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Völkisch-reaktionäre Kamarilla auf der Hardthöhe
vonAm geschichtsträchtigen 8. Mai 2000 wurde die "Rüdelkaserne" in Rendsburg in "Feldwebel-Schmid-Kaserne" umbenannt. Feldwebel Anton Schmid, stationiert in Wilna, Litauen, wurde im April 1942 hingerichtet, weil er Juden innerhalb und außerhalb des Gettos der Stadt geholfen hatte. Der bisherige Kasernenpatron von Rendsburg, Generaloberst Günther Rüdel, war ein Günstling des Reichsmarschalls Göring und ehrenamtlicher Richter am Volksgerichtshof (VGH). "Die Umbenennung der Kaserne birgt eine dreifache Botschaft: Absage an jegliche Anpassung an das Böse, wie auch immer verklärt, Anerkennung von Mut zum Widerstand, Hoffnung auf die Verteidigung und Verbesserung der Neugestaltung" - so der Historiker Fritz Stern am 8. Mai 2000.
Für die traditionskritische Öffentlichkeit bleiben offene Fragen, denn Traditionspflege ist Geschichtspolitik: Warum wird ein Feldwebel aus Wien Kasernenpatron in Rendsburg (Schleswig-Holstein), wo sonst die Traditionspfleger so gerne regionale Bezüge hervorheben? Gibt es in Deutschland eine unaufrichtige Rezeption? Solange widerständige Wehrmachtsangehörige Österreicher waren, eignen sie sich für die kollektive Scham in Deutschland und Österreich offenbar besser als Deutsche. Was aber tut die Öffentlichkeit und das kollektive Gedächtnis mit den Deutschen, die den Gehorsams als deutscher Soldat aufkündigten? Wird der neue Kasernenpatron Feldwebel Schmid Symbolfigur der Erinnerungsarbeit und einer "aus der Nationalgeschichte erwachsenen Kultur der Zurückhaltung" (Norbert Haase) oder wird er neue Symbolgestalt eines humanitären Interventionismus?
Als Minister Rudolf Scharping eine Kaserne für den neuen Namensgeber Feldwebel Anton Schmid (1900 - 1942) gesucht hatte, wurde ihm zunächst nicht die Umbenennung einer historisch belasteten Nazikaserne (wie etwa die Mackensen-Kaserne in Hildesheim, die Hüttner-Kaserne in Hof oder die Weise-Kaserne in Rottenburg) vorgeschlagen, sondern die "Feldwebel-Boldt-Kaserne" in Delitzsch. Dieser ursprüngliche Vorschlag, die Namensgebung "Feldwebel-Boldt-Kaserne" zu kippen, verrät die zynischen Standesdünkel der Lackschuh-Etage auf der Hardthöhe: Feldwebel Boldt leitete am 16. November 1961 in Hamburg-Harburg ein Gewöhnungssprengen mit zwei weiteren Soldaten. Als eine bereits gezündete Ladung in den Deckungsgraben zurückrollte, warf sich Feldwebel Boldt geistesgegenwärtig auf die detonierende Ladung, die ihn tödlich verletzte; die beiden Soldaten blieben unverletzt.
Welche Verdienste sind nun traditionswürdig? Leben retten (wie Feldwebel Boldt) oder auf Befehl Hitlers töten (wie etwa General Hüttner)? Eine völkisch-reaktionäre Kamarilla auf der Hardthöhe hätte Bundeswehr-Feldwebel Boldt gerne gekippt. Seit Jahren wird um die Traditionswürdigkeit von Hitlers Kriegshelden ein hinhaltender Abwehrkampf geführt.
Wir fordern von BMVg Scharping die Umbenennung dieser Kasernen:
Freiherr von Medem (1) war - wie Generaloberst Günther Rüdel, der bisherige Kasernenpatron in Rendsburg - ehrenamtlicher Richter am Volksgerichtshof. Anschließend gehörte Freiherr von Medem zur Deutschen Besatzungsherrschaft in den Ostgebieten. Medem starb im Jahre 1953 in der Sowjetunion. Seit der "demokratischen" Traditionsoffensive in den Jahren 1964/65 ist General von Medem Kasernenpatron in Holzminden.
Bei Hitlers Traditionsoffensive 1937/38 war auch Generalfeldmarschall von Mackensen zum traditionswürdigen Kasernenpatron gekürt worden. Hier ein Auszug aus seinem Sündenregister: In der Schlacht von Gumbinnen hatte Mackensen in nur zwei Stunden 9000 (i.W. neuntausend) seiner Männer in Tod und Verderben gehetzt. Er selbst sprach von "Massenmord" und "Massenschlächterei". Den Durchbruch von Gorlice-Tarnow erzwang Mackensen mit Giftgas. Mackensen empfand Genugtuung angesichts der Ermordung Erzbergers: "Den Schädling sind wir los...." Mackensen verdammte Stauffenbergs Tat als "fluchwürdiges Attentat". Mitte November 1944 richtete Mackensen einen Aufruf an die Jugend, um vierzehn- bis siebzehnjährige Buben zu "Opferbereitschaft und Fanatismus" zu ermahnen. Mackensen hielt bis zuletzt an Adolf Hitler als "Retter" fest. Mackensen ist weiterhin Kasernenpatron in Hildesheim.
Generalmajor Hans Hüttner (1885-1956) ist traditionswürdiger Kasernenpatron der Bundeswehr in Hof an der Saale. An Generalmajor Hans Hüttner läßt sich die arbeitsteilige Täterschaft von Wehrmacht und Einsatzgruppen aufzeigen. Bei der Eroberung von Shitomir (Ukraine) kämpfte Hüttner an vorderster Front. Auf den Fersen folgten die Mordgesellen der Einsatzgruppe C, die in Shitomir ein Blutbad anrichteten. In den dienstlichen Beurteilungen gilt Hüttner als "überzeugter Nationalsozialist" und als ein soldatischer Führer, der "vom Nationalsozialismus erfüllt ist". Am 20. April 1943, an "Führers" Geburts-tag, hielt Hüttner in Hof eine Durchhalterede: "Einmal wird auch dieser Krieg siegreich zu Ende gehen und dazu wollen wir allen unserem Führer helfen!" Es gibt wohl beziehungsreiche Zufälle: Am 30. April 1985, dem 40. Todestag von Adolf Hitler, wurde die "General-Hüttner-Kaserne" in Hof an der Saale eingeweiht.
Diese Soldaten wären traditionswürdige Vorbilder für die Bundeswehr:
- Feldwebel Hugo Armann, stationiert in Baranowice, Ostpolen, half vielen Juden bei der Flucht aus dem Ghetto. Sie erhielten von ihm Waffen, konnten in die Wälder entkommen und schlossen sich den Partisanen an.
- Hauptmann Eberhard Helmrich, Leiter eines Landwirtschaftspostens in Drohobycz, Polen, half Gruppen jüdischer Frauen, indem er sie mit falschen Papieren als polnische oder ukrainische Haushaltsgehilfinnen nach Berlin schickte, wo seine Frau Donata ihre Beschäftigung in deutschen Haushalten organisierte, die nichts von der wahren Herkunft der Mädchen wußten.
- In Przemysl, Polen, hinderte Major Max Liedtke, zusammen mit seinem Adjutanten, Hauptmann Dr. Albert Battel, die SS an einem Überfall auf Juden der Stadt, indem er seinen Soldaten den Befahl gab, die SS vor einem Brückenübergang aufzuhalten. Er wurde seines Postens enthoben und an die Front geschickt. Er starb in russischer Gefangenschaft.
Erinnern lehrt vorbeugen! Wer vergisst, der tötet ein zweites Mal!
Anmerkung:
- (1) Generalleutnant Gerhard Medem (1893 - 1953) ist der Kasernenpatron der Bundeswehr in Holzminden. Sein Name erscheint auf einer Liste ehrenamtlicher Richter am Volksgerichtshof. (Literaturhinweis: H. W. Koch, Volksgerichtshof. Politische Justiz im Dritten Reich, München 1988, Seite 531). Derzeit wird erforscht, aus welchen Gründen General Medem im Jahre 1953 in der Sowjetunion als Kriegsverbrecher zum Tode verurteilt wurde.