Die Friedensbewegung der letzten fünfundzwanzig Jahre

„Was macht eigentlich die Friedensbewegung?“

von Beate Roggenbuck

„Was macht eigentlich die Friedensbewegung?“ Das war eine der bohrenden Fragen, die uns als Friedensbewegte zu Beginn und im Verlauf des Krieges im ehemaligen Jugoslawien immer wieder gestellt wurde, der wir uns aber auch selbst stellen mussten.

Der „Ausbruch“ des Krieges, d.h. die militärische Intervention der jugoslawischen Volksarmee nach der einseitigen Unabhängigkeitserklärung von Slowenien und Kroatien im Sommer 1991 und die darauffolgende Ausweitung der kriegerischen Auseinandersetzungen, die massenhaften Vergewaltigungen, ethnischen Säuberungen, die Misserfolge diplomatischer Vermittlungsversuche seitens der EU (damals noch EG), der USA und der UNO, die Sniper-Angriffe auf Sarajevo und die Massentötungen bosnischer Muslime in der vermeintlich sicheren Schutzzone Srebrenica haben zu intensiven Debatten, zu einem Ringen darum geführt, was die Friedensbewegung „eigentlich macht“. Der Krieg im früheren Jugoslawien war der erste Krieg auf europäischem Boden nach dem Zweiten Weltkrieg – das hat massive Betroffenheit ausgelöst, weil es für viele undenkbar war. Zudem war uns dieses Land näher als andere Krisenländer, viele kannten es als Urlaubsland.

Bei der Recherche der Aktivitäten des Netzwerks Friedenskooperative – und das heißt der Aktivitäten von Mani Stenner und Kristian Golla und vielen, die das Bonner Büro unterstützten, sowie dem Redaktionskreis des Friedensforums – wurde deutlich, welche zentrale Rolle das kleine Bonner Büro (wie so oft) gespielt hat. Die Friedensbewegung stand vor neuen Aufgaben. Welche Formen des Protestes waren jetzt notwendig? Diese Situation war eine völlig neue Herausforderung. Seitens der Öffentlichkeit und der Presse wurde den Friedensorganisationen in dieser Zeit häufig Nichtstun vorgeworfen, weil keine Massendemos organisiert wurden. Ein absurder Vorwurf, was sollten Massendemos im Bonner Hofgarten bewirken? Nein, wichtig war es, die Friedens- und Antikriegsgruppen in allen Teilen des früheren Jugoslawien zu unterstützen und darüber hinaus weitere Formen des Protestes und der Hilfe zu entwickeln.

Die Durchsicht der Friedensforum-Ausgaben von 1992 – 1995 belegt, wie umfassend das Netzwerk  tätig war. Das Büro in der Römerstraße hat Networking betrieben, hat informiert und koordiniert, diskutiert, Veranstaltungen organisiert und neue Wege beschritten. Dabei kam dem Friedensforum eine wichtige Rolle zu. Fast jede Ausgabe von 1992 – 1995 beinhaltet Artikel zum Krieg in Ex-Jugoslawien, es gibt mehrere Themenhefte zu „Jugoslawien“. Darin geht es u.a. um die Unterstützung von Antikriegsinitiativen im früheren Jugoslawien. Das Friedensforum verdeutlicht, dass es auch diese Stimmen gibt, dokumentiert Aktivitäten, druckt Stellungnahmen ab, weist auf die Organisation von Runden Tischen hin, berichtet über Aktivitäten deutscher Friedensgruppen und von AktivistInnen: z.B. gewaltfreie Trainings, die Aktivitäten des Balkan Peace Teams, aber auch über eine misslungene gewaltfreie Intervention in Sarajevo, Unterstützungsarbeit für Deserteure aus dem ehemaligen Jugoslawien, Transport humanitärer Hilfe (Medikamente) und Treffen mit Antikriegsgruppen in Zagreb und Sarajevo.

Im Friedensforum 1/93 wird die Debatte um militärische Intervention eröffnet, die sich durch die Jahre hinzieht. Das Internationale Friedenszentrum Sarajevo antwortet auf eine Antiinterventionserklärung des Bundes für Soziale Verteidigung vom Juli 1992 und fordert eine Militärintervention: „In solch einer Situation, wo wir zwischen Überleben und Militärintervention wählen müssen, wählen wir die letztere. Denn, wenn es keine Macht gibt, welche die, die uns überfallen haben, zurückdrängt, werden Sie uns Särge als humanitäre Hilfe liefern müssen.“ Es folgt eine intensive Auseinandersetzung mit dem Ruf nach militärischer Intervention. Pazifistische Antworten werden von Medien und Öffentlichkeit, teils auch innerhalb der Friedensbewegung in Frage gestellt, daraufhin diskutiert das Netzwerk Alternativen zum militärischen Eingreifen, die dann von Andreas Buro entfaltet werden, und stellt die Konzepte der Friedensbewegung zur Beendigung des Krieges zur Diskussion (FF 1/93). Das Friedensforum bildet die kontroverse Debatte und das Ringen darum, ob unbedingter Pazifismus in einer eskalierten Kriegssituation die richtige Antwort ist, ab. Mani war dabei unbeirrt, wie er in einem Kommentar: „Für einen streitbaren zornigen Pazifismus“ verdeutlicht.

Zusätzlich zu all diesen Aktivitäten ist die Friedenskooperative aber auch in einem neuen Feld tätig geworden: der Unterstützung humanitärer Hilfe. Als sich im Winter 1992 die Situation bosnischer Flüchtlinge dramatisch verschlechterte und deutsche Friedensorganisationen auf Initiative der JournalistInnen Erica und Martin Fischer die Hilfsorganisation „Den Winter überleben“ (später „Den Krieg überleben e.V.) gründeten, wurde dies zunächst ein Projekt der Friedenskooperative. Mani und Kristian teilten mehrere Monate lang das kleine Büro, leisteten logistische Hilfe und nutzten ihr Know-how und ihre Kontakte, um die Initiative bekannt zu machen und UnterstützerInnen zu finden. Luise Schatz, die in den ersten Monaten „Den Winter überleben“ mit-koordiniert hat, betont die enorme Bedeutung der „Starthilfe“ der Friedenskooperative.

Die Friedensbewegung hat also „einiges gemacht“ während des Krieges im ehemaligen Jugoslawien, dabei hat Mani eine zentrale Rolle gespielt und die Fäden zusammengehalten auf seine sehr liebenswerte, unaufgeregte Art:
besonnen, aber nachdrücklich
zurückhaltend, aber überzeugend
bescheiden, aber beharrlich.

Ausgabe

Beate Roggenbuck ist Mediatorin BM, Trainerin und war Vorstandsmitglied von „Den Krieg überleben“ von 1994 – 2002.