Pazifistische Alternativen

Wege zu einer gewaltfreien Politik

von Christine Schweitzer

Es ist oft leichter, Maßnahmen der Politik abzulehnen, als eine alternative Politik zu skizzieren. „Kein Einsatz der Bundeswehr in ...“, „keine Modernisierung der Atomwaffen“, „keine Stationierung von Kampftruppen an Russlands Grenzen“, „Rüstungsexporte stoppen“ dominieren die Aktivitäten der Friedensbewegung. Aber das alleine reicht nicht aus, denn die heutigen Krisen und Konflikte würden dadurch nicht verschwinden. Und die Erfüllung dieser Forderungen würde auch neue Probleme schaffen, die konstruktiv angegangen werden müssten – arbeitslose SoldatInnen bräuchten neue Jobs, zivile Produkte müssten Militärgüter in der Produktion ersetzen, Menschen, die mit dem Wandel nicht einverstanden sind, müssten 'mitgenommen' werden, Verbündete den Wandel mittragen (und sich am besten selbst beteiligen). Wie könnte ein Politikwechsel positiv gefüllt werden?

Einige Elemente einer solchen positiven Politik sind zweifelsohne benennbar und werden auch in diesem Heft in anderen Beiträgen beschrieben. Der von der Friedensforscherin Hanne Birckenbach geprägte Begriff der „Friedenslogik“ zieht sich wie ein roter Faden durch die Diskussionen. Zivile Konfliktbearbeitung, Deeskalationsschritte, Friedenskonferenzen, unbewaffnetes ziviles Peacekeeping sind Alternativen zur bestehenden militärgestützten Außen- und Sicherheitspolitik. Und und man könnte auch wieder, wie schon vor 1989, Soziale Verteidigung als Option nichtmilitärischer Verteidigung anführen. Sie ist ein Konzept, wie ein Land im Falle eines Angriffs von außen (oder eines Putsches von innen) ohne den Einsatz von Militär verteidigen kann. Kernidee: Nicht die Grenzen oder das Territorium werden verteidigt, sondern die Zusammenarbeit mit dem Aggressor bzw. dem Putschisten verweigert, wodurch dieser letztlich seine Ziele nicht erreicht. Offene Grenzen für alle Menschen, ökologisches und nachhaltiges Wirtschaften, globale Gerechtigkeit, Einhaltung der Menschenrechte u.v.a.m. sind konstruktive Ansätze, die von anderen sozialen Bewegungen eingefordert werden.

Aufbau konstruktiver Alternativen
Während Konzepte verfügbar sind, tut sich die Friedensbewegung schwer mit konstruktiven Alternativen. Manche in der Bewegung meinen, dass die Anklage, das „Nein“ ausreichend sei. Anderen fehlt das Wissen, solche Alternativen konkret und überzeugend zu beschreiben. Das ist bei der Zivilen Konfliktbearbeitung (ZKB)  auch nicht so einfach wie bei den Alternativen, mit denen andere Bewegungen arbeiten. Die Ökologiebewegung z.B. fing schon sehr früh an, Bioprodukte herzustellen, Sonnenkollektoren zu bauen und in Windräder zu investieren. Damit zeigte sie von Anfang an, dass die Alternativen, die sie einforderte, funktionierten und zudem die Lebensqualität erhöhten. ZKB ist aber nicht eine Methoden oder Instrument, sondern eine Herangehensweise an gewaltsamen Konflikt mit hunderten von einzelnen Instrumenten. Außerdem liegt die Schwierigkeit im Bereich Krieg und Frieden liegt nicht nur an der angesprochenen Fokussierung auf das „Nein“, sondern auch daran, dass Krieg und Frieden Kernbereiche staatlichen politischen Handelns sind. Zivilgesellschaft kann hier den Staat nicht ohne Weiteres ersetzen. Alles Wissen, das wir über Friedensprozesse haben, legt nahe, dass sie dann erfolgreich sind, wenn Zivilgesellschaft und Staat zusammen wirken. Friedensprozesse, die von der Bevölkerung nicht mitgetragen werden (das würde auch für Abrüstungsmaßnahmen gelten), scheitern mit einiger Wahrscheinlichkeit an Widerstand der Bevölkerung oder werden nach den nächsten Wahlen rückgängig gemacht. Und die Zivilgesellschaft alleine, ohne die (freiwillige oder durch Protest erzwungene) Kooperation durch ihre Regierung, kann auch wenig bewirken. „Stell Dir vor, sie geben Krieg und keiner geht hin“ war ein Slogan der alten Friedensbewegung des letzten Jahrhunderts. Aber so einfach ist es leider nicht, denn der Glaube an die Gewalt als letztes Mittel ist letztlich ungebrochen. Sobald Bedrohungen auftauchen, braucht es auch heute noch wenig, dass die Mehrheit der Menschen einem Krieg zustimmt.

Trotzdem spielt auch in der Friedensbewegung die Praktizierung konstruktiver Alternativen eine gewisse Rolle. Das Konvolut dessen, was heute als Zivile Konfliktbearbeitung (ZKB) bekannt ist, wurde im Wesentlichen in den letzten 25 Jahren aus der Zivilgesellschaft (NROs, Friedensforschung) heraus entwickelt, nicht durch Staaten. Einige Ansätze sind noch viel älter, z.B. Mediation als Form der Vermittlung durch einen neutralen Dritten oder unbewaffnete Schutzbegleitung gefährdeter AktivistInnen durch internationale Freiwillige. Die Kriege im ehemaligen Jugoslawien in den 1990er Jahren spielten bei der Entwicklung der Instrumente der ZKB eine wichtige Rolle ebenso wie die Arbeit verschiedener internationaler NROs auf dem afrikanischen Kontinent. Die Beteiligten sind nur in Ausnahmefällen der Friedensbewegung im engeren Sinne zuzuordnen, aber es gibt durchaus eine Schnittmenge.

Pazifistische Alternativen für die BR Deutschland
In Deutschland wurde Ende der 1990er Jahre durch fokussierte Lobbyarbeit erreicht, dass Zivile Konfliktbearbeitung in der Politik „ankam“ und nach dem Regierungswechsel von CDU-FDP zu SPD-Grünen 1989 in einer Reihe von neuen Institutionen etabliert wurde. Dazu gehören der Zivile Friedensdienst, die Arbeitsgemeinschaft Frieden und Entwicklung, die Deutsche Stiftung Friedensforschung, Friedens- und Konfliktforschung als eigene Studiengänge, zivik, das zivilgesellschaftliche Aktivitäten mit Mitteln des Auswärtigen Amtes fördert, das Zentrum für internationale Friedenseinsätze ZIF und der 2004 geschaffene Aktionsplan „Zivile Krisenprävention, Konfliktlösung und Friedenskonsolidierung“, der die Zusammenarbeit und unzählige Einzelmaßnahmen verschiedener Ressorts der Bundesregierung festschreibt.

Aber anders als von uns erhofft, werden diese Maßnahmen der zivilen Konfliktbearbeitung in der Politik mit militärischen Maßnahmen zusammen gedacht. Im Weißbuch von 2006 hieß es: „Der Begriff „Zivile Krisenprävention“ ist nicht als Abgrenzung zu militärischer Krisenprävention zu verstehen, sondern schließt diese ein.“ (S. 26) Das wird sicher auch im neuen Weißbuch wieder so nachzulesen sein. Und das Missverhältnis in der Ressourcenverteilung zwischen Verteidigungsausgaben und Ausgaben für all diese Bereiche der ZKB spricht für sich. Da stehen sich mindestens 32 Milliarden einer einstelligen Milliardenzahl gegenüber – je nachdem, was man hinzuzählen möchte, kommt man auf 4-6 Milliarden für Maßnahmen, die im weitesten Sinne der ZKB zugerechnet werden können.

Für eine wirkliche Wende in der Politik wäre es notwendig, dieses Verhältnis Schritt für Schritt umzukehren. Hier ein paar 'realpolitische' Vorschläge für erste Schritte. Deutschland könnte:

  • seine humanitäre Hilfe in Kriegsgebieten massiv verstärken (wobei auch Fahrzeuge und Ausrüstung der Bundeswehr sehr hilfreich wären),
  • Friedensprozesse und -konferenzen (z.B. für den Nahen und Mittleren Osten) initiieren und unterstützen,
  • die Arbeit von zivilgesellschaftlichen Gruppen in Krisengebieten viel mehr fördern,
  • den Dialog mit Russland wiederaufnehmen (bilateral wie multilateral in OSZE usw.)
  • Programme und Aktivitäten von OSZE und den Vereinten Nationen im Bereich der Zivilen Konfliktbearbeitung finanziell und personell fördern.

Und dann natürlich auch all die anderen Dinge angehen, die eingangs angesprochen wurden:

  • sich für die Abschaffung der Atomwaffen einsetzen und dies praktisch deutlich zu machen, indem auf die nukleare Teilhabe verzichtet, der Stützpunkt in Büchel gekündigt und der Humanitarian Pledge unterschrieben werden;
  • auf Aufrüstungsmaßnahmen (von Drohnen bis neue Kampfjets usw.) verzichten, auch wenn das Geld kosten sollte;
  • in der NATO den Konsens zu allen offensiven militärischen Maßnahmen verweigern;
  • SoldatInnen aus allen Auslandseinsätzen zurückrufen;
  • die Bundeswehr schrittweise verkleinern und dabei die bei der Abwicklung der NVA gemachten Erfahrungen in der Rüstungskonversion einsetzen, um die Folgen abzufangen.

Dies alles sind Vorschläge, die m.E. für ein Regierungsprogramm einer neuen Regierung 2017 vorstellbar sind. Bewusst wurde dabei auf weitergehende, radikalere Forderungen (Auflösung der Bundeswehr und der NATO usw.) verzichtet. Sie können folgen, sobald die ersten Schritte gemacht sind und sich erweist, dass sie zu positiven Veränderungen führen. So könnte verhindert werden, dass die eingeleiteten Schritte bei den nächsten Wahlen durch eine neue Regierung rückgängig gemacht würden. Und auch international ist es wichtig, solche Veränderungen einzubinden. Denn ein staatlicher Sonderweg dürfte zu einem von zwei Szenarien führen, die beide letztlich nicht wünschenswert sind: Die eine ist, dass die Anderen, dann halt ohne Deutschland, weitermachen wie gehabt, z.B. die Atomwaffen statt in Büchel hinter der Grenze aufgestellt werden, die Drohnen aus einem anderen Land kommandiert und Kriege ohne deutsche Beteiligung weitergeführt werden. Die andere, dass eine verdeckte oder offene Intervention von außen (nicht militärisch, aber mit Sanktionen und Druck) eine aus den Augen der Verbündeten missliebige Regierung beseitigt.

Daraus leitet sich ein letztes Desideratum für die Friedensbewegung ab: Sie darf nicht einzelstaatlich denken oder handeln, sondern was wir brauchen, ist eine europäische / weltweite Bewegung. Weder der notwendige Wertewandel noch die Überwindung der realpolitischen Zwänge können heutzutage auf ein Land beschränkt bleiben.

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Christine Schweitzer ist Co-Geschäftsführerin beim Bund für Soziale Verteidigung und Redakteurin des Friedensforums.