Von gespalteten Eliten und auslösenden Ereignissen

von Jörg Rohwedder

Wie kann die Friedensbewegung erfolgreicher sein? Welche Strategien sind vielversprechend? Um diese Fragen zu beantworten, lohnt sich ein Blick in die Geschichte der Friedensbewegung. Eine der größten Auseinandersetzung der Friedensbewegung waren die Proteste gegen den NATO-Doppelbeschluss (s. auch den Beitrag von Ulrich Frey in diesem Heft). Dieses Beispiel zeigt, dass auch eine sehr mächtige Bewegung scheinbar erfolglos bleibt, um wenige Jahre später fast unbemerkt Erfolge zu erzielen. Die Friedensbewegung hatte nach 1979 die Herausforderung zu meistern, gegen die Umsetzung eines bereits getroffenen Beschlusses zu protestieren. Ihre Aktionsbreite und Mobilisierungsfähigkeit war über mehrere Jahre beispiellos in der bundesdeutschen Geschichte.

Auf den ersten Blick erfolglos blieb sie, weil ab Sommer 1982 erst in Großbritannien und ab Dezember 1983 auch in Deutschland Cruise Missiles und Pershing II stationiert wurden. Tatsächlich war sie, wenig bemerkt, doch erfolgreich: Bereits 1984 lehnte die Bundesregierung die Modernisierung von Atomraketen kürzerer Reichweite ab. Dies geschah zu einem sehr frühen Zeitpunkt der internationalen Debatte und weitgehend unter Ausschluss der Öffentlichkeit.

1987 wurde der INF-Vertrag unterzeichnet, mit dem die Abrüstung von nuklearen Kurz- und Mittelstreckenwaffen vereinbart wurde. Gegen den Willen vieler in der CDU stellte Kanzler Kohl in der Folge 72 Pershing 1a Raketen außer Dienst. Wie so oft, ist der Einfluss der Proteste auf die Verhandlungen schwer zu quantifizieren, sie werden aber im Kalkül der Verhandler eine Rolle gespielt haben.

Indirekt erfolgreich war die Bewegung auch insofern, als dass sie das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes von 1995 erreichte, nach dem eine Sitzblockade keine Nötigung und damit kein Straftatbestand mehr sein konnte. Sehr zum Vorteil der Anti-Castor-Bewegung, die ihre Sitzblockaden nun höchstrichterlich abgesegnet als so schlimm wie Falschparken bezeichnen konnte.

Regierungen wissen sehr genau, dass sie bei kommenden Wahlen die Quittung erhalten, wenn sie eine Politik gegen die Interessen der Bevölkerung betreiben. So hat zwar Helmut Schmidt den NATO-Doppelbeschluss durchsetzen können, es hat ihn aber die sozial-liberale Regierung gekostet.

Ähnlich zeigt es sich auch bei den Protesten gegen den Golfkrieg 2003. 80 Prozent der deutschen Bevölkerung waren gegen diesen Krieg und eine deutsche Beteiligung. Mit gutem Gespür hat die rot-grüne Regierung auf der Protestwelle der Antikriegsbewegung die Wahl gewinnen können. Politisches Kalkül der Politiker und die Ziele der Friedensbewegung haben den Krieg zwar nicht verhindern, die deutsche Beteiligung aber deutlich begrenzen können.

Sind sich die herrschenden Eliten in einer Position einig, so können sie sich auch über sehr lange Zeiträume gegen eine Bevölkerungsmehrheit behaupten. Sind sich die Eliten aber nicht einig, wie beim Irakkrieg 2003 oder jetzt beim Krieg in Afghanistan, steigen die Chancen der Bewegung auf Erfolg. So sind die Chance der Friedensbewegung, mit ihren Protesten gegen den Afghanistankrieg Gehör zu finden, unter Schwarz-Gelb größer als während der großen Koalition. In der aktuellen politischen Situation, in der SPD und Grüne sich über politische Lagerbildung zu profilieren versuchen, erhöht sich das Gewicht von Bewegungen. Sie sind als WählerInnen umworben. Gelänge es der Friedensbewegung, die immer stärker anwachsende Skepsis durch breite Proteste zu verstärken und ihren Forderungen eine breitere gesellschaftliche Basis zu verleihen, so könnte sie zu einem Machtfaktor werden.

Bill Moyer, ein US-amerikanischer Aktivist und Bewegungsforscher, beschrieb einen Faktor, den sich Bewegungen in ihrer Arbeit zu Nutze machen können: Das auslösende Ereignis. Das ist ein Ereignis, dass Menschen dazu bringt, sich über die bestehenden Verhältnisse zu empören, wie z.B. der Angriff auf die Zivilisten, die sich Kraftstoff aus den Tanklastzügen bei Kundus sichern wollten und auf Befehl eines deutschen Oberst sterben mussten. Ein solches Ereignis kann ein „Fenster der Gelegenheit für politischen Wandel“ öffnen. Selten war die Regierung in diesem Konflikt so defensiv wie nach diesem Angriff, dem später die Kritik der Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche Deutschlands Margot Käßmann folgte. Mit dem Tod von erst drei und nun weiteren vier deutschen Soldaten bei Gefechten öffnet sich ein weiteres Fenster – diesmal aber in eine Richtung, die den Konflikt weiter verschärft. Verteidigungsminister zu Guttenberg weiß es zu nutzen: Er fordert nicht nur, er setzt sofort um: Mehr und bessere Bewaffnung, weitreichende Panzerhaubitzen gar – der Einsatz solcher Waffen wird zu zusätzlichen zivilen Opfern führen.

Die Reaktion auf ein auslösendes Ereignis kann politisch besonders wirkungsvoll sein, wenn es gelingt, sich auf ein solches Ereignis vorzubereiten. So war die fatale Fehlentscheidung des Oberst Klein zu erwarten, nicht sie speziell, aber eine Fehlentscheidung generell. So wie auch der Tod und die folgenden Trauerfeierlichkeiten häufiger und hier Alltag werden. Und es gibt weitere Grausamkeiten im Krieg, die auf die Soldaten der Bundeswehr zukommen werden und die auch von diesen Soldaten zu erwarten sind, und auf die sich die Friedensbewegung schon jetzt vorbereiten könnte.

Zum Erfolg sozialer Bewegungen gehören eine Reihe von Faktoren. Die Fähigkeit, inhaltlich gespaltene Eliten zu erkennen und gegen sie breite Bevölkerungsmehrheiten zu mobilisieren, ist aus meiner Sicht dabei entscheidend. Sich dazu auf die erwartbaren, aber im Termin unklaren Ereignisse vorzubereiten, um schnell und angemessen zu reagieren, ist eine Fähigkeit, die es weiter zu entwickeln gilt.

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Jörg Rohwedder, Jahrgang 1968, bis 2001 aktiv als Trainer für gewaltfreies Handeln und zum Recht auf Kriegsdienstverweigerung in der Türkei, seit 2002 Geschäftsführer der Bewegungsstiftung.