In Schweden wehen unter der bürgerlichen Regierung neue außenpolitische Winde

Von der Blockfreiheit zur europäischen Identität

von Bruno Kaufmann
Initiativen
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Ein halbes Jahr nach dem Regierungswechsel von den Sozialdemokra­ten zur Mitte-Rechts-Koalition hat Schweden außen- und sicherheitspo­litisch einen neuen Kurs eingeschlagen. Mehr Europa und weniger Dritte Welt ist die Devise. Außen- wie sicherheitspolitisch will man sich in Zukunft hauptsächlich an der Europäischen Gemeinschaft orientie­ren, bei der seit Juli letzten Jahres das schwedische Beitrittsgesuch liegt. Obwohl in der sogenannten schwedischen EG-Erklärung vom Juni 1991 noch an neun Stellen die Neutralität des Landes betont worden war, hat der neue Regierungschef Carl Bildt dieses Konzept unlängst als "obsolet" und "veraltet" bezeichnet.

"Schwedens Außen- und Sicherheitspo­litik wird nun in rasender Fahrt umdefi­niert." So beschrieb vor kurzem die re­gierungsnahe Tageszeitung Svenska Dagbladet die Veränderungen, welche die neue bürgerliche Regierung im Be­reich der Außen- und Sicherheitspolitik eingeleitet hat. Besonders deutlich wurde dies Ende Februar bei der tradi­tionellen außenpolitischen Debatte im Reichstag: Regierungschef Bildt und Außenministerin Margaretha af Ugglas machten darin aus der "Blockfreiheit" eine "europäische Identität" und aus der "Neutralität" eine "unabhängige Vertei­digung".

Mehr Geld fürs Militär ...
Einen Tag vor der Reichstagsdebatte hatte Verteidigungsminister Anders Björck ein neues Armeeleitbild vorge­stellt: Als eines der wenigen Länder in Europa will Schweden in der kommen­den Fünfjahresperiode aufrüsten. Rund 10 Milliarden Franken jährlich sollen für die militärische Landesverteidigung zur Verfügung gestellt werden. Auch im militärischen Bereich ist eine klare EG- und NATO-Orientierung feststellbar. Die schwedische Armee soll europaar­meetauglich gemacht werden, oder wie es Carl Bildt ausdrückte: "Wir sind of­fen für die Lösungen der Zukunft und wollen die neue Sicherheitsstruktur in Europa mitbeeinflussen." In der Ent­wicklung von neuen Waffen möchte die Regierung eng mit den NATO-Ländern zusammenarbeiten, um so die eigene Rüstungsindustrie, die defizitär arbeitet, mittelfristig verkleinern zu können. Kurzfristig soll die von den Sozialde­mokraten eingeführte, restriktive Waf­fenausfuhrpraxis durch eine liberalere Regelung ersetzt werden. "Damit dürf­ten schwedische Waffen" -- so ein sozi­aldemokratischer Abgeordneter im Reichstag -- "alsbald auf noch mehr Kriegsschauplätzen dieser Welt auftau­chen."

... aber weniger für Dritte Welt
Die neue schwedische Regierung zeigt sich skeptisch gegenüber dem starken Engagement in der Dritten Welt, das Schweden in der Nachkriegszeit ent­wickelte. Mit einem Entwicklungshilfe­anteil von 1 Prozent vom Bruttosozial­produkt liegt Schweden im internatio­nalen Vergleich weit oben. Nun sollen, so Außenministerin af Ugglas, diese Hilfeleistungen "vor allem an Länder gehen, die Marktwirtschaft und Demo­kratie befürworten". Gleichzeitig findet auch eine Art Umverteilung der Ent­wicklungsgelder von Schwarzafrika nach Osteuropa statt. Mehrere schwedi­sche Botschaften in afrikanischen Län­dern werden deshalb geschlossen. Die neue schwedische Außen- und Sicher­heitspolitik trägt den Stempel der größ­ten Regierungspartei, der Konservati­ven. Neben Regierungschef Bildt gehö­ren auch die Außenministerin und der Verteidigungsminister dieser Partei an. Die drei anderen Koalitionsparteien, die der politischen Mitte zuzurechnen sind, beschäftigen sich hauptsächlich mit in­nenpolitischen Themen. Dort hat sich seit dem Machtwechsel im vergangenen Jahr denn auch noch bedeutend weniger Neues getan als in der Außenpolitik. Überraschenderweise haben die Sozial­demokraten bislang sehr zurückhaltend auf die außen- und sicherheitspolitische Wende reagiert. Ihnen sind durch das parteiintern fast diskussionslos durchge­boxte Ja zur EG die Hände gebunden. In der Reichstagsdebatte betonte ihr au­ßenpolitischer Sprecher, Pierre Schori, das "starke Interesse der Partei an einer europäischen Zusammenarbeit". Hinge­gen kritisierte er den Mangel an Inter­esse bei den Regierungsparteien "für globale Fragen". Außenministerin af Ugglas vertröstete die Opposition mit dem Hinweis, daß Schweden um die Mitgliedschaft im UNO-Sicherheitsrat angesucht hat: "Dort können wir dann agieren", meinte die Außenministerin.

Volksabstimmung als Chance
In breiten Bevölkerungskreisen reagiert man mit Achselzucken auf die Verände­rungswinde aus Stockholm. Im zentrali­stischen und homogenen Schweden war die Außen- und Sicherheitspolitik schon immer eine Sache der sitzenden Regie­rung. Dies könnte sich in den nächsten Jahren jedoch ändern: So soll erstmals in der Geschichte, im Jahre 1994, eine beschließende Volksabstimmung statt­finden. Dabei geht es um die Frage, ob Schweden Mitglied der EG werden soll oder nicht. Im Vorfeld dieser sachpoliti­schen Ausmachung beginnen sich nun im ganzen Land Debattierforen und Gruppierungen zu bilden, die verschie­dene Aspekte einer schwedischen EG-Mitgliedschaft diskutieren. Nach neue­sten Meinungsumfragen sind heute knapp die Hälfte der Schweden und Schwedinnen für einen EG-Beitritt, während sich ein Drittel dagegen aus­spricht. Nun bietet sich mit der bevor­stehenden Volksabstimmung der Bevöl­kerung die Chance, in außen- und si­cherheitspolitischen Fragen für einmal aus dem Schatten ihrer Regierenden und Abgeordneten herauszutreten.

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Hintergrund
Bruno Kaufmann arbeitet in Uppsala, Schweden für den Schwedischen Ver­söhnungsbund.