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Wegen freier Meinungsäußerung in Ankara sterben
von
Leyla Zana ist Abgeordnete von Diyarbakir, politisch-kulturelles Zentrum Türkisch-Kurdistans. Einzige weibliche Parlamentsabgeordnete des kurdischen Volkes, in Ankara inhaftiert seit dem 5.März 1994. Die Türkei hat eine lange Tradition politischer Prozesse. Nach jedem Militärputsch wurden - auch hochrangige - Politiker und Politikerinnen verhaftet, abgeurteilt und ins Gefängnis geworfen. Doch der Prozess, der jetzt gegen mich und meine kurdischen Parlamentskollegen geführt wird, ist ein Novum in der politischen Geschichte meines Landes. Es ist das allererste Mal, daß gewählte Volksvertreter unter einer sich zivil nennenden Regierung wegen Ihrer Meinungsäußerung verhaftet, vor Gericht gestellt und mit der Todesstrafe bedroht werden.
Dieses Gericht möchte mich zum Tode verurteilen, weil ich mich seit Übernahme meines Parlamentsmandats als Abgeordnete von Diyarbakir im Oktober 1991 legal und friedlich für mein Volk einsetze. Man wirft mir in kunterbunter Reihenfolge folgende Vergehen vor: meine öffentlichen Meinungsäußerungen im Parlament, bei Wahlkampfveranstaltungen und in der lokalen und internationalen Presse; einen Hungerstreik als Protest gegen die Zerstörung der kurdischen Stadt Simak durch die türkische Armee; sowie meine zahlreichen Appelle für Frieden und Dialogbereitschaft. Mein schlimmstes Verbrechen aber scheint in ihren Augen ein Satz in kurdischer Sprache über die Solidarität zwischen Kurden und Türken und ihre gleichberechtigte und demokratische Koexistenz zu sein, den ich anläßlich meiner Vereidigung sagte. Sogar die Farben meiner Kleidung hat man mir als "separatistisches erbrechen" vorgeworfen. Indem ich von der Existenz des kurdische Volkes und von Kurdistan sprach und die demokratische Anerkennung der kulturellen Identität der Kurden innerhalb der Grenzen des türkischen Staates forderte, hätte ich überdies die Ziele der PKK vertreten und sei folglich "objektiv ein Mitglied des politischen Flügels dieser Partei". Doch die PKK führt einen bewaffneten Kampf, während unser gesamtes Streben darauf ausgerichtet ist, die Waffen zum Schweigen zu bringen und einer friedlichen Lösung des Kurdenproblems zu suchen.
Ich bin nicht die einzige, die von der Existenz der Kurden spricht. Auch Präsident Özal hat von der Existenz von "12 Millionen Kurden in der Türkei" gesprochen und öffentlich über Lösungsmöglichkeiten für dieses chronische Problem gesprochen, inkl. eine Föderation. Auch der gegenwärtige Präsident Demirel hat im Nov. 91 verlangt, daß die "Türkei die Realität der Kurden anerkennt".
Man wirft uns im Grunde nichts anderes vor, als daß wir im Rahmen der freien Meinungsäußerung unsere Meinung zur Koexistenz von Türken, Kurden und anderen Völkern in der Türkei auf der Grundlage von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit geäußert haben. Wir sind niemals gewalttätig gewesen und haben niemals Gewalt gepredigt. Unser einziges Verbrechen ist unser hartnäckiges bestehen auf demokratische und friedliche Forderungen. Wieimmer der Prozess, den man uns macht, verlaufen wird, so ist es ausgeschlossen, daß wir unsere Ideen und Forderungen widerrufen. Niemand darf daran zweifeln, daß wir diese Ideen und Forderungen weiter vertreten werden, koste es was es wolle, und wir werden alle unsere Kräfte weiterhin für eine friedliche Lösung der Kurdenfrage einsetzen, denn für diese Aufgabe wurden wir gewählt.
Als erste gewählte weibliche Abgeordnete des kurdischen Volkes, laufe ich Gefahr, für meine Ansichten über Frieden, Demokratie und die Anerkennung der legitimen Rechte meines Volkes zum Tode verurteilt zu werden. Und ein Staat, der sich "demokratisch" nennt, der Mitglied der NATO und Europarat ist und sich der Unterstützung vieler westlicher Länder erfreut, will mich an der Schwelle zum Jahr 2000 auf dem Scheiterhaufen verbrennen. Ist das weniger schockierend als das Urteil gegen Taslima Nasrin durch islamische Gruppen?