Krise am Golf

Von der friedensfördernden Wirkung von Schulden und Sackgassen

von Andreas Buro
Krisen und Kriege
Krisen und Kriege

Eigentlich ist es logisch, daß ein Land seine hohen Schulden umso weniger zurückzahlen kann, desto mehr seine Infrastruktur und seine Produktionsanlagen zerbombt sind. Man erinnere sich: Am Anfang des Golf-Konfliktes von 1990/91 standen die enormen Schulden Iraks, die das an und für sich reiche Ölland durch den unsinnigen Krieg gegen den Iran sich im wesentlichen durch Waffenkäufe aus dem Ausland aufgeladen hatte. Große Teile des Westens, aber auch der arabischen Welt hatten diesen barbarischen Krieg mit mehr oder weniger unverhohlenem Wohlwollen begleitet.

Doch dieses Wohlwollen reichte bei seinen arabischen Brüdern nicht aus, um dem verschuldeten Irak eine ausreichende Kriegskostenrückerstattung zu gewähren. Das wiederum steigerte irakische Begehrlichkeit nach den kuwaitischen Ölfeldern. Alles weitere ist hinreichend erinnerlich. Der Krieg und das ihm folgende Embargo 1991 machte Bagdad endgültig zahlungsunfähig. Doch die Gläubiger von damals hoffen noch immer. Ihre Lektion haben sie gelernt: Neue Bomben auf den Irak machen den Irak nicht zahlungsfähiger, im Gegenteil.

Also waren sie gegen die US-amerikanischen Bombardierungspläne, durch die angeblich die Botmäßigkeit des Irak gegenüber den UN wiederhergestellt werden sollte. Könnte man gar Schulden in Öl-Konzessionen in diesem öl-reichen Land umwandeln, so wäre es wichtig für ihre Nutzung, daß endlich das Embargo aufgehoben würde. Träten die Gläubiger von einst dafür ein, so könnten sie zusätzlich auf neue Aufträge aus Dankbarkeit Bagdads rechnen. Nach Schätzung der französisch-arabischen Handelskammer in Paris sind allein etwa 30 Mrd.$ an Investitionen erforderlich, um die zerstörten Förder- und Exportkapazitäten des Irak zu erneuern - ein interessanter Markt. Die Schulden des Irak werden auf 120 Mrd. $ geschätzt. 2/3 davon sollen auf westliche Staaten wie Japan, Italien, Frankreich, Deutschland und andere entfallen. Größter Gläubiger ist allerdings Rußland, das seine Forderungen von 15 Mrd.$ dringend in seiner Staatskasse benötigt. China dagegen hat ein großes Energieproblem. Importe sind dringend geboten. Könnte Irak da nicht mit billigem Öl aushelfen?

Ich breche meine etwas saloppe Skizze ab. Sie zeigt, aus welchen Interessen die Option gewichtiger Mitglieder des Sicherheitsrates der UN an einer friedlichen Lösung gewebt sind. Das Erstaunliche ist, daß diese Interessen von sonst recht militanten Staaten so wirksam werden konnten, daß die zum Militärschlag wild entschlossene, einzige globale Militärmacht USA zumindest zunächst zurückstecken mußte. Die USA hatten sich tatsächlich mit ihrem Auftritt in klingenden Goliath-Sporen unvorsichtig in eine Sackgasse ohne politische Perspektive manövriert:

- Den USA war es weder gelungen, die wichtigsten Staaten des UN-Weltsicherheitsrates für einen
  Militärschlag zu gewinnen, noch die des Nahen Ostens. Offensichtlich haben sich viele arabische
  Staaten durch die Anwendung und Androhung militärischer Gewalt durch die USA und GB mehr
  bedroht gefählt als durch Bagdad. Frankreich hat - aus den genannten finanziellen und öligen Gründen
  - die politische Lösung sehr befördert, die deutsche Politik hat US-vasallentreu versagt.

- In den USA wurde die Perspektivlosigkeit des geplanten Militärschlages für die Lösung der
  Probleme der Region zunehmend begriffen, so lange die USA selbst nicht bereit wären, eine
  Landinvasion bis zum Sturz der Regierung voranzutreiben und dann den Irak wahrscheinlich
  über längere Zeit als Protektorat zu verwalten. Das Risiko, die Opfer und die Kosten für eine
  solche Besetzung war Washington aber vernünftigerweise nicht bereit zu tragen. Der
  Vertrag von Bagdad half Washington somit aus einer Sackgasse, selbst wenn Clinton jetzt seine
  Kanonenboote als entscheidende Ursache für Bagdads Einlenken preist.

- Die Legitimität und Legalität des US-Alleingangs wurde in der internationalen Öffentlichkeit
  massiv in Frage gestellt. Die USA als einzige militärische Globalmacht lief dadurch Gefahr, ihre
  Reputation als `Weltordnungsmacht` auf das wohlbekannte Bild vom `Big Stick` zu reduzieren,
  wenn sie trotz des Vermittlungsergebnisses militärisch zugeschlagen hätten.

Zu den hier genannten Interessens- und Strategiekonstellationen kommt ein wichtiges anderes Interesse der im Sicherheitsrat versammelten Großmächte gegenüber den USA. Diese ist nach dem Ende des Ost-West-Konfliktes durch den Zusammenbruch der Sowjetunion zur einzigen Weltmacht geworden. Mit der Verkündung der Neuen Weltordnung durch Präsident Bush während des Golfkrieges 1991 haben die USA, gestätzt auf ihr überwältigendes Militärpotential und meist mit Rückendeckung der G7-Industriestaaten, eine Supermachtrolle eingenommen, die andere große Staaten mit Sorge erfüllen muß. Diese haben nun durch diplomatisches Zusammenspiel und Stätzung der Mission des UN-Generalsekretärs den USA die gelbe Karte gezeigt. Wenn auch ihre Bemähungen zur Deeskalation am Golf nichts mit Pazifismus zu tun hat, so ist dadurch doch der Spielraum für politische Lösungen, die an so vielen Stellen der Welt und nicht zuletzt gerade in Nahost so dringlich benötigt werden, erweitert worden.

Trotzdem ist bislang der Konflikt nicht ausgestanden. Wir haben erst Halbzeit. Die USA werden versuchen, sich vom Sicherheitsrat einen Freibrief für militärische Aktionen bei Unbotmäßkeit Bagdads ausstellen zu lassen, und es ist keineswegs sicher, ob ihnen dies nicht gelingt. Die Friedensbewegung hat deshalb überall die wichtige Aufgabe, möglichst viel Öffentlichkeit über den Fortgang des Konfliktaustrages am Golf herzustellen. Alle müssen informiert sein, so daß wir schnell im Falle einer neuen Eskalation mit Protesten reagieren können.

Auf die großen deutschen Parteien ist in dieser Sache kein Verlaß. Der Schnellschuß des Bundeskanzlers zeigte, daß ihm Vasallentreue zu den USA über die Gestaltung deutscher und europäischer Außenpolitik geht. Die SPD kam anscheinend über die Grundhaltung, notfalls die Forderungen gegenüber Bagdad mit militärischer Gewalt durchzusetzen, nicht hinaus. Der Bundesverteidigungsminister offenbarte sehr früh seine Erwartung, daß sich Deutschland diesmal anders als 1991 beteiligen werde. Das ist die alte out-of-area-Marschroute in Richtung auf internationalen militärischen Schulterschluß der deutschen Streitkräfte. Mehr als diese Politiker scheinen viele Menschen in der Welt begriffen zu haben, welche Chancen eine friedliche Streitbeilegung eröffnet. Hochachtung und Zustimmung zu dem Generalsekretär der UNO, Kofi Annan, der diese unmögliche Mission möglich machte, bringen dies zu Recht zum Ausdruck.

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