die Proteste insgesamt erfolgreich. Trotz der inszenierten Bilder von der Internationalen Demonstration am 02. Juni 2007 (Wem haben sie am 04. Juni vor dem Bundesverfassungsgericht genutzt?), die die Planungen des Protestes zunichte zu machen drohten, trotz der fortgesetzten Kriminalisierung des Protestes durch Teile der Politik und die Polizei, trotz mehrfacher Verbreitung von polizeilichen Falschmeldungen durch unkritische Medien, trotz Misstrauen und unüberlegten Äußerungen von Aktiven in den Medien, hatten Absprachen und Vereinbarungen der Bewegung aus dem Vorfeld der Protesttage überwiegend auch während der Protesttage Bestand. Vor allem diejenigen, die in den Planungen seit längerer Zeit eingebunden waren und in "ihren" Strukturen und Spektren für inhaltliche oder persönliche Vermittlung unterwegs waren, hatten vielfach mit den alten Vorurteilen (die viele hier und da bestätigt sahen) gegenüber anderen Spektren und Organisationen aufzuräumen, zu schlichten. Wieder kamen die langwierigen Diskussionen aus der Planungsphase über die Einbeziehung von festen Organisationsstrukturen (Parteien, Gewerkschaften, attac oder NGO`s - große oder kleine) und den Umgang mit Gewalt (Wann beginnt Gewalt? Wer übt Gewalt aus? Wie wehrt man sich gegen Gewalt? Wer akzeptiert sie? ...). Aber auch in dieser Situation wurde der Konsens gemeinsamen Protestes nicht verlassen. Die Einsicht, gegenüber der Öffentlichkeit, der vor Ort und der medialen, geschlossen gegenüberzutreten, überwog und setzte sich durch. Mensch verstand sich überwiegend als ein Teil des gesamten Protestes und ordnete sich dort ein. Am Ende stand eine Aktion des zivilen Widerstandes, wie ihn die Bundesrepublik noch nicht erlebt hatte. Nicht ein Urteil des Bundesverfassungsgerichtes gegen das Versammlungsrecht, keine Kriminalisierung im Vorfeld und kein martialisches Polizeiaufgebot konnten verhindern, dass tausende Menschen ihr Recht zum Widerstand und zur Meinungsäußerung an dem von ihnen gewählten Ort wahrnahmen. Nicht auf einer großen genehmigten Demonstration, sondern mit einer Aktion, die sich ganz bewusst bestehendem Recht widersetzt und trotzdem breite Aufmerksamkeit, Zustimmung und Unterstützung erfährt.

An dieser Stelle kamen dann endlich auch Perspektiven für die Friedensbewegung zum Tragen. Waren die anderen friedenspolitischen Aktionen vom Protest gegen die Militarisierung und die Kriegspolitik geprägt, war dieses eine Aktion in der Form, wie sie die Friedensbewegung seit Jahrzehnten propagiert. Tausende Menschen erfuhren, dass sie mit einer gewaltfreien Aktion nicht nur ihr Ziel erreichen können, sondern auch als Sieger in der öffentlichen Wahrnehmung anerkannt werden. Während in den Beratungen zur Planung eines Mottos für den gemeinsamen Protest lediglich die Protagonisten der Friedensbewegung auf den Zusammenhang zwischen der G8-Globalisierung und den Kriegen in der Welt hinwiesen, haben in der Aktion zum Zaun tausende Menschen die Gestaltung von Protest zu einer neuen, friedlichen Gesellschaft gelebt und umgesetzt. Der Kriegspolitik wurde friedliches Handeln entgegen gesetzt.

Diese Art des Protestes und die Art der Vorbereitung dazu können ein Ansatzpunkt für eine neue (Friedens-)Bewegung sein: Gemeinsam und gewaltfrei, Vorurteile beiseite legend und miteinander redend. Notwendigkeiten gibt es dafür leider genug. Vor dem Hintergrund des Afghanistankrieges z.B. können wir jedoch ein neues "großes Gemeinsames" finden. Vor dem Hintergrund zur Beendigung des Afghanistankrieges können wir den Austritt aus der NATO und die Abschaffung von Atomwaffen genauso diskutieren und fordern wie auch die Rüstungsproduktion von Streubomben und den Export von Kleinwaffen, wie auch die zivile Konfliktlösung und die gewaltfreie Aktion, wie die Auslandseinsätze der Bundeswehr, die Abschaffung der Bundeswehr und die Militarisierung im Innern der Bundesrepublik. Dieses muß nicht in Teilen, kleinen Kampagnen und Bündnissen der Friedensbewegung einzeln diskutiert werden, sondern sollte gemeinsam zu einer Kampagne zusammenkommen. Nur so werden wir über unsere Kreise hinaus kommen und der Verzettelung in viele unterschiedliche thematische Felder der Friedensarbeit entgegenwirken können. Nur so werden wir am Ende erfolgreich sein - das sollten die Planungen und die Ergebnisse des G8-Protestes 2007 gezeigt haben. Lernen wir draus !?!
 

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