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In der EU gehört werden?
Was können EU-Abgeordnete für lokale Friedensinitiativen tun?
vonEines der Mitglieder der DFG-VK Berlin war zu Besuch im EU-Parlament in Straßburg. Dort diskutierte es mit Özlem Alev Demirel, was EU-Abgeordnete tun können, um mit ihren Möglichkeiten lokale Friedensinitiativen zu unterstützen. Im Folgenden berichten wir über die Ergebnisse der Gespräche und das begleitende Tourismus-Programm. „EU-Abgeordnete können sehr viel für uns tun“ ist das Fazit: „Wir könnten das viel mehr nutzen!“
„Kennst Du Deine EU-Abgeordneten?“ Das frage ich gerne bei geeigneten Anlässen meine Gesprächspartner*innen. Die Antwort ist fast immer: „Öh, nein…“ Das ist ein doppeltes Problem. Wenn wir unsere Abgeordneten nicht kennen, können wir keinen Einfluss nehmen. Unsere Abgeordneten haben auch nichts davon, wenn niemand ihr Engagement wahrnimmt. Ab und zu antworten auf meine Frage Menschen auch mit: „Äh… Sonneborn?“ Das zeigt, dass ein bisschen Krawall und Remidemi auch EU-Abgeordneten gar nicht schadet. Um zu ergründen, was EU-Parlamentarier*innen für lokale Initiativen tun können, bin ich im Februar 2024 nach Straßburg gefahren.
Für meinen Besuch habe ich an einer sogenannten Besuchsfahrt der Abgeordneten Özlem Alev Demirel teil genommen. Frau Demirel ist seit 2019 für Die Linke im EU-Parlament. EU-Abgeordnete erhalten vom Besucherzentrum des Europäischen Parlamentes finanzielle Unterstützung bei der Organisation von Besuchsfahrten. In der Regel besichtigt man das EU-Parlament, informiert sich bei einem Vortrag des Besucher*innenzentrums, erklimmt die Besucher*innentribüne des Sitzungssaals und hat Gelegenheit zum Austausch mit Abgeordneten und Mitarbeitenden. Abgerundet wird dies mit einem touristischen Programm inklusive Bootsfahrt und Besuch der Kathedrale in Straßburg.
Was können EU-Abgeordnete tun?
Aber zur Sache: Was können EU-Abgeordnete für lokale Initiativen tun? Dazu zuerst ein Blick auf die formellen Möglichkeiten. EU-Abgeordnete dürfen im EU-Parlament reden. Bei unserem Besuch hatte Özlem Demirel im Plenum exakt 90 Sekunden Redezeit zur Verfügung. Diese ist also recht kostbar. Abgeordnete dürfen außerdem schriftliche Anfragen stellen. Diese werden in alle Amtssprachen der EU übersetzt, was ein netter kostenloser Service ist. Die Kommission muss antworten: Mindestens, dass sie keine Ahnung vom Thema hat oder es nicht wichtig findet. (Die Lesenden merken hier schon: Ob das für eine lokale Initiative sinnvoll ist, wird in vielen Fällen auf die mediale Erzählung ankommen.)
Deutlich seltener, weil deutlich aufwändiger, veranstalten EU-Abgeordnete Konferenzen. Schafft es eine lokale Initiative, ihr Thema hier unter zu bringen, ist das natürlich eine „Bombe“. Auf der Konferenz selber gibt es ein aus Multiplikator*innen bestehendes Publikum und zu Hause garantiert der Fakt, dass das eigene lokale Thema hochoffiziell im EU-Parlament stattfand, Aufmerksamkeit, Legitimation und mediale Präsenz. Außerdem machen die Fraktionen Broschüren. Etwas langweiliger und mehr Inhalt als das Ding mit der Konferenz, doch in der politischen Aufmerksamkeitsökonomie funktioniert das ähnlich.
Daneben gibt es auch informelle Wege. Für EU-Abgeordnete gilt die Freiheit des Mandates (und juristische Immunität). Wenn sie wollen (und Zeit finden), können sie sich also zu beliebigen Themen mit Statements in der Öffentlichkeit äußern. Diese Statements dürfen sie sogar vor der architektonischen Kulisse des Parlamentsgebäudes und auf ihren Internet-Medien machen. Wer merkt da schon, dass das Statement gar nicht in den kostbaren 90 Sekunden im Plenum stattfand?
Wahrnehmung?
Aber nimmt das überhaupt irgendwer wahr? Von allein nicht: Meistens muss man nachhelfen. Journalist*innen neigen dazu (wie alle anderen Menschen auch…) bewährte Konzepte wie Strickmuster einzusetzen. Das führt dazu, dass spannende Artikel u.a. dadurch spannend werden, weil die Texte unterschiedlichen Akteuren unterschiedliche mediale Rollen zuweisen.
In diesem Theater könnten wir die Rolle der besorgten lokalen Bürger*innen mit einem Anliegen wahrnehmen. Wir könnten aber auch krawallige Aktivistis sein, die mit Zuspitzungen und spannenden Bildern oder Inszenierungen für Aufmerksamkeit sorgen. Özlem Alev Demirel hat die Rolle, ein Thema mit ihrem Statement mit Legitimation zu versehen und in die politische Arena zu tragen. Unfreiwillig mitmachen tut außerdem die Gegenseite: Die EU-Kommission oder andere politische Verantwortliche werden sich meistens trotz Anfrage nicht äußern und sind damit ja schon im Hintertreffen. Sagen sie doch was: Um so besser, dann gibts ja tatsächlich eine Nachricht. Haben wir noch irgendwelche Wissenschaftler*innen oder Jurist*innen? Das sind auch beliebte mediale Rollen.
Abgeordnete ansprechen
Aber wie spreche ich Abgeordnete an? Eher über die Mitarbeitenden. Denn EU-Abgeordnete sind deutlich weniger greifbar als andere Abgeordnete. Das EU-Parlament hat 40 Sitzungswochen, der Bundestag nur 12, und das Abgeordnetenhaus hat alle zwei Wochen einen Termin (...plus Ausschusssitzungen…). EU-Abgeordnete haben also deutlich weniger Zeit, auf irgendwelchen öffentlichen Veranstaltungen abzuhängen, wo man sie mit seinem Thema einfach ansprechen kann. Schreibt deshalb eine kurze Mail an die Büros der Abgeordneten. Wenn es keine Antwort gibt, ruft zwei Tage später im Büro an und hakt bei den Mitarbeitenden nach.
Welche Abgeordneten nehme ich? Durch die hohe Spezialisierung im EU-Parlament erscheint es mir sinnvoll, die Abgeordneten nicht geografisch, sondern thematisch auszuwählen. Sucht euch eine Fraktion aus, die grob eure politischen Inhalte vertritt. Und dann schaut ihr die Profile der Abgeordneten der jeweiligen Fraktion durch. Wer ist in welchem Ausschuss? Was sagt die Person da so? Was macht die Person für Statements? Wie krawallig oder seriös sind die? Wozu stellt die Abgeordnete Anfragen? Keine Scheu vor dem Ausland: Eventuell kommt eure passende Abgeordnete aus einem anderen EU-Land. Ihr kommt kein Englisch? Deep-L oder Google helfen beim Übersetzen eurer Mails.
Fazit: Traut euch, meistens werdet ihr bei thematisch passenden Abgeordneten offene Türen einrennen. Wichtig ist jedoch, dass den Abgeordneten und ihren Mitarbeitenden eure Idee thematisch, inhaltlich und aktionstechnisch einleuchtet. Diese Vorarbeit zu leisten, ist eure Aufgabe und nicht der Job der Mitarbeitenden!
Im Parlament
Mir gelang es testweise, ein Banner in den Saal zu schmuggeln. Aber das ist in meinen Augen nicht der richtige Ort für eine Banner-Aktion. Die Tribüne ist sehr groß und sehr weit weg vom Plenum; man bräuchte ein riesiges Banner. Und um das Bilder machen müsste man sich auch kümmern, von alleine geht das nicht. Dies ist ebenfalls nur von der Tribüne möglich, wo man sich nicht frei bewegen darf und deswegen nur eher schlechte Fotowinkel drin sind. Und dann muss man das illegale Bild auch noch rausschmuggeln... aber WLAN gäbe es immerhin, um es gleich in die Cloud zu senden...
Vielen Dank für die Einladung nach Straßburg und die Mühe mit unserem Besuch.
Mehr: Das Parlament?
Wer mehr über die Arbeit im EU-Parlament wissen möchte, dem sei die ARD-Arte-Satire „Das Parlament“ empfohlen. Der junge Mitarbeiter Sammy hat seinen ersten Tag im EU-Parlament und ist erst mal zur Belustigung des Publikums sehr verwirrt, findet sich aber gemeinsam mit anderen jungen Mitarbeitenden (und der Zuschauer*in) zusehends besser zurecht im Labyrinth EU-Parlament. Die Serie ist echt gut, sie ist lustig und erklärt unterschwellig sehr viel. Hier ist die erste Folge der ersten Staffel: https://www.youtube.com/watch?v=gzbWNpyArcM