Noch kein Aufstand - aber:

Wachsende Opposition gegen das Belgrader Regime

von Christine Schweitzer
Krisen und Kriege
Krisen und Kriege

Vom 28. Juni bis zum 4. Juli fand in Belgrad eine Dauer-Demonstration der Oppositionsparteien statt. Schon vorher waren StudentInnen der Belgrader Hochschule in Streik gegen das Milosevic-Regime getreten und hatten zum Zeitpunkt der Fertigstellung dieses "FriedensForums" seit über vier Wochen drei Fakultätsgebäude besetzt. Doch die nationa­listisch-sozialistische Regierung gewann auch diese Runde im Kampf um die Macht in Rest-Jugoslawien; gegen den Willen vieler Protestiere­rInnen wurde die Demonstration nach sieben Tagen und Nächsten beendet.

Wenig Hoffnung auf Panic

"Jetzt beginnt die Hexenjagd, wo nie­mand mehr auf der Straße ist", kom­mentierte eine Mitarbeiterin des Bel­grader Zentrums für Antikriegsaktion. Genausowenig wie all die anderen Men­schen auf dem Platz vor dem jugoslawi­schen Parlament glaubt sie, daß die Ein­setzung des neuen Ministerpräsidenten Panic eine Wende in der restjugoslawi­schen Politik bedeutet. "Noch ein Ver­brecher in der Regierung" (Panic wurde in den USA mehrfach wegen wirt­schaftskrimineller Vergehen zu Geld­strafen verurteilt) und "das eine sagen, das zweite denken, das dritte tun" sind typische Kommentare jener Julitage in Belgrad. Tage, die den bisherigen Hö­hepunkt des Protestes gegen Milosevic darstellen und die weit über einhun­derttausend Menschen auf die Straße brachten.

Die Demonstrationen in Belgrad ...

Vor dem jugoslawischen Parlament wurde eine Bühne aufgebaut, von der aus nach dem ersten Demonstrationszug am Sonntag Tag und Nacht Reden ge­halten, Musik gespielt oder einfach das Programm des (auf Belgrad beschränk­ten) freien Radiosenders B 92 abgespielt wurde. Etliche Menschen waren aus an­deren Orten gekommen und schlugen Zelte im gegenüberliegenden Park auf. Nach Feierabend strömten dann die BelgraderInnen zur Demo dazu. In eini­gen Nächsten formierten sich kurzfristig organisierte Märsche durch die Innen­stadt oder rund um das von der Polizei schwer bewachte Fernsehgebäude. Ver­schiedene Berufsgruppen - Pflegebe­rufe, JournalistInnen, PädagogInnen - organisierten eigene Demonstrations­züge und marschierten unter dem Beifall der dort Stehenden auf dem Platz ein.

... sind keine Antikriegsdemonstrationen

Aufgerufen hatten zu der Demonstration ein Bündnis von mehreren Oppositions­parteien und -organisationen. Ihre Hauptforderungen lauteten: Rücktritt von Milosevic und die Öffnung eines Kanals des staatlichen Fernsehens für die Opposition; fürs Ausland übersetzt in "Demokratie und freie Medien". Von dem Krieg in Bosnien-Herzegowina und Kroatien war nur wenig die Rede. Die Demonstrationen in Belgrad sind keine Antikriegsdemonstrationen. Tatsächlich demonstrierten hier wohl etliche mit, die diesen Krieg aktiv unterstützen oder ihn propagandistisch vorbereitet haben. Männer, die die Uniform der von ihnen geforderten serbischen (statt jugoslawi­schen) Armee trugen, gingen bei den Märschen an der Spitze. Bei den strei­kenden StudentInnen ist bei einer Ver­anstaltung abends sogar eine Gruppe serbischer Studenten aus der Umgebung von Sarajewo aufgetaucht, die in höchst aggressiver Weise die Eroberung Bosni­ens für Serbien forderte. Präsident Milo­sevic ist bis zu einem gewissen Grad in den letzten Monaten zwischen alle Stühle gefallen; viele seiner Hintermän­ner, serbische Intellektuelle, die das Konzept "Großserbien" formuliert hat­ten, haben sich von ihm abgewendet und zählen sich jetzt zur Opposition. Allen gilt er als Vertreter des alten sozialisti­schen Regimes, das abwechselnd und anscheinend unterschiedslos als "kommunistisch", stalinistisch" und "faschistisch" bezeichnet und abgelehnt wird. Mir schienen etliche Parallelen zur nationalen Bewegung in Kroatien vor der Unabhängigkeit zu bestehen. "Es lebe Serbien" fehlte ebensowenig am Ende jeder Rede wie das Singen der in­offiziellen serbischen Nationalhymne im Laufe jedes Abends.

Prinz Alexander und Draskovic

Zur Symbolfigur hierbei scheint Prinz Alexander zu werden, der aus London in seine offizielle Heimat Belgrad (tatsächlich spricht er nur wenige Brocken serbisch) zurückkehrte. Weit über den Kreis traditioneller Königstreuer hinaus sehen viele auch von der demo­kratischen Opposition in einer konstitu­tionellen Monarchie die beste Alterna­tive zum jetzigen System, wenngleich Alexander selbst es bislang versäumt hat, politisches Profil zu beweisen.

Der zumindest in der Öffentlichkeit po­pulärste Oppositionsführer in Belgrad ist und bleibt weiterhin Vuk Drakovic, Dichter und Chef der "Serbischen Er­neuerungsbewegung (SPO). Draskovic, ursprünglich extremer Nationalist und Säbelrassler, gewann im letzten Jahr viel Sympathie auch bei den Kriegsgeg­nerInnen, als er sich gegen den Krieg in Kroatien aussprach. Doch haben wohl nur Teile seiner Partei diese Wandlung vom Saulus zum Paulus mitgemacht - so sie denn auch wirklich stattgefunden hat: In seiner letzten Rede auf der De­monstration spielten - zum Entsetzen der Mitglieder der Antikriegsbewegung, die auf dem Grundsatz beharren, daß jede/r nur über die Untaten seines Lan­des sprechen sollte - die kroatischen Ustascha eine wichtigere Rolle als die Verbrechen von Karadzie in Bosnien. "Westen - kümmert Ihr Euch um Tudj­man und seine Faschisten. Wir verspre­chen Euch, daß wir uns um Milosevic kümmern" rief er auf englisch in die stark Beifall klatschende Menge.

Sanktionen

Derzeit ist dies leichter versprochen als ausgeführt. Die Regierung Milosevic hat auch diesen jüngsten Sturm unbeschadet überstanden. Gegenüber den Demon­strantInnen wandte sie dabei die wohl aus ihrer Sicht klügste Taktik an, indem sie sie gewähren ließ und die Polizei ausschließlich zum Schutz gefährdeter Gebäude einsetzte. Der Protest schien dadurch - und natürlich auch, weil er eine gewisse Schallgrenze an Personen­zahl nicht überwinden konnte - ins Leere zu laufen. Die Mehrzahl der Bel­graderInnen betrachtete sich die Demos nur aus sicherer Entfernung; teilweise wohl aus Angst vor Repression (Kündi­gung des Arbeitsplatzes, mögli­che Ein­berufung zur Armee sind zwei weitver­breitete Methoden des Belgrader Regi­mes), teilweise wohl auch aus einer Art politischer Apathie heraus. Die Auswir­kungen der Sanktionen lassen sich hier­bei nicht eindeutig festmachen: sie mö­gen die Demonstrationen beför­dert ha­ben, andererseits scheinen aber auch viele Menschen derzeit zu sehr mit der Frage ihres individuellen Überle­bens beschäftigt (das Geld reicht oft­mals ge­rade noch für Weißbrot und Milch), als daß sie noch Energie für po­litisches En­gagement übrig hätten. Doch in einem war man sich einig: die vollen Auswir­kungen der Sanktionen werden erst in ein bis zwei Monaten zu spüren sein.

Was kommt nach Milosevic?

Es bleibt abzuwarten, ob es der Opposi­tion dann in einem neuen Anlauf ge­lingt, ohne Blutvergießen das verhasste Regime zu stürzen oder ob es doch noch zu gewalttätigen Unruhen in Serbien kommen muß, bevor diese Regierung geht. Es bleibt auch abzuwarten, wer und was danach kommt. Nur wenig Ge­danken scheinen mit derzeit an diese Frage verwendet zu werden. Wird eine neue Regierung - und daß sie kommt, ist das einzige, was wohl sicher ist - tatsächlich auf die gewaltsame Verän­derung der Grenzen verzichten? Wie wird sie mit den Flüchtlingen aus Bos­nien und den ethnischen Minderheiten (Kroaten, Moslems, Ungarn, Roma, Al­baner usw.) im eigenen Land umgehen? Wird sie sich tatsächlich um Toleranz und Demokratisierung bemühen? Eines ist klar: Ob sie eine Chance hat, dies zu tun, hängt jetzt auch vom Verhalten des Auslands ab. Von dort aus sollte sehr sorgfältig zugehört werden, was die Oppositionellen in Serbien sagen, an­statt jeden Kontakt zu allen Menschen in Serbien abzubrechen, nur weil ihre Nationalität die gleiche wie die von Milosevic und seinem Henker Seseli ist.

Ausgabe

Rubrik

Krisen und Kriege
Christine Schweitzer ist Co-Geschäftsführerin beim Bund für Soziale Verteidigung und Redakteurin des Friedensforums.