Krise am Golf:

Von Embargo-Gewinnlern und "gerechten Kriegen"

von Andreas Buro

Bei offiziell empörten Gesichtern fast aller Repräsentanten der UN-Staaten dürfte sich in inoffizieller Atmosphäre bei vielen "klammheimliche Freude" breitmachen. Bagdad hat die einzige wirkliche Weltmacht, die USA, mit geringstem Aufwand herausgefordert und gleichzeitig die Front der Golfkriegsstaaten von 1991 sowie die Einigkeit der Staaten des UN-Sicherheitsrates in Frage gestellt. Außerdem ist es dem Irak gelungen, die Tätigkeit der UN-Abrüstungskommission UNSCOM für einen entscheidenden Zeitraum lahmzulegen, als diese anscheinend kurz davor stand, geheime biologische und chemische Massenvernichtungswaffen des Irak aufzuspüren. Man hatte schlicht die US-Mitarbeiter von UNSCOM des Landes verwiesen und eine andere Zusammensetzung der Kommission als Vorbedingung für deren weitere Tätigkeit gefordert. Die Zwischenzeit nutzte Bagdad, um die fast entdeckten Waffen in neue Verstecke zu räumen.

Dieser kesse Streich hatte und hat - die Kugeln des Spieles rollen gegenwärtig noch - eine höchst inhumane Prämisse: sollten die USA, wie schon in früheren Krisen, Raketen und Bomben abfeuern, müßten viele irakische Zivilisten und Soldaten sterben. Doch in den Kalkulationen des Diktators und Massenmörder-Kriegsherrn Saddam Hussein wird solcher Tod wie in seinen früheren Kriegen kaum eine Rolle gespielt haben - ein fast traditionelles militärisch-feldherrliches Verhalten. Im Gegenzug derartiger Leichenkalkulationen habe, so war zu erfahren, die USA ihr Einverständnis zu dem Einsatz von Neutronenbomben durch Israel gegen den Irak im Falle eines Angriffs mit chemischen oder biologischen Waffen erklärt. Ein zweites Hiroshima in modernisierter Form - die Menschen werden verstrahlt, aber die Sachwerte bleiben weitgehend erhalten - und neue Abschreckungsszenarien rücken in den Horizont der Möglichkeiten, ohne daß ein Aufschrei der Entrüstung des angeblich für Menschenrechte kämpfenden Westens zu hören gewesen wäre. Nun ja, wer gegen den Teufel in Bagdad kämpft, führt einen "gerechten Krieg" und dabei ist tradtioneller Weise auch Genozid erlaubt. Oder sollte nicht etwa doch, wie Pazifisten immer wieder behaupten, der "gerechte Krieg" der Vater aller Kriege sein, die es gerade abzuschaffen gilt?

Was an diesem schmutzigen Konflikt allerdings gerecht sein könnte, ist auch mit der Lupe nicht zu entdecken. Von einem Kampf für demokratische Werte in Kuweit mag auch die konservativste Presse nicht mehr sprechen. Die Friedensbewegung war 1990/91 mit dem Slogan "Kein Blut für Öl!" aufgetreten und setzte sich damit für zivile Mittel der Konfliktlösung ein. Dieser Slogan wurde ihr seinerzeit um die Ohren gehauen, es ginge gar nicht um Öl. Heute bezweifelt kaum noch jemand, daß der Krieg wegen billigem Öl und geopolitischer Interessen geführt wurde. Allerdings wird nun allzu oft das Ölinteresse als selbstverständliche Rechtfertigung für den Tod vieler Hundertausend Menschen akzeptiert.

Das Golf-Interessens-Flechtwerk kann hier nicht systematisch vorgestellt werden. Das würde viele Kriminalromane füllen. Einige Punkte seien jedoch stichwortartig genannt:

- Bagdad will seinen Anspruch, eine regionale vorrangige Militärmacht zu sein, aufrechterhalten und versucht deshalb mit allen Mitteln, seine Militärpotentiale, einschließlich biologischer und chemischer Massenvernichtungswaffen, zu behalten und auszubauen. Es ist umgeben von hochgerüsteten und weiter aufrüstenden Staaten, die ihre Waffen in großem Maße aus dem Westen beziehen. Israel, selber ein "illegaler" Atomwaffenstaat, hatte früher in einem Überraschungsangriff nukleare Installationen des Irak zerbombt. Iraks Regime ist so skrupellos und kriminell wie ganz viele der früheren und heutigen Regime, deren Repräsentanten in unseren Geschichtsbüchern den Beinamen "der Große" tragen.

- Die USA, die einzige Weltmacht mit einer außerordentlich starken militärischen Position, benutzen das Embargo als Zuchtmittel gegenüber dem Irak und treten immer wieder für seine Verlängerung ein. Der gemäß UN-Resolution 986 erlaubte Export von Öl im Wert von 2 Mrd. Dollar alle 6 Monate, muß immer wieder neu genehmigt werden. Die Einnahmen reichen nicht für eine angemessene Nahrungs- und Gesundheitsversorgung der 18 Millionen Iraki, zumal ein Teil der Erlöse der Kriegsschuldentilgung zugeführt und ein wesentlicher anderer Teil im Irak für den Hussein-Clan und die Elitetruppen mißbraucht werden. Durch das Embargo sind nach Angaben der UN-Organisation für Ernährung und Landwirtschaft (FAO) seit Februar 1991 jährlich 110.000 irakische Kinder an Unterernährung und fehlender medizinischer Versorgung gestorben, also etwa bis heute 700.000 Kinder. Das sind viel mehr Kinder, als in Bosnien umgekommen sind - und wie sehr hat uns das Morden in Bosnien empört!

- Nach der Befreiung Kuweits Ende Februar 1991 wurde auf maßgeblichen Druck der USA das Embargo fortgeführt. Dadurch fiel der Irak fast vollständig als Öllieferant aus. Die Ölpreise stiegen und Saudi-Arabien und Kuweit übernahmen die Opec-Exportquote des Irak. Riesige zusätzliche Einnahmen wurden so möglich, die in erheblichem Maße in die Aufrüstung flossen. Zwischen 1989 und 1996 lieferten die USA allein für 56 Mrd.$ Rüstungsgüter in die Region. Sie wurden de facto über erhöhte Exportpreise zu einem erheblichen Teil von den anderen reichen und armen Ländern bezahlt. Fiele das Feindbild Irak aus, so wäre dies ein schwerer Schlag für die US- und andere Rüstungsindustrien. Außerdem wären amerikanische Stützpunkte in der Region kaum noch zu legitimieren.

- Neben der klammheimlichen Freude über die Schwierigkeiten der Führungsmacht mischen sich in das gegenwärtige Konzert der Schlichtungsbemühungen weitere Profaninteressen ein. Rußland hofft auf große Rüstungsexportgeschäfte und die Zahlung vieler Milliarden Schulden aus sowjetischer Zeit, wenn der Irak wieder zahlungsfähig würde. Auch Frankreich ist an Rüstungslieferungen und Energieinvestitionen interessiert. Nachdem die israelische Regierung ihren "Konfrontation-statt-Frieden"-Kurs eingeschlagen hat, mögen viele arabische Staaten keinen weiteren Ausbau der US-Vormacht in diesem Raum unterstützen und wenden sich deshalb gegen einen Militärschlag der USA. Wie leicht bestünde für sie die Gefahr, daß der Teufel aus Bagdad die Menschen in den anderen arabischen Staaten gegen ihre US-gefolgsamen Regierungen aufstachelte? Das war bereits 1990/91 die gefährlichste Waffe des Irak.

- Selbst Bundeswehrminister Rühe - im Rahmen der "neuen NATO" geht es ja nicht mehr um Verteidigung, so daß eigentlich der Name dieses Ministers schon längst hätte geändert werden müssen - formuliert vorsichtig seine Sonderinteressen. Er deutet an, daß in einem neuen Konflikt Deutschland eine andere Rolle als 1990/91 spielen könnte. Das paßt genau in die Strategie, die Bundeswehr scheibchenweise immer mehr interventionistisch "out-of-area" einzusetzen.

- Die Bekämpfung des Teufelsregimes in Bagdad darf freilich auch nicht zu weit gehen. Sein Sturz wäre im Frühjahr 1991 leicht möglich gewesen. Doch man wollte aus geostrategischen Gründen den Schurken im Amt halten, denn der Irak sollte nicht in drei Teile zerfallen. Das hat vielen SchiitInnen im Süden und vielen KurdInnen im Norden das Leben gekostet. Großmachtstrategien haben eben ihren Preis, zahlbar in Menschenleben. Bis heute braucht man das Feindbild Bagdad neben dem Feindbild Fundamentalismus, die alle militärische Gewalt legitimieren sollen.

- Gewalt wird reichlich in der Region vorbereitet. Da ist nicht nur die Gewaltschaukel zwischen Israel und der arabischen Welt. In Ansätzen wird gegenwärtig bereits ein neuer höchst gewalttätiger Militärpakt zwischen Israel, der Türkei und den USA erkennbar. Dieser richtet sich mit "Waffen und Wasser" gegen die arabischen Staaten der Region, zielt jedoch in weiterer Perspektive bis hin in die Region des Kaspischen Meeres, in der riesige Öl- und Gasvorkommen zur Erschließung anstehen. Es geht um Konzessionen, Pipelines und Verschiffungsmöglichkeiten. Konsolidiert sich diese Allianz, so wird nicht nur die Bedeutung des irakischen Öls relativiert, sondern es werden auch die europäischen NATO-Partner inclusive der früheren Kolonialmächte der Region, England und Frankreich, wirksam aus dieser energieträchtigen Region herausgehalten. Daß angesichts so wichtiger Perspektiven militärisch-politischer Strategien die Frage der Menschenrechte oder gar des Völkerrechts kaum noch Bedeutung haben, wird gerade auch in diesen Tagen vorgeführt. Die Türkei schafft sich durch Militärintervention im Nordirak - wo die schon lange und heiß begehrten Ölquellen von Mossul nicht fern liegen - eine "Pufferzone", die mehr und mehr den Charakter eines Protektorats annimmt. Das Beispiel Nordzypern unter türkischer Herrschaft läßt grüßen. Die USA helfen bei diesem Prozeß und die Welt der Nationalstaaten nimmt es weitgehend hin, daß Ankara völkerrechtswidrig Grenzen militärisch überschreitet und einen erbarmungslosen Krieg gegen seine eigene kurdische Bevölkerung führt. Aber schließlich geht es um die "höheren Ziele"des Zugriffs auf billige Energieträger.

- Ein weiteres Opfer dieser höheren Ziele werden anscheinend auch diesmal die UN und selbst der Sicherheitsrat. Der Flotten- und Streitkräfteaufmarsch der USA am Golf signalisiert eindeutig, und zwar gleichgültig wie die gegenwärtige Konfrontation ausgehen mag, daß die unipolare Weltmacht der eigentliche Souverän ist, der letztlich über Krieg oder Verhandlungen zu entscheiden hat.

Soweit mein Flickenteppich der Interessen und Tendenzen. Doch was ist daraus zu lernen? Die Forderung "Kein Blut für Öl!" ist richtig und muß beibehalten werden. Auch die Forderung nach Abrüstung und ziviler Konfliktbearbeitung gilt mehr denn je. Die Ideologie vom gerechten Krieg, auf den angeblich die reichen und militärisch starken Industriestaaten abonniert sein sollen, muß mit aller Entschiedenheit zurückgewiesen werden. Die angeblich gerechten Kriege sind die Väter aller Kriege. Der Konflikt am Golf macht dies noch einmal schlaglichtartig und fürchterlich deutlich.

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Friedensbewegung international