FriedensforscherInnen

„Weißbücher“ haben ausgedient!

Die Kommission "Europäische Sicherheit und Zukunft der Bundeswehr" am Institut für Friedens- und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg hat im Januar ein kritisches Papier mit dem Titel „Weißbücher“ haben ausgedient! Plädoyer für ein friedens- und sicherheitspolitisches Grundlagendokument der Bundesregierung“ verfasst.  

Der erste Punkt des Papiers trägt die Überschrift: „ Die Federführung des Verteidigungsministeriums ist überholt“. Hier argumentieren die Mitglieder der Kommission, dass „spätestens mit Ende des Ost-West-Konflikts ...  sich das gewohnte Weißbuch-Format  überholt (hat)“. Das Verteidigungsministerium, „von Amts  wegen fürs Militärische zuständig“, sei „der falsche Ort, um ein friedens- und  sicherheitspolitisches Grundlagendokument der Bundesregierung zu formulieren. Darüber legt das derzeit noch gültige Weißbuch 2006 beredt Zeugnis ab ...“. Dies belegen sie anschließend mit einer Aufzählung von „grundsätzlichen Defiziten“ des Weißbuchs 2006. Es verpflichte „Sicherheitspolitik sehr unspezifisch auf die Wahrung nationaler Interessen. Damit korrespondiert ein inhaltlich extrem weites Sicherheitsverständnis, das eine Vielzahl von Themen erfassen kann: Menschenrechte, Migration, freier Welthandel, Pandemien, Massenvernichtungswaffen, transnationaler Terrorismus, um nur einige der im Dokument  genannten Beispiele anzuführen. Es fehlt aber eine begründete Prioritätensetzung. Dies hängt damit zusammen, dass es bisher keinen politischen Konsens darüber gibt, was die konkreten Interessen der Bundesrepublik Deutschland sind.“

Des Weiteren kritisieren die AutorInnen, dass Deutschland das Recht für sich reklamiere, „gemeinsam mit Bündnispartnern jeder wahrgenommenen Bedrohung am Ort ihres Entstehens mit allen für erforderlich gehaltenen Mitteln zu begegnen – militärische Optionen im gesamten Intensitätsspektrum eingeschlossen. Das damit verbundene Risiko für den Weltfrieden und die internationale Sicherheit, das entstünde, wenn jeder dieses Recht für sich in Anspruch nähme, erwähnt das Weißbuch nicht.“

Sie führen anschließend aus, welche politiktheoretischen (Sichtweise des politischen ‚Realismus“), konzeptionellen (Strategie des ‚vernetzten Ansatzes‘), analytischen (Fokussierung auf Symptome anstatt auf Konfliktursachen), strategisch-praktischen (Ausklammerung der eigenen Beiträge zu den Konfliktursachen) und ethischen (Einsatz militärischer Gewalt) Gesichtspunkte das Weißbuch 2006 dominieren. Völker-und auch Verfassungsrecht würden teilweise als Legitimationsressource begriffen. „So erkennt das Weißbuch durchaus das Völkerrecht an, denn die Sicherheitspolitik Deutschlands soll u.a. von dem Ziel geleitet werden, zur Achtung der Menschenrechte und zur Stärkung der internationalen Ordnung auf der Grundlage des Völkerrechts beizutragen. Gleichwohl enthält das Dokument Passagen, deren Völkerrechts- und Verfassungskonformität zumindest in Zweifel steht. Dies betrifft beispielhaft das verklausulierte Recht auf präventive Selbstverteidigung und antizipatorische Nothilfe für Bündnispartner ebenso wie eine sehr eigenwillige Fassung der internationalen Schutzverantwortung für bedrohte Bevölkerungen.

Das dritte Kapitel des zehnseitigen Papiers heißt: „Was für ein friedens- und sicherheitspolitisches Grundlagendokument wichtig ist“. Die AutorInnen meinen, dass dem Kabinett der politische Wille fehle, ein umfassendes Grundlagendokument für die deutsche Friedens- und Sicherheitspolitik zu schreiben, was aber erforderlich wäre. Ein solches Papier müsse verschiedene „Essentials enthalten, um den ... Qualitätsanforderungen (politiktheoretische Reflexion, analytischer Tiefgang, strategisch-praktische Konsequenz, ethische Urteilsbildung und rechtliche Gewissenhaftigkeit) zu genügen“. Im Folgenden führen sie aus: 

  • Paradigmenpluralität statt Fixierung auf den erweiterten Sicherheitsbegriff. „Dazu gehört mit Blick auf den Nord-Süd-Konflikt, dass Entwicklung und globaler Verteilungsgerechtigkeit ein ihrer tatsächlichen Bedeutung gemäßer Stellenwert zukommen muss“.
  • Deutsche Politik, die sich als Friedenspolitik versteht, braucht Weitblick und einen langen Atem. Dies gilt insbesondere dann, wenn der Problemdruck zunimmt. Gerade angesichts akuter Gewalterfahrung, wie nach den Terroranschlägen in Paris, wächst der nachvollziehbare Wunsch, eigene Stärke zu demonstrieren sowie künftige Wiederholungen schnell und verlässlich auszuschließen. Der Rekurs auf militärische Gewalt erscheint auf den ersten Blick, Abhilfe zu versprechen. Allerdings zeigt sich beim zweiten Hinsehen: Der Einsatz von  Streitkräften verfehlt oftmals den intendierten Zweck, bewirkt unter Umständen sogar das  Gegenteil: Afghanistan jedenfalls ist trotz jahrelanger massiver Intervention kein friedlicher und sicherer Ort geworden, der Einfluss der Taliban wächst zusehends. ...“ Im Folgenden geht es auch um den Islamischen Staat, der „nicht zuletzt ein Produkt des Irakkriegs 2003“ darstelle.
  • Europa müsse als Friedensprojekt begriffen werden. Man habe durch eigene Fehler dazu beigetragen, dass eine „inklusive gesamteuropäisch e Friedensordnung vorerst gescheitert“ sei.
  • Die deutsche Politik müsse eine Vielzahl von Strategien entwickeln, die den jeweiligen Konflikten und Krisen angemessen seien. Die neue Abteilung für Krisenprävention, Stabilisierung und Konfliktnachsorge im Auswärtigen Amt sei dafür der geeignete Ort.
  • Sehr kritisch sehen die AutorInnen die Militärinterventionen der letzten zwanzig Jahre: „Insbesondere solche Einmischungen, die auf einen Regime Change samt State und Nation Building abzielten, müssen als gescheitert betrachtet werden“, heißt es dort. Allerdings lehnen sie militärische Interventionen nicht grundsätzlich ab – wenn es um die Zielsetzungen des Konzepts der Schutzverantwortung gehe, könnten sie geboten erscheinen. Aber es brauche den grundsätzlichen „Vorrang für eine gewaltpräventive Politik, wie er auch in den Dokumenten zur Schutzverantwortung steht. Zweitens bedarf es einer gewissenhaften Einzelfallprüfung, die die jeweils besonderen Konfliktumstände berücksichtigt, bevor über Maßnahmen entschieden wird. Drittens heißt es, Erfolgsaussichten unterschiedlicher Handlungsoptionen realistisch einzuschätzen. Und viertens müssen Ausstiegsszenarien durchdacht werden – nicht zuletzt auch, um der Notwendigkeit Nachdruck zu verleihen, in Konfliktgebieten möglichst schnell zu selbsttragenden Lösungen zu kommen, die auch ohne Interventionskräfte funktionieren.
  • Der nächste Punkt ist, dass Deutschlands Verpflichtung für den Frieden zudem bedeute, „den Aufstieg neuer Mächte insbesondere – aber nicht nur – in Asien friedensverträglich zu begleiten. Die nach dem Zweiten Weltkrieg entstandene internationale Ordnung ist in ihrer gegenwärtigen Gestalt nämlich nicht mehr zeitgemäß und bedarf der dringenden Reform, soll sie weltweit Akzeptanz finden. Das gilt z.B. in Bezug auf die Zusammensetzung des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen oder die Stimmrechtsverteilung im Internationalen Währungsfonds.
  • Der letzte, damit zusammenhänge Aspekt, ist, eine global größere Verteilungsgerechtigkeit im Nord-Süd-Verhältnis zu schaffen.

Dieses Papier ist sicherlich kein Grundsatzdokument aus der Friedensbewegung. Aber es greift sehr viele Punkte auf, die den Analysen und Forderungen der Friedensbewegung entsprechen oder zumindest nahe kommen. Es wäre ihm zu wünschen, dass es auch in den zuständigen Ressorts der Bundesregierung gelesen und Beachtung finden würde.

Das Papier verantworteten: Detlef Bald, Jörg Barandat, Agnieszka Brugger, Michael Brzoska, Peter Buchner, Hans-Georg Ehrhart, Jana Hertwig, Sabine Jaberg, Martin Krüger, Berthold Meyer, Burckhardt Müller- Sönksen, Reinhard Mutz, Winfried Nachtwei, Bernhard Rinke, Claus von Rosen, Paul Schäfer, Michael Staack. Es kann unter folgender Adresse heruntergeladen werden: http://ifsh.de/file-IFSH/IFSH/pdf/aktivitaeten/BW-Kommission_Weissb%C3%B...

Diese Zusammenfassung wurde von der Redaktion des Friedensforums erstellt.

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