Was kann die Bundesregierung für die Menschenrechte der Kurden tun?

von Andreas Buro
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Was kann Bonn für die Menschenrechte der Kurden tun? Sogleich fallen mir zwei Antwortebenen ein. Natürlich müssen diese erst einmal für diejenigen kurdischer Herkunft verwirklicht werden, die in Deutschland leben. In der zweiten Ebene geht es darum, dass Bonn statt Waffen zu liefern, endlich vermittelnd und befördernd sich für eine friedliche, politische Lösung des Konflikts in der Türkei einsetzt.

Die erste Ebene: Die Menschenrechte in Deutschland sichern Gleichstellung der KurdInnen
Die Zahl der zur Zeit in Deutschland lebenden Kurden - ganz überwiegend aus der Türkei kommend - wird auf etwa 500. 000 geschätzt. Sie sind zum Teil seit 30 Jahren bei uns und haben wie andere Immigrantengruppen einen großen Beitrag zur Entwicklung unseres Landes geleistet. Trotzdem sind sie immer noch nicht mit den anderen Immigrantengruppen gleichgestellt, sondern werden vornehmlich als Türken behandelt. In der Türkei wird die kulturelle Identität der KurdInnen systematisch unterdrückt, und es werden damit ihre international anerkannten Rechte als nationale Minderheit missachtet. Diese Praxis darf nicht auch für Deutschland gelten

Mit der Anerkennung der KurdInnen als eigenständiger Bevölkerungsgruppe und der Umsetzung der sich daraus ergebenden Rechte - muttersprachlicher Unterricht, Rundfunk- und Fernsehsendungen in kurdischer Sprache, freie Namensgebung für kurdische Kinder und Einrichtung von Beratungs- und Betreuungszentren für KurdInnen usw. - würde die Benachteiligung der KurdInnen in Deutschland aufgehoben. Im Grunde muss nur der Bundestagsbeschluss vom 7. November 1991 (BT-Drucksache 12/1362) in die Tat umgesetzt werden. In ihm heißt es: "In der Bundesrepublik lebt eine große Gruppe von Kurden. Auch ihnen muss die Möglichkeit zur Bewahrung und Entfaltung ihrer kulturellen Identität gegeben werden." Gleichzeitig würde damit auch ein deutliches Signal an die türkische Regierung gegeben, sich für eine friedliche und demokratische Lösung der Kurdenfrage einzusetzen.
 

Bleiberecht für kurdische Flüchtlinge
Der türkisch-kurdische Krieg mit Grausamkeiten und Vertreibungen wie oder noch fürchterlicher als in Bosnien prägt auch die spezifische Situation der KurdInnen

in Deutschland. Flüchtlinge die aus Deutschland abgeschoben werden sollen, sind in der aktuellen Gefahr, bei ihrer Rückkehr misshandelt und gefoltert zu werden. In dem Bericht der Parlamentarischen Untersuchungskommission (10/25) des Türkischen Parlaments wird die Annahme einer menschenrechtlich unbedenklichen Fluchtalternative in Frage gestellt. Deshalb müssen die Innenminister des Bundes und der Länder, die kurdischen Flüchtlinge, wie es bei den bosnischen Flüchtlingen der Fall war, als Bürgerkriegsflüchtlinge anerkennen und ihnen einen Abschiebeschutz gewähren.

Ist es nicht an der Zeit, das PKK-Verbot aufzuheben?
Dieser Frage liegt die Überlegung zugrunde, dass die gegenwärtige Konfrontation nur durch einen Dialog der Kontrahenten überwunden werden kann. Wenn dies innerhalb der Türkei noch nicht möglich ist - dort wird selbst die legale kurdische Partei HADEP ständigen Verfolgungen ausgesetzt - so sollte dies doch außerhalb der Türkei möglich sein. Wir erinnern an vergleichbare Situationen in Irland, Israel/ Palästina und Südafrika. Die PKK hat seit 1993 dreimal einseitige Waffenstillstände verkündet, um damit den Weg für eine politische Lösung frei zu machen, worauf Ankara leider bisher nur militärisch reagiert hat. Wir glauben deshalb, dass die politische Klugheit, das Interesse der Bundesrepublik, Flüchtlingsströme einzudämmen und die Zielsetzung der Koalition, Außenpolitik als Friedenspolitik betreiben zu wollen, es gebieten, das PKK-Verbot aufzuheben, sonst kann man mit ihr nicht ernsthaft einen Dialog beginnen.

Die zweite Ebene: Die Bundesregierung und die EU sollen stiften gehen. Frieden stiften!
Wer einen friedlichen Dialog mit den Kurden wünscht und den Flüchtlingsstrom einschränken möchte, muss sich um die Überwindung der Ursachen dieses Krieges bemühen. Viele Menschen in der Türkei, und zwar Kurden und auch Türken hoffen auf eine vermittelnde Hilfe von außen, von den USA, den EU-Staaten und nicht zuletzt von der Bundesrepublik Deutschland, die sich stets als Befürworter der Menschenrechte darstellen.

Die arglistige und widerrechtliche Entführung von Abdullah Öcalan ist nur ein Faktor, der zu den jüngsten zum Teil gewaltsamen Auseinandersetzungen in Deutschland und EU-Europa geführt hat. Der Hintergrund zu diesem Ausbruch von Wut und Verzweiflung ist auch die mangelnde Bereitschaft der EU-Länder und der USA, sich für eine friedliche, politische Lösung des türkisch-kurdischen Konfliktes einzusetzen. Schlimmer noch: Sie haben die Türkei militärisch und in anderer Weise unterstützt, ohne die schweren menschen- und minderheitenrechtlichen Verletzungen Ankaras gegenüber den Kurden in ihr Verhalten gegenüber der Türkei mit einzubeziehen. Die doppelte Moral der NATO-Staaten etwa im Fall Kosovo und im Falle der Kurden, die Untätigkeit des Westens zugunsten eines Friedensprozesses und die Verweigerung von politischem Asyl für Öcalan als Voraussetzung für die Aufnahme eines Europäischen Friedensdialoges haben die Verzweiflung der kurdischen Seite und ein Gefühl, von allen Seiten entgegen aller schönen Worte im Stich gelassen worden zu sein, ganz wesentlich verstärkt. Wenn in dieser Hinsicht keine Umkehr der westlichen Staaten erfolgt, wird der türkisch-kurdische Konflikt auch weiterhin in Europa und speziell in Deutschland ausgetragen.
 

Ansätze für den Einstieg in einen Friedensprozess schaffen
Es muss über den Tag hinaus gedacht und orientiert werden. Das ferne Ziel kann durchaus eine Internationale Konferenz zur Türken-Kurden-Friedensproblematik sein. Aber sie wird nicht am Anfang stehen können. Die Ausarbeitung einer "Agenda für den EU-Beitritt einer friedlichen und demokratischen Türkei" bietet Ansatzpunkte für einen stufenweisen Prozess, der in sich schon einen Dialog-Charakter produziert. Offensichtlich ist bis heute keine friedenspolitische EU-Strategie entwickelt, geschweige denn praktiziert worden. Unsere Aufgabe sehe ich in der gegenwärtigen Situation ganz wesentlich darin, Strategien für Zivilgesellschaft und für Regierungs- und EU-Politik zu entwerfen und wie ein Bausteinsystem partiell, dort wo es möglich ist, schon umzusetzen. Dabei erwarte ich nicht, dass Friedensstiftung und -vermittlung durch einen einmaligen Akt zu erreichen sind, sondern dass es vielmehr darum geht, von verschiedenen Akteuren aus einen Prozess in diese Richtung anzustoßen und damit zunächst auch die bestehenden Blockaden für einen Dialog zu überwinden.

Einleitende Schritte für eine Politik, die Hoffnung macht und Kenntnis verschafft. Hierbei geht es um Maßnahmen, die relativ schnell und einseitig, also ohne Zustimmung von Seiten der Türkei oder anderen Ländern eingeleitet werden können. Vorstellbar ist Folgendes:

1. Ankündigung von Regierungen und von anderen Institutionen, dass man sich auf einen Prozess für eine politische Lösung der Kurdenfrage einlassen wolle.

2. Organisierung von "Hearings zur Türkei-Kurden-Frage" bei denen alle wichtigen Akteure angehört werden sollen. Diese Hearings könnten in Deutschland von der Regierung oder einem speziellen Gremium organisiert und dokumentiert werden, so dass sie jederman zugänglich werden. Die Botschaft nach außen hieße, wir beginnen uns mit dieser Frage zu beschäftigen. Ein Hauch von den Versöhnungsbemühungen der Wahrheitskommission in Südafrika könnte den Strukturprinzipien dieser Arbeit guttun.
 

3. Eine möglichst hoch angesiedelte Monitoring-Gruppe könnte gebildet werden, die alle relevanten Daten zu dem Konflikt sammelt und die Aufgabe hat, einen jährlichen Bericht für die Öffentlichkeit herauzugeben, der auch mit Bewertungen und Empfehlungen verbunden wäre.

4. Es könnte ein EU-weiter Auftragskomplex für Friedensforschungsinstitute vergeben werden. Das Ziel wäre, den Konflikt in seinen Dimensionen zu analysieren und vor allem daraus in Konsequenz Strategien und Lösungsvorschläge zu entwickeln. Eine Nebenwirkung wäre, dass auf diese Weise die EU-Friedensforschung in dem Bereich zivile und politische Konfliktbearbeitung näher aneinander herangeführt und die Aufgabenstellung für friedliche Friedensstrategien als wichtige Aufgabe der Friedensforschung institutionalisiert würde.

5. Zur Etablierung und Ausweitung von noch,dezentralen Dialogen` könnte eine EU-europäische Dialog-Stiftung geschaffen werden. Sie hätte vor allem die Aufgabe NGO- und soziale und berufliche Gruppen miteinander ins Gespräch zu bringen. Dies hätte auch eine Bedeutung, die zivile Gesellschaft als Ansprechpartner zum Abbau von Konflikten herauszuheben und könnte das Interesse und Engagement an diesem Problem innerhalb der EU verstärken. Ein solches Modell könnte sicherlich auch bei anderen Konflikten von großem Nutzen sein.

Von den Regierungen und der EU sind vor allem zwei Initiativen erforderlich
Es müssten erstens Konzepte zur Stärkung der Verständigung-, Schlichtungs- und Friedensschaffensfunktion der OSZE ausgearbeitet und in die OSZE zur Diskussion dort eingebracht werden. Dabei ist an die ursprüngliche Funktion der OSZE, wie sie in der Pariser Charta von 1990 formuliert wurde, anzuknüpfen. Im Rahmen dieser Organisation kann der gesamteuropäische Bereich einschließlich der USA und Kandas angesprochen werden. Am Beispiel des türkisch-kurdischen Konfliktes könnten die hilfreichen Funktionen eines solchen nicht-militärisch bestimmten Bündnisses zum Nutzen aller erkundet und ausgeweitet werden.

Zweitens sind die EU und ihre Kommission zu beauftragen, eine Agenda für den Beitritt der Türkei zur EU im Sinne eines zeitlich und inhaltlich bestimmten Ablaufes der Annäherung zu entwerfen. Dies wäre ein Vorgang ähnlich den anderen Aufnahmeverfahren, bei dem jedoch auch die unabdingbaren politischen, rechtlichen und friedenspolitischen Aspekte mit aller Konkretisierung festzuschreiben wären. Dabei wäre der Türkei eine feste Zusicherung zu geben, dass eine solche Agenda, wenn sie denn einngehalten wird, auch tatsächlich zu einer Mitgliedschaft der Türkei in der EU führen wird.
 

Die hier ansatzweise formulierten Optionen können den unabdingbaren Dialog über die Kurdenfrage trotz bestehender Blockaden als Europäischen Friedensdialog beginnen lassen, eröffnen eine konkrete und konstruktive Perspektive für die kurdische Bevölkerung und die kurdischen Organisationen in Europa, sie ermöglicht, die gegenseitigen Verhärtungen mit der Perspektive eines türkischen EU-Beitritts zu überwinden und eröffnet einen Weg für eine eigenständige, nicht-militärische EU-europäische Friedenspolitik, an der es bisher so mangelt.

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