Prozess um Aktion bei Kriegswerft Blohm+Voss

Was ist schon Hausfriedensbruch gegen Weltfriedensbruch?!

von Tanja Wedel
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( c ) Netzwerk Friedenskooperative

Man stelle sich vor: In einer Zeit, in der Deutschland Krieg führt für wirtschaftliche Interessen und es offen so benennt und dafür weder von seinen Bürgern noch ernsthaft von anderen Staaten angeklagt wird, in einer Zeit, in der Gewerkschaften - also die Kampforganisationen der Arbeiter - öffentlich für die Rüstung eintreten, in einer Zeit, in der die Bundeswehr und die Polizei in der Gewerkschaft organisiert sind und diese somit von Staatsorganen durchsetzt ist, in so einer Zeit haben sich junge KriegsgegnerInnen getraut, ihre Haltung gegen den Krieg, die dazu nötige Rüstungsproduktion und die daraus resultierende Zukunft der Barbarei öffentlich kund zu tun. Und noch besser, sie haben sich getraut, es dort zu tun, wo mit dem Krieg Profit gemacht wird.

Kein Märchen. Im Oktober 2010 spazierten 8 junge KriegsgegnerInnen völlig ungehindert auf die Kriegswerft Blohm+Voss und befestigten am Dock 10 ein 10 m x 10 m großes Transparent. Touristen auf den Hafenfähren und auf den Landungsbrücken, Hamburger Pendler und Ausflügler und die TeilnehmerInnen einer Kundgebung lasen dort:

„Unsere Zukunft ist nicht Krise, Krieg und Barbarei

Klassenkampf statt Weltkrieg

Für die internationale Solidarität“

Umrahmt wurde es von den roten Fahnen der Arbeiterklasse.

Erst nach 20 Minuten kam der von der Wasserschutzpolizei alarmierte Werkschutz herbei geeilt, um diesen Spuk zu beenden. Einigermaßen verwirrt, sicherte er zu, dass, wenn die Kriegsgegner ohne Widerstand gingen und versprächen, nicht wieder zu kommen, keine Anzeige erstattet würde. Wie zu erwarten war, kamen nach neun Monaten trotzdem die Anklagen wegen Hausfriedensbruch.

30 Tage Gefängnis, oder 750,-€ Strafe, wird heute dem berechnet, der meint, Hausfriedensbruch sei nichts im Vergleich zum Weltfriedensbruch.

Die Androhung von Geldstrafe und Gefängnis ändert aber nichts an den Tatsachen. Die KriegsgegnerInnen befanden:  Blohm+Voss ist nach wie vor der eigentliche Verbrecher, der hinter Gitter gehört, und führten den Prozess!

Der Prozess
Der Prozess fand statt im Raum 356 des Amtsgericht Harburg. 45 Leute, Arbeiter, Jugendliche, Antifaschisten und Antimilitaristen aus Gewerkschaften und linken, demokratischen Organisationen waren an diesem Dienstag-Morgen um 09:30 Uhr gekommen, um zu sehen, ob den Kriegsgegnern in diesem Land wieder einmal der Mund verboten werden darf.

Der Richter, die Angeklagten (an diesem Tag nur 3 der 8, da die Prozesse nicht zusammengelegt werden konnten) mit ihrem Anwalt und der Staatsanwalt betraten den Gerichtssaal. Die Türen wurden geöffnet für die Zuschauer. Sie drängten hinein, stopften sich in die zwei Zuschauerreihen. Der Rest blieb stehen, der Saal war mehr als voll.

Erster Auftritt des Richters:

Er sieht die Zuschauermenge und meint: „Hier gibt’s keine Stehplätze, der Rest muss draußen bleiben!“

Der Anwalt beruhigt, „die können sich doch hier vorne auf die Pressebank setzen“.

Der Richter: „Wer sich hier in meinem Gerichtssaal wo hin setzt, bestimme immer noch ich!… Die können sich in die Pressebank setzen.“

Der Richter, ein junger Mann, kaum älter als die Angeklagten, begann mit der Verhandlung.

Er verlas die Anklage gegen Jan Haas, stellvertretender Bezirksvorsitzender des Kinder- und Jugendverbands SJD - die Falken Bezirk Niederbayern/Oberpfalz. Auf die Frage, ob dieser sich zu der Anklage äußern möchte, antwortete Jan Haas mit einer Rede gegen den Krieg und damit, dass er dieses Transparent nach wie vor für notwendig hielte. Gerade mit einer Verantwortung für Kinder und Jugendliche, sagte er, gerade mit einer Verantwortung für künftige Generationen müsse er die Geschichte kennen und etwas tun, wenn aus den Verbrechen der Geschichte nicht gelernt wird. Sie sogar drohten sich zu wiederholen. Diese Rede wurde vom Publikum mit großem Applaus begrüßt.

Zweiter Auftritt des Richters:

„Ich möchte in meinem Gerichtssaal weder Muts- noch Unmutsäußerungen. Sollte hier noch einmal applaudiert werden, wird der Saal geräumt.“

Der Staatsanwalt, Vertreter der politischen Abteilung der Staatsanwaltschaft, unterstützte und bekräftigte ihn.

Die Einwürfe des Anwalts, dass ein Applaus keine Verhandlung störe, wurden ignoriert.

Es folgte die Verlesung gegen die zweite Angeklagte. Julia Nanninga, Betriebsrätin und Vertrauensfrau bei Daimler in Bremen. Auch sie durfte sich äußern. Und auch sie zeigte keinerlei Reue, sondern zählte die Verbrechen von Blohm+Voss im zweiten Weltkrieg auf. Dazu gehören nicht nur die Produktion für den Krieg, die Unterstützung der Faschisten und die Kriegstreiberei, sondern auch die Verbrechen, die an den Zwangsarbeitern bei Blohm+Voss begangen wurden, an Zehntausenden Menschen, die dort unter mörderischen Verhältnissen zur Arbeit gezwungen wurden, wobei Tausende an den Bedingungen starben.

Und sie hörte damit nicht auf, sondern klagte Blohm+Voss an, bis heute einfach weiter gemacht zu haben mit dem Geschäft für den Krieg, das angesichts der weltweiten Krisen und der jetzt heftiger werdenden Auseinandersetzungen wieder lohnenswerter werde.

Auch sie bekam großen Applaus.

Dritter Auftritt Richter:

„Ich habe Sie gewarnt, der Saal wird geräumt!“

Der Anwalt versuchte noch einmal zu schlichten, wurde aber vom Staatsanwalt unterbrochen, der den Richter mahnte, seinen Worten Taten folgen zu lassen. Der Richter hörte auf den Staatsanwalt und gab den Befehl zum Räumen. Darauf aber geschah folgendes:

Der Justizbeamte sagt zu den wieder ruhig da sitzenden Zuschauern: „Bitte verlassen Sie den Saal!“ Keiner rührt sich. Der Justizbeamte meldet dem Richter, dass sich der Saal nicht räumen lassen will. Der Richter befiehlt dem Justizbeamten, sich Unterstützung von den drei im Gericht anwesenden Polizeibeamten zu holen. Die kommen in den Saal und sagen zu den Zuschauern: „Verlassen Sie den Saal!“ Keiner rührt sich. Die Polizeibeamten melden dem Richter, dass sich der Saal nicht räumen lassen will. Der Richter dampft mit den Worten, „dann fordere ich jetzt die Bereitschaftspolizei an!“ ab.

Abtritt Richter:

Nach 45 Minuten kam die Bereitschaftspolizei aus Alsterdorf. Vier Mannschaftswagen Polizei in Kampfmontur stürmten in das Gebäude und bauten sich im Gang vor dem Saal 356 auf, in dem nach wie vor die Zuschauer ruhig warteten.

Der Staatsanwalt wurde zwischenzeitlich vom Richter in die nächste Verhandlung gerufen und auch Schreiber und Schöffen hatten irgendwann gemerkt, dass der Richter nicht mehr anwesend war und sie folglich auch nichts mehr im Saal zu suchen hatten.

Die Polizisten warteten auf den Befehl, den ruhigen Saal zu räumen …

Weitere 20 Minuten später ließ der Richter den Angeklagten anbieten, das Verfahren einzustellen, gegen eine Zahlung von jeweils 100,-€ an die Jugendhilfe.

Die Gerichtskosten übernehme das Gericht …

Die Kosten für den Polizeieinsatz auch!

Angenommen!

Niemals hätte der Richter uns Recht gegeben, aber das Recht ist und bleibt das Recht des Stärkeren. Und diesmal waren wir die Stärkeren.

Wir haben diesen Teilsieg nicht errungen, weil wir den Richter überzeugt haben, sondern weil wir davor unermüdlich die Diskussion um die Kriegsgefahr und die Rolle der Rüstungsproduktion geführt haben. Und vor allem die Diskussion, ob und wie man dagegen aktiv wird. In vielen Organisationen stießen wir damit auf offene Ohren, in anderen dagegen ist dieser Punkt nach wie vor heiß umstritten. Dazu gehören auch die Gewerkschaften, in denen wir Mitglieder sind. Nicht umsonst wird eingangs ihr Zustand heute geschildert.

Diese Diskussion muss weiter geführt werden und wir müssen weiter den Kampf führen, für eine Zukunft ohne Krisen, Krieg und Barbarei - für die Internationale Solidarität!

Wer mehr wissen will: www.Jugendkongress-Notstand-der-Republik.de

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