Wege zur Versöhnung der Menschen in der Tschechischen Republik und in der Bundesrepublik Deutschland.

von Heide SchützIngrid Lottenburger

Warum "Forum der Frauen"? Vor sieben Jahren gründeten Frauen aus der Tschechischen Republik und aus der Bundesrepublik Deutschland nach der ersten gemeinsamen Konferenz in Bonn ein eigenes Forum. Die Verzögerung der Verhandlungen zu der ersehnten "Gemeinsamen Deutsch-Tschechischen Erklärung" und die zunehmende Vergiftung der Atmosphäre nach dem hoffnungsfrohen Neubeginn der Beziehungen beider Länder nach der samtenen Wende waren für Hana Klimesova und Heide Schütz der Anlass, einen Versöhnungsversuch zu starten. Beide waren überzeugte Mitglieder der Helsinki Citizens` Assembly, einer transnationalen europäischen Bürgerrechtsbewegung, an deren Gründung Vaclav Havel maßgeblich beteiligt war. Mit humorvollem Lächeln brachte Hana Klimesova dieses Anliegen damals in ihrer Begrüßung bei der ersten Konferenz vor:

"Als wir zum ersten Mal die Idee des Zusammentreffens während der Internationalen Konferenz der Helsinki Citizens` Assembly in Prag im Januar 1996 diskutierten, haben wir im Sinn gehabt, dass vielleicht Frauen nicht so aggressiv sind wie Männer, dass sie weniger prestige- und machtsüchtig und deshalb kompromissfähiger sind. Jetzt liegt es an uns, liebe Damen, diese Annahme zu beweisen".

Die erste Konferenz mit dem anspruchsvollen Programm "Deutsche und tschechische Frauen im Versöhnungsprozess - ein historischer und zivilgesellschaftlicher Dialog" versammelte Frauen aus drei Generationen mit unterschiedlichsten - sehr leidvollen - Lebenserfahrungen in Bonn. Hana Klimesova fand in weiser Vorausschau die richtigen Worte:

"Wir sind höchstwahrscheinlich nicht fähig, uns während dieses Zusammentreffens gegenseitig zu überzeugen, wir haben unterschiedliche Ansichten, ja sogar innerhalb der deutschen und der tschechischen Gruppe: das ist auch unser zivilgesellschaftliches Recht. Wir wollen jedoch lernen, uns gegenseitig zuzuhören, uns zu tolerieren und uns in die Positionen der anderen Frauen einzufühlen, die Positionen, die eben aus ihren individuellen Erfahrungen stammen. Dieses Zusammentreffen bezeichnet einen ersten Schritt auf diesem Weg: Ich wünsche uns, diese Reise erfolgreich anzutreten."

Obwohl die Katastrophen der deutsch-tschechischen/tschechisch-deutschen Beziehungen: Ermordung, Enteignung, Zerstörung, politische und gesellschaftliche Demütigungen, KZ, Vertreibungen, etc. blank auf dem Tisch lagen, hörten sich die Frauen zu und beharrten nicht auf der Einmaligkeit des selbst erlittenen Leides.

Struktur und Agenda

In dem Abschlussdokument im September 1996 mahnten die Frauen die baldige Verabschiedung der Gemeinsamen Erklärung durch die Regierungen an und drückten ihren Willen zur kontinuierlichen Arbeit am Verständigungsprozess klar aus. (Die tschechische Seite bevorzugt meist das Wort "Verständigung", wenn Deutsche von "Versöhnung" sprechen.)

Eine verlässliche Struktur wurde geschaffen: ein Grundsatzstatut, ein Koordinationsausschuss, Sprecherinnen, jährliche zweisprachige Konferenzen, die abwechselnd in verschiedenen Städten in der Tschechischen Republik und in Deutschland stattfinden sollten. Das "Frauennetzwerk für Frieden e.V." war zunächst der deutsche Trägerverein für das Forum.

Von Anfang an wurde dieses Forum als ein überparteilicher und überkonfessioneller Dialog gestaltet, in dem die Perspektiven von Frauen im politischen, ökonomischen, sozialen und kulturellen Leben zum Tragen kommen. Dabei ging und geht es bei weitem nicht nur um sogenannte Frauenthemen, wie z.B. in der zweiten Konferenz (Prag 1997), die den gemeinsamen gesellschaftspolitischen Schwerpunkt der "Vereinbarkeit von Beruf und Familie" in den Mittelpunkt stellte.

Bereits die dritte Konferenz (Berlin 1998) beschäftigte sich mit der Frage nach dem Umgang mit der Geschichte. "Perspektivenwechsel im Umgang mit Vergangenheit - Gegenwart - Zukunft". Das Ergebnis: DIE Wahrheit zu suchen ist müßig, nur wer den Perspektivenwechsel schafft und Inkongruentes aushält, kann sich die historische Dimension aneignen und die Zukunft gestalten nach dem Motto: "Die Vergangenheit hat eine Zukunft - die Zukunft hat eine Vergangenheit".

Hana Klimesova hat uns gelehrt, was Partnerschaft zweier ungleicher Nationen heißt, nämlich Gleichberechtigung auf allen Ebenen. Das war nicht immer leicht umzusetzen, angefangen bei der Sprache bis hin zu den Finanzen. Dennoch konnten stets Mittel und Wege gefunden werden, sowohl dank privater als auch offizieller Unterstützung. Unsere Arbeitssprache war englisch, eine ausgewogene Lösung.

Hana Klimesova starb im Juni 1999. Das Deutsch-Tschechische Forum der Frauen ist ohne sie, der ersten tschechischen Sprecherin, nicht denkbar. Ihr unermüdlicher Einsatz, europäische Weitsicht, Zielstrebigkeit und intensive Arbeit, bei der sie ihre Kräfte trotz ihrer Krankheit nie schonte, waren die entscheidende Grundlage nicht nur für die Gründung, sondern auch für die schwierigen ersten Jahre des Aufbaus. Ihr besonderes Engagement galt der Gleichberechtigung von Frauen und Männern, der Verständigung der Menschen beider Länder und der Einigung Europas. Wir bleiben ihr in Dankbarkeit und Liebe verbunden.

Organisatorische Änderungen auf bestehender Grundlage
Seit 1999 existieren ein tschechischer und ein deutscher Trägerverein mit (fast) gleichem Namen. Vera Vohlidalova und Ingrid Lottenburger sind die Vorsitzenden der Vereine und Sprecherinnen des Forums. Sitz der beiden Vereine sind Liberec und Berlin. Bevorzugter Veranstaltungsort die Wissenschaftliche Bibliothek in Liberec.

Im Rahmen des Forums wurden eine Fülle weiterer Themen aufgegriffen, die sich aus aktuellem Anlass anboten, behandelt zu werden. Hierzu zählen vor allem eine vielbeachtete Konferenz zur Agenda 21 im Herbst 2000 und zu den sog. Benes-Dekreten im Herbst 2002.

Die nachhaltige Wirkung der Vorhaben des Forums wird durch die konsequent durchgeführte mehrsprachige Dokumentation aller Veranstaltungen verstärkt. Die Konzentration auf den Ort LIBEREC/ehemals Reichenberg scheint die politische Aufmerksamkeit - vor allem in der Tschechischen Republik - zu erhöhen.

Versöhnungsprojekt Euroregion Neiße/Nisa/Nysa
Die Konferenzen "Deutsche und tschechische Frauen im Versöhnungsprozess" (1996) und "Deutsche und tschechische Frauen im zivilgesellschaftlichen Dialog zur Gestaltung der zukünftigen Beziehungen - Perspektivenwechsel im Umgang mit der Vergangenheit - Gegenwart - Zukunft" (1998) haben den Boden für einen Vorschlag für praktische Versöhnungsarbeit bereitet. 2003 lud das Forum der Frauen Referenten/innen und Teilnehmer/innen aus Polen, der Tschechischen Republik und Deutschland zum Gedankenaustausch über eine regionalbezogene Versöhnungsarbeit nach Liberec ein: Flucht - Vernichtung - Vertreibung in der Euroregion Neiße/Nisa/Nysa - Wo kommen sie her - wo sind sie geblieben?

Auf dieser Konferenz wurde - nach einführenden Referaten tschechischer, deutscher und polnischer Referentinnen und Referenten, von Ingrid Lottenburger, der Vorsitzenden des deutschen Vereins und deutschen Sprecherin des Deutsch-Tschechischen Forums der Frauen, das Konzept des Forums zu einer regionalbezogenen Versöhnungsarbeit der politischen Öffentlichkeit vorgestellt: die Aufgabe des Projektes ist es, ein (preiswertes) Sachbuch, begleitet von einer Wanderausstellung über die vielfältigen Vertreibungen, Ermordungen, erzwungenen Wanderbewegungen, die die Bewohner, aber auch die Zugereisten in der Euroregion Neiße/Nisa/ Nysa in großem Ausmaß erlitten haben, zu erarbeiten und für die Bevölkerung, besonders auch für die Jugend, verständlich darzustellen. Historiker haben zwar mit professioneller Gründlichkeit einen großen Teil der Historie aufgearbeitet, die Resultate ihrer Arbeit finden jedoch aus verschiedenen Gründen nur sehr langsam Zugang zu dem das Bewusstsein prägenden Wissen in den Regionen und bei der europäischen Allgemeinheit. Gleiches Bildmaterial und identische Texte in den Sprachen tschechisch, polnisch, deutsch und englisch sind geplant. Bei den Recherchen wird die Bevölkerung mit einbezogen. Dieser Vorschlag wurde in eindrucksvollen und differenzierten Redebeiträgen von Menschen aus allen Teilen der Region aufgegriffen und durch konkrete Vorschläge verstärkt.

Vera Vohlidalova, die Vorsitzende des tschechischen Vereins und tschechische Sprecherin des Tschechisch-Deutschen Forums der Frauen, sagte dazu in ihrer Begrüßung:

"Um uns zu verstehen ist es wichtig, unsere Traumata und Vorurteile dadurch zu überwinden, dass wir nicht die Probleme des andern lösen, sondern die Lösung bei uns selbst, aber auch miteinander zu suchen. Lasst uns nicht die Bedingungen für gemeinsame Diskussionen festlegen. Lasst uns zurückschauen, zu welchen Traumata es in den Orten, wo wir gerade jetzt leben, gekommen ist uns warum. Nur durch ihre Beschreibung und ihr Verstehen haben wir eine Möglichkeit, unseren Kindern und Enkelkindern nicht nur ein zusammenhängendes Bild über uns selbst, sondern auch ein Instrument dafür auf den Weg geben, dass solche Traumata nie mehr geschehen. Ich bin der Meinung, dass wir wissen müssen, dass jeder und jede von uns, - so wie unser Schicksal - einmalig, aber nicht außerordentlich ist. Ich bin weiter der Ansicht, dass wir wissen sollten, dass wir gemeinsam den Weg zu uns selbst, aber auch zu dem anderen, und damit auch zu einer gemeinsamen Zukunft suchen können."

Ein großes Projekt, das wissenschaftliches Arbeiten und das Engagement von Bürgerinnen und Bürgern gleichermaßen herausfordert, war geboren. Die notwendigerweise pluralistische Perspektivität im Blick auf die Vergangenheit der Euroregion Neiße/Nisa/Nysa wird nicht nur historisches Wissen vermitteln, sondern auch tiefgreifende Erkenntnis und Empathie wecken. Gespräche, die noch nie stattgefunden haben, könnten in Gang gesetzt werden. Dies ist ein Vorhaben, das auch als Modell für andere Regionen geeignet ist, denn: "Die Geschichte Europas ist geprägt von Flucht und Vertreibung. Es wird selten eine Familie insbesondere in Mitteleuropa geben, deren Angehörige nicht in irgendeinem Zusammenhang, oft unter grausamen Bedingungen, zu einem Wechsel ihrer örtlichen Gebundenheit gezwungen waren." (Ingrid Lottenburger)

In den Begegnungen der Menschen, die das Forum organisiert hat, wird immer wieder deutlich, was diejenigen, die die deutsch-tschechischen/tschechisch-deutschen Beziehungen ständig mit bestimmten Absichten polarisieren, nicht wissen oder nicht wahr haben wollen: die Verquickung der beiden Völker auf den biografischen, kulturellen und politisch-gesellschaftlichen Ebenen ist häufig so eng, dass die Versöhnung für die einzelnen Menschen zu einem existentiellen Anliegen wird, bisher immer noch weitgehend begraben unter der Last von Tabus.

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Ingrid Lottenburger ist Vorsitzende des Deutsch-Tschechischen Forums der Frauen e.V. Kontakt: Im Heidewinkel 26a, 13629 Berlin