Ukraine

Wege aus dem Konflikt

von Andreas Buro

Um Wege aus dem Konflikt zu überlegen, ist es erforderlich darzustellen, von welcher Konfliktkonstellation ausgegangen wird. Die folgenden Thesen sollen dies leisten.

  • Ursprung und heutige Konfliktsituation sind vorrangig durch den heute noch bestehenden West-Ost-Konflikt bestimmt. Dieser wurde nicht 1990 beendet. Er besteht im militärischen Abschreckungsbereich bis zur Gegenwart.
  • Die USA und die NATO streben eine Einschränkung der Zweitschlagfähigkeit Russlands durch Erweiterung der NATO auf die Ukraine, Georgien und einige andere Länder der Region an; durch den Ausbau ihrer Raketenabwehr, um möglichst frühzeitig russische Interkontinentalraketen abfangen zu können; durch die Aufkündigung der Verträge, die das einst bestehende Abschreckungssystem stabilisierten; durch den Aufbau eines innereuropäischen Abschreckungssystems; indem sie die in Büchel und anderen westeuropäischen Staaten mit den modernsten Nuklearwaffen ausrüsten. Dabei stellt Deutschland die Trägerwaffen.
  • Die Ukraine ist nur einer, wenn zurzeit auch der wichtigste Austragungsort dieses Konfliktes. Die Austragungsbedingungen in der Ukraine sind durch extreme Korruption, eine große Heterogenität der Bevölkerung, eine Herrschaft von superreichen Oligarchen und eine bis zum Bankrott darnieder liegende Wirtschaft gekennzeichnet.
  • Russland versucht mit seiner Annexion der Krim und deren wichtigsten Kriegshafen Sewastopol, sowie mit seiner massiven Unterstützung von separatistischen Enklaven, die Expansionspolitik des Westens offensiv zu beenden. Während die Krim-Annexion vermutlich als dauerhaft geplant ist, dürften die Kämpfe im Donbass eher als taktisches Mittel zur Erzwingung von Zugeständnissen bei der zukünftigen Gestaltung der Ukraine dienen.
  • Russland bezweifelt, ob der Westen gute und friedliche Beziehungen zu Russland im Geiste der Charta von Paris aus dem Jahre 1990 herstellen möchte und wendet sich auch wirtschaftlich zunehmend nach Osten, den BRICS-Staaten, darunter insbesondere China zu.
  • Während die USA am russischen Markt bisher nicht sonderlich engagiert sind, wollen die EU-Staaten die bisherigen guten ökonomischen Beziehungen beibehalten und weiter ausbauen. Die USA möchten dagegen die EU-Staaten möglichst eng als Handelspartner und unbeschränkte Marktteilnehmer an sich binden. Dies stellt einen erheblichen Interessenkonflikt zwischen den USA und den EU-Staaten dar.

Die drei großen Aufgaben
Zur Überwindung der Krise und Konfrontation sind drei Dinge erforderlich.

Erstens muss der ökonomische Zugang und Durchgang durch die Ukraine so geregelt werden, dass er den wohlverstandenen Interessen der Ukraine und ihrer Handelspartner in Ost und West entspricht. Dabei ist die entwicklungspolitische Situation mit ihren Schutzbedürfnissen für die ukrainische Wirtschaft zu berücksichtigen. Da gibt es das Schlagwort vom Freihandel von Wladiwostok bis Lissabon. Wir sprechen bescheidener von der Ukraine als Brücke zwischen West und Ost.

Zweitens muss der Westen akzeptieren, dass die EU- und NATO-Expansion gen Osten zum Stillstand kommen muss und ein neues Verhältnis im militärischen Bereich auszuhandeln ist. Das wird nicht schnell eine Rückkehr zur Charta von Paris von 1990 sein können. Zu viel hat sich in der Zwischenzeit ereignet. Gelingt es aber nach vertrauensbildenden Maßnahmen, zu denen es viele Möglichkeiten von beiden Seiten gibt, zu einem dauerhaften Dialog über Deeskalation und Stopp weiterer Aufrüstungsschritte zu gelangen, wäre viel erreicht. In diesem Zusammenhang sollte auch über den Ausbau ziviler Institutionen wie der OSZE und die Entfaltung Ziviler Konfliktbearbeitung gesprochen und vielleicht sogar schon erprobt werden.

Drittens gilt es, die innerukrainischen Kämpfe zu beenden und auch dort einen Dialog über die Gestaltung der Verfassung und das Verhältnis von Autonomie und Zentralregierung in Gang zu setzen. Vorstellbar ist, dass, wenn gewünscht, Deutschland Beratungshilfe anbietet, da seine föderale Struktur und die mit ihr gewonnen Erfahrungen als Vorbild taugen könnten. Freilich muss der übergroße Einfluss der Oligarchie in der Ukraine selbst überwunden werden. Keine einfache Aufgabe.

Eine Road-Map zur Konfliktlösung
Wie kann man sich den Prozess zur Lösung der drei Aufgaben vorstellen? Karl Grobe und ich haben in dem Dossier VII des Monitoring-Projekts „Der Ukraine-Konflikt“ (siehe www.koop-frieden.de) eine solche Road Map entwickelt, die ich hier mit kleinen Aktualisierungen wiedergebe. 

  • Es besteht die Gefahr einer nicht gewollten militärischen Eskalation zwischen den Großmächten. Die NATO und Russland erklären deshalb erneut, sie wollen auf keinen Fall den Konflikt  militärisch austragen. Deshalb bestehen zwischen NATO und Russland ein rotes Telefon und ein entsprechender Krisenstab.
  • Die EU begrüßt diese Erklärungen und bietet Hilfe zur Deeskalation durch vertrauensbildende Maßnahmen an.
  • Die NATO erklärt, sie beabsichtige nicht, die Ukraine als Mitglied aufzunehmen und auch nicht in anderer Form mit ihr militärisch zu kooperieren.
  • Die EU erklärt, sie betrachte alle Teile des mit Kiew abgeschlossenen Assoziierungsabkommens, die sich auf eine militärische Kooperation beziehen, als ungültig.
  • Kiew erklärt sich als neutral, wie es bereits in seiner Verfassung festgelegt sei. Es würde keinem Militärpakt beitreten.
  • Russland erklärt sich mit der Neutralität der Ukraine einverstanden und will sie dauerhaft respektieren.
  • Russland beendet daraufhin stillschweigend seine Unterstützung für die Separatisten in der Ost-Ukraine.
  • USA und EU akzeptieren die Neutralitätserklärung der Ukraine und bringen zum Ausdruck, sie dauerhaft respektieren zu wollen. Sie kündigen einen Plan zur stufenweise Beendigung ihrer Sanktionen gegen Russland an und fordern Moskau auf, es ihnen gleich zu tun.
  • Kiew erlässt eine Amnestie für alle ausländischen Kämpfer auf Seiten der Separatisten und gestattet ihren unbehinderten Abzug.
  • Kiew erarbeitet in Konsultationen mit den Vertretern der beiden Donbass-Regionen eine neue föderale Verfassung mit angemessenen Autonomierechten, die auch Minderheiten schützen. In ihr ist eine Wirtschaftsordnung festgelegt mit gleichberechtigten Beziehungen nach West und Ost unter Berücksichtigung der entwicklungspolitischen Bedürfnisse der Ukraine.
  • Die NATO zieht die Streitkräfte ab, die sie während des Konflikts in Mitgliedsstaaten mit einer Grenze zu Russland stationiert hatte.
  • Kiew fordert eine neue Volksabstimmung auf der Krim über deren Sezession. Dabei wird Russland vorab vertraglich zugesichert, dass das Areal um den russischen Kriegshafen Sewastopol unabhängig vom Ausgang der Volksabstimmung exterritoriales Gebiet Russlands bleiben würde. Die Volksabstimmung solle unter strikter Kontrolle der OSZE erfolgen und die Ergebnisse wären verbindlich für alle. Russland verpflichtet sich, die kulturellen Rechte der Krimtataren zu respektieren, falls die Abstimmung die Angliederung der Krim an Russland bestätigt.
  • Russland erklärt sich bereit, über die Modalitäten dieses Vorschlags zu verhandeln.
  • USA, EU und NATO heben ihre Sanktionen gegen Russland auf.
  • Russland erklärt sich bereit, mit Kiew über die Lieferung von Öl und Gas und die Verrechnung bestehender Schulden erneut zu verhandeln.
  • Deutschland schlägt in Übereinstimmung mit der EU eine dauerhafte Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit (Vorbild KSZE) vor – eventuell im Rahmen der OSZE. Auf ihr sollen in mehreren „Körben“ die verschiedenen Themen behandelt und zur Schlichtung von Kontroversen beigetragen werden.
  • Kiew fordert Armenien, Aserbaidschan, Georgien und Moldawien auf, sich ebenfalls für einen neutralen Status zu entscheiden und in regionaler Kooperation bestehende Differenzen – etwa bezogen auf Bergkarabach und Transnistrien – beizulegen und gemeinsame Interessen zu vertreten.
  • Die NATO verzichtet darauf, sich um einen Beitritt dieser Länder zu bemühen, falls diese sich für neutral erklären sollten.

Würde nach dieser Road Map verfahren, könnte die Ukraine eine wichtige Rolle als Brücke zwischen West und Ost und zur Befriedung vieler Länder in der Region spielen.

Ein Beitrag der Friedensbewegung zur Deeskalation des Ukraine-Konflikts
Auf der Strategiekonferenz der Dachorganisation ‚Kooperation für den Frieden’ im Februar 2015 in Hannover wurde über die Frage diskutiert, welchen Beitrag die Friedensbewegung leisten könne. Später erteilte der Kooperationsrat Reiner Braun und mir den Auftrag, eine ‚Kampagne für Kooperation – Ukraine: Brücke zwischen West und Ost’ aufzubauen. Dazu wollen wir in Deutschland diejenigen Kräfte auch weit über die Friedensbewegung hinaus miteinander in Verbindung und zur Zusammenarbeit bringen, die sich für eine friedliche Lösung des Ukraine-Konflikts einsetzen. Wir wissen dabei die Mehrheit der Bevölkerung auf unserer Seite.

Angesichts der konfrontativen Politik auf beiden Seiten besteht die ständige Gefahr der gewaltsamen Eskalation. Deshalb bedarf es einer beständigen gesellschaftlichen Zusammenarbeit der Kräfte in Deutschland, die sich darum bemühen, Konfrontation in Kooperation zu wandeln. Hierzu wollen wir beitragen. Die Ukraine darf nicht Zankapfel zwischen West und Ost sein, sondern kann zur Brücke zwischen West und Ost werden. Das liegt im Interesse aller Menschen dieser großen Region, die Frieden und nicht Krieg wollen.

Wir hoffen auf eine abgestimmte Zusammenarbeit mit vielen anderen gleichgesinnten Kräften in Deutschland. Bürger und Bürgerinnen, Verbände, Kirchen, Gewerkschaften und Parteien rufen wir auf, für eine friedliche Lösung des Ukraine-Konflikts einzutreten und sich mit ihren eigenen Möglichkeiten unserer gemeinsamen Zusammenarbeit und Kampagne anzuschließen.

Die Vorbereitungen für die Kampagne sind inzwischen angelaufen, erste Stellungnahmen werden eingeholt. An die Öffentlichkeit wollen wir nach der Sommerpause gehen. Wir hoffen auf ein Kuratorium von in der Öffentlichkeit geachteten Persönlichkeiten und auf lokale Mitarbeit. Ein erstes Ziel könnte eine bundesweite Konferenz aller zustimmenden Kräfte Ende 2015 oder Anfang 2016 sein. Auf ihr soll öffentlich werden, wie sehr die Menschen in Deutschland eine friedliche Lösung des Ukraine-Konflikts und Kooperation statt Konfrontation mit Russland wünschen.

Wir sagen, friedliche Zusammenarbeit zwischen West und Ost ist notwendig, möglich und dient allen. Helfen wir, damit die Ukraine zur Brücke zwischen West und Ost wird. Erst so entsteht für die Ukraine und ihre heterogene Gesellschaft Freiraum für eigenständige demokratische Entwicklung und wirtschaftliche Konsolidierung.

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