Megastudie zur Ermittlung wirksamer Interventionen zur Stärkung der demokratischen Einstellung

Was hilft gegen Polarisierung und politische Gewalt?

von Outi Arajärvi
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Gemeinsam Bierstände aufbauen hat den größten Effekt gegen Polarisierung. Das ist die amüsante Folgerung einer Studie von Jan G. Voelkel und seinen Kolleg*innen von 2022 (1). Sie haben im Mai 2022 an über 32.000 Versuchspersonen in den USA getestet, was gegen Polarisierung hilft. Die Studie war eine der größten repräsentativen Online-Befragungen. 25 Maßnahmen wurden abgefragt.

Es besteht natürlich ein Unterschied zwischen der amerikanischen und der deutschen Gesellschaft, aber die getesteten Interventionen könnten auch hier benutzt werden. Die Wissenschaftler*innen untersuchten die Effekte der Maßnahmen in drei Feldern: Feindseligkeit, Unterstützung undemokratischen Praktiken und Unterstützung für politische und parteiische Gewalt.

Zur Verringerung von Feindseligkeiten halfen „positive Kontakt Videos“. Die Teilnehmenden sahen sich Videos an, in denen jeweils zwei Menschen nach Anleitung gemeinsam einen Bierstand aufbauen, sich dabei gut verstehen und am Ende erfahren, dass sie zu politischen Themen ganz konträre Meinungen vertreten.

Bei einer zweiten Intervention lasen die Teilnehmer*innen einen Text, der darlegt, dass die neuen Medien Polarisierung fördern, um ein möglichst großes Publikum zu erreichen. Der Text führt weiter aus, dass die meisten Demokrat*innen und Republikaner*innen zur ‚erschöpften Mehrheit‘ gehören und die Polarisierung ablehnen.

Diese beiden Maßnahmen verringern die Feindseligkeit um 10 Punkte auf einer Skala von 0 bis 100. Im Durchschnitt lag die von der Studie ermittelte Feindseligkeit bei 70 Punkten.

Um 9 Punkte wurde die Feindseligkeit verringert durch die Interventionen „gemeinsame nationale Identität“ und „sympathische persönliche Erzählungen“. Teilnehmende lasen in „gemeinsame nationale Identität“, dass die Demokratie einen entscheidenden Anteil an Amerikas Erfolg gehabt hat. Sie lasen, dass Demokrat*innen und Republikaner*innen die gleiche nationale Identität teilen, welche die Demokratie und die Ablehnung von Gewalt beinhaltet.

In „sympathische persönliche Erzählungen“ sahen die Teilnehmenden fünf kurze Videos über Menschen, die erzählen, dass sie die Gegenpartei vermissen. Danach sahen sie ein anderes Video darüber, dass in der Demokratie Menschen mit verschiedenen Ansichten zusammenarbeiten können.

Korrektur von falscher Wahrnehmung
In der zweiten untersuchten Gruppe reduzierte die Intervention „Korrektur von falscher Wahrnehmung“ die Unterstützung von undemokratischen Praktiken durch die Teilnehmenden um sechs Punkte. Die Teilnehmenden lernten in einem Video mit mehreren Demokrat*innen und Republikaner*innen, dass die andere Seite weniger extrem über die Migration und die Entmenschlichung der Gegenseite denkt, als sie erwarteten. Auch in dem dritten untersuchten Feld, „Unterstützung für politische und parteiische Gewalt“, bewirkte die Maßnahme eine Reduktion um drei Punkte.

Die Intervention „drohender Zusammenbruch der Demokratie“ verringerte die Unterstützung für undemokratische Praktiken um fünf Punkte. Die Teilnehmenden schauten hier ein Video über Bürgerunruhen und Polizeirepression in mehreren Ländern, in denen die Demokratie zusammengebrochen ist, und sahen Szenen über den Sturm auf das Capitol von 2021. Sie beantworteten danach Fragen, wie sie die Demokratie schützen können. Allerdings erhöhte die Maßnahme die Unterstützung für politische und parteiische Gewalt um drei Punkte.

Um zwei Punkten verringerte die Intervention „überparteilicher Elite-Einsatz pro-Demokratie“ die Unterstützung für politische und parteiische Gewalt. Die Teilnehmenden sahen ein Video über die Kampagne zur Gouverneurswahl in Utah 2020. Beide Kandidaten akzeptierten die Resultate der Wahl und die friedliche Machtübergabe.

Wie könnten diese Erkenntnisse genutzt werden, um die Spaltung der Parteien und antidemokratische Einstellungen zu überwinden?
 Die Forschendengruppe vermutet, die wirkungsvollsten Interventionen könnten auf Websites und Plattformen der sozialen Medien angewandt werden, um die Einstellungen der breiten Öffentlichkeit zu verändern. Die verwendete Online-Testumgebung ähnelt den sozialen Medien, weshalb sie ähnliche Effekte für Teilnehmende erwarten, die sich mit den Interventionen auf diesen Websites beschäftigen. Die politischen Eliten können auch das gesellschaftliche Klima positiv beeinflussen. Die Auswirkungen der Befürwortung demokratischer Grundsätze durch die beiden Gouverneurskandidaten in Utah 2020 weisen darauf hin, dass die Hinweise der Eliten Inhalte erzeugen können, die ausreichen, um pro-demokratische Einstellungen zu stärken. Außerdem könnten die gewonnenen Erkenntnisse über die Psychologie, die der Polarisierung und der Demokratie zugrunde liegen, bei der Ausarbeitung struktureller Interventionen helfen, die wirksamer und nachhaltiger sein können als kurzfristige Interventionen oder Anstöße.

Die taz interviewte Jan Voelkel (1), der in Köln Sozialwissenschaften und Sozialpsychologie studiert hat. Er sagte: „Wenn Sie sich trotz politischer Differenzen eine gute Beziehung mit der Familie erhalten möchten, sollten Sie sich auf das fokussieren, was Sie an Eltern, Geschwistern und Verwandten lieben und was Sie mit ihnen gemeinsam haben.“

Anmerkungen
1 Jan G. Voelkel and Robb Willer, Megastudy Identifying Successful Interventions to Strengthen Americans’ Democratic Attitudes, Working Paper, Department of Sociology, Stanford University, Stanford, https://www.ipr.northwestern.edu/our-work/working-papers/2022/wp-22-38.html
2 https://taz.de/Gegen-die-Polarisierung/!5996923&s=Stereotype+sind+toxisch/

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Outi Arajärvi arbeitet zum Thema Migration im Bereich Bildung und Forschung und ist Ko-Vorsitzende des Bundes für Soziale Verteidigung.