Weltraumtagung - ein Stich ins Wespennest

von Regina Hagen
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"Weil uns die Veranstalter in Zusammenhang mit Militärsatelliten gebracht haben und sehr voreingenommen sind" verweigerte Anfang März 1999 die Europäische Weltraumagentur (ESA) ihren als Referenten eingeladenen Mitarbeitern die Dienstreisegenehmigung zu einer Weltraumtagung in Darmstadt(1). "U.S. Weltraumkommando unterstützt die Operationen im Kosovo" überschrieb am 24. März die US Air Force eine Presseeklärung(2). Welcher Zusammenhang zwischen diesen beiden Aussagen besteht und welch unerwartete Folgen sich aus der Darmstädter Tagung ergaben schildert der folgende Artikel. Die veranstaltenden Friedens- und Wissenschaftlergruppen waren eher ratlos. Zwei Tage vor der Tagung "Weltraumnutzung und Ethik. Kriterien für die Beurteilung künftiger Weltraummissionen", die vom 3.-5. März 1999 in Darmstadt abgehalten wurde, war mit der Absage des deutschen Astronauten Ulf Merbold endgültig klar, dass der geplante Tagungsablauf nicht einzuhalten war. Sämtliche Mitarbeiter der ESA wie des DLR (Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt e.V.), die als Referenten auf dem Programm standen und ihr Kommen zuvor zugesagt hatten, zogen ihre Zusagen - teilweise mit großem Bedauern - zurück. Eine Begründung wurde nicht gegeben.

Damit rundete sich ein Bild ab, war es doch in vielen Fällen gar nicht erst gelungen, Vertreter aus Weltraumindustrie und -agenturen für die Tagungsteilnahme zu gewinnen. Nicht etwa, dass die Ingenieure und Forscher kein Interesse an der Diskussion von Sinn, Nutzen und ethischer Einschätzung der Weltraumtechnologie gezeigt hätten. Aber eine Teilnahmegenehmigung wurde vom Management in der Regel nicht erteilt. War es doch erklärte Absicht der Tagung, Weltraumfahrt an einigen exemplarischen Fällen - Nutzung von Kernenergie im Weltraum, bemannte Weltraumfahrt/Internationale Raumstation und Dual-use der Satellitenfernerkundung - kritisch zu hinterfragen. Auch das SPD-geführte Bundesforschungsministerium sah sich übrigens nicht in der Lage, dem Wunsch nach einem Tagungsreferenten nachzukommen.
 

Dabei haben die Tagung und die Ereignisse im Umfeld gezeigt, wie notwendig dieser öffentliche Diskurs ist. Zwei Themenkomplexe haben sich als äußerst brisant herausgestellt: die militärische Nutzbarkeit von Weltraumtechnologie sowie die Finanzierung der deutschen und europäischen Weltraumprojekte.

Militär im Weltraum und Kosovo-Krieg
Ganz im Sinne ihrer Satzung wies die ESA darauf hin, dass ihre Projekte ausschließlich zivilen Charakter haben. Allerdings strebt sie offensichtlich nach einer Ausweitung ihres Programms. "Die Europäer müssten ihre eigenen Fernmelde- und Forschungssatelliten [] vermehrt auf militärische Nutzungsmöglichkeiten hin testen", ließ Peter Creola, Vorsitzender des ESA-Strategiekomitees, Ende April 1999 verlauten.(3) Das Komitee empfiehlt die Aufstockung des ESA-Etats, da "wie das US-Beispiel zeige, Raumfahrt zunehmend zu einem integralen Bestandteil politischer, wirtschaftlicher und militärischer Führung werde."(4) Damit haben die ESA-Strategen zweifellos recht. "Das US-Weltraumkommando leistet substantielle Weltraumunterstützung der NATO-Operationen im Kosovo. Ein teilstreitkräfte-übergreifendes Unterstützungsteam des US-Weltraumkommandos berät vor Ort die US-amerikanischen und alliierten Kämpfer in Europa und koordiniert den optimalen Einsatz der US-amerikanischen Weltraumtechnik. Die Weltraumoperationen erhöhen durch die Kontrolle von Satelliten, die Raketenwarnungs-, Kommunikations-, Wetter-, Navigations- und Aufklärungsfähigkeiten bieten, die Kampfkraft der US-amerikanischen und allierten Luft-, Land- und Seestreitkräfte."(5) Ob Kampfflugzeuge oder unbemannte Drohnen, ob Marschflugkörper oder lasergelenkte "Präzisionswaffen", ob Aufklärungsmission oder Kampfeinsatz - die Luftstreitkräfte der NATO sind auf die Daten der US-militärischen GPS- (Global Positioning System) Satelliten angewiesen.

Kaum verwunderlich also, dass die Europäer die Abhängigkeit vom "großen Bruder" durchbrechen wollen. Unter dem Codenamen "Galileo" ist unter Führung der ESA der Aufbau eines europäischen Satellitennavigationssystems (GNSS) geplant, an dem sich Deutschland beteiligen will. "Immerhin sei denkbar, dass sich die Vereinigten Staaten irgendwann nicht mehr in der Lage sähen, ihre Funksignale zur Verfügung zu stellen - wenn zum Beispiel Konkurrenzprobleme auftreten", räsoniert die ESA.(6)
 

"Außerdem", so die ESA-Sprecherin des Darmstädter Kontrollzentrums, "können Vorkommnisse wie der Kosovo-Krieg dazu führen, dass Sicherheitsbedenken gegen die Weitergabe von Daten militärischer Satelliten laut werden.(7)" Also macht sich Europa lieber unabhängig... Money, money, money... Unter anderem für die Entwicklung des GNSS, aber auch für den Aufbau und Betrieb der Internationalen Weltraumstation (ISS), die Weiterentwicklung der Rakete Ariane V, das Erdbeobachtungsprogramm "Living Planet", die Mikrogravitationsforschung, ein Telekommunikationsprogramm und die Entwicklung eines neuen Trägersystems besteht bei der ESA ein enormer Finanzbedarf. Etwa zeitgleich mit der Darmstädter Tagung wurde aus Bonn bekannt, dass die ESA eine Erhöhung des bundesdeutschen Budgetanteils von momentan 970 Mio. DM auf 1,43 Mrd. DM im Jahr 2003 fordert - eine Steigerung von 40%.(??????) Die Vermutung liegt nahe, dass dem ESA-Management kritische Nachfragen über den Sinn und Unsinn, über Zukunftsfähigkeit und Nutzbarmachung, über friedensfördernde und destabilisierende Nebenwirkungen der Weltraumfahrt in dieser Situation nicht gelegen kamen. Da schien es klüger, sich der Debatte zu entziehen.

Allerdings ging das Kalkül der ESA nicht auf. Durch kurzfristige Änderungen des Tagungsprogramms gelang es den Darmstädter Organisatoren, auch ohne die ESA- und DLR-Referenten ein interessantes, kontroverses und vielseitiges Programm auf die Beine zu stellen. Die Referenten und Teilnehmer aus einem Dutzend Länder (von den USA bis Usbekistan) und mit ganz unterschiedlichem Hintergrund (von Wissenschafts- und Friedensgruppen über Weltraumexperten bis hin zur US-amerikanischen Luftwaffe) nahmen sich der kontroversen Themenblöcke mit großem Ernst, einer gehörigen Portion Neugier und erstaunlicher Offenheit an. Viele fach- und länderübergreifende Kontakte wurden aufgebaut und mündeten in unterschiedlichste Vereinbarungen zur Zusammenarbeit.

Das bislang konkreteste, unmittelbarste und von Politik und Presse am meisten beachtete Ergebnis der Tagung war sicherlich die Ausarbeitung eines Moratoriumsaufrufs an die deutsche Forschungsministerin Bulmahn, bei der ESA-Ministerratstagung Mitte Mai nicht der eingeforderten Erhöhung der Bundeszuschüsse zuzustimmen, sondern den Etat auf dem momentanen Stand einzufrieren und so Zeit für die Diskussion der geplanten Weltraumprojekte zu gewinnen. Dem Aufruf der fünf Initativgruppen (Bund demokratischer WissenschaftlerInnen, NaturwissenschaftlerInnen-Initiative, Grundsatzausschuss der AGBR, Darmstädter Friedensforum und Informationsstelle Wissenschaft und Frieden) schlossen sich weitere Forschungs-, Wissenschafts- und Arbeitnehmerorganisationen an.

Inzwischen hat das Bonner Kabinett beschlossen, den Etat der ESA ab dem Jahr 2000 auf 980 Mio. DM zu erhöhen - mit 10 Mio. DM plus also kaum das, was sich die ESA erhofft hatte.

1 Zitat der Sprecherin des ESA-Kontrollzums ESOC,
  Jocelyne Landeau, in "Raumfahrttagung ohne
  Merbold", Darmstädter Echo vom 4.3.1999

2 "U.S. Space Command Supports Kosovo Operation",
  Presseeklärung der Peterson Air Force Base,
  Coloroda, vom 24.3.1999

3 Stefan Brändle, "Die Zukunft wartet nicht auf die
  Langsamen", Frankfurter Rundschau vom 24.4.1999

4 "Warten auf den Befreiungsschlag", VDI
  nachrichten vom 30.4.1999

5 U.S. Space Command, a.a.O.

6 "Pfadfinder aus dem All", Darmstädter Echo vom
  27.4.1999

7 ebenda

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Sprecherin der Kampagne "Büchel ist überall – atomwaffenfrei.jetzt“ und ehemals verantwortliche Redakteurin der Quartalszeitschrift "Wissenschaft & Frieden".