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Wenn es wehtut - Grenze der Meinungsfreiheit für Soldaten?
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"Der Kampf der Meinungen ist das Lebenselement der Demokratie" - so der Richter Gehrke vom Landgericht Frankfurt/Main am 20.10.1989 bei der Urteilsverkündung anläßlich des Freispruchs eines Arztes zur Aussage "jeder Soldat ist ein potentieller Mörder". Am 28.10.1989 veröffentlichte die Frankfurter Rundschau die mündliche Urteilsbegründung, doch schon vorher hatten viele Politiker, aber auch hohe Repräsentanten der Bundeswehr massive Urteilskritik geübt: Der Rechtsfrieden werde in Frage gestellt, der Tatbestand der Rechtsbeugung sei erfüllt, es handele sich um einen gravierenden Angriff auf den Rechtsfrieden und ein Schandurteil, gar von einem richterlichen Exzess war die Rede!
Auf diese unerträgliche Urteilshetze reagierten am 7.11.1989 Soldaten des Arbeitskreises DARMSTÄDTER SIGNAL mit einer Presseerklärung, die auch allen Mitgliedern des Deutschen Bundestages zugesandt wurde. Sie begrüßten den Freispruch und setzten sich sachlich mit der Urteilsbegründung auseinander. Ihre Zustimmung erstreckte sich auf den dort sehr deutlich erläuterten Sachverhalt, daß jeder Soldat angesichts der Anhäufung von Massenvernichtungswaffen und ihrer unkalkulierbaren Auswirkungen bei ihrem Einsatz unweigerlich an massenhaftem, unterschiedslosen Töten beteiligt und mitverantwortlich wäre.
Diese Inanspruchnahme des Rechts auf freie Meinungsäußerung aufgrund ihres Gewissenskonfliktes, aber auch die Kritik an der damals gültigen NATO-Strategie der Nuklearen Abschreckung, die bewusst eben dieses massenhafte und unterschiedslose Töten in Kauf nimmt, bekam des 21 Unterzeichnern der Presseerklärung sehr schlecht: dienstliche Ermittlungen, Disziplinarstrafen und gerichtliche Verfahren auf Veranlassung des Bundesministeriums der Verteidigung waren die Folge. Im September 1991 sprach der Wehrdienstsenat des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) das bis dahin drastischste Urteil - zwei Offiziere wurden degradiert, gegen einen jungen Offizieranwärter eine Beförderungssperre verhängt. Dies nahm die Leitung des Verteidigungsministeriums als Freibrief, nun auch gegen alle anderen Unterzeichner gerichtlich vorzugehen, obwohl es daneben sogar rechtskräftige Freisprüche gab!
Am 10. Juli 1992 hat nun das Bundesverfassungsgericht die Urteile des BVerwG aufgehoben - durch einstimmigen Beschluß einer Kammer des Zweiten Senats, denn das BVerwG-Urteil war so offensichtlich abwegig, daß der Senat selbst nicht einmal bemüht werden mußte! Der Wehrdienstsenat muß sich von den Verfassungshütern vorwerfen lassen, die Mäßigung versäumt zu haben, die er von den Soldaten in Bezug auf die Debatte um den "potentiellen Mörder" verlangt hatte. Die verfassungsrechtlichen Vorgaben zur objektiven und sachlichen Ermittlung des Sachverhalts wurden - so das BVerfG - nicht beachtet, vielmehr hat der Wehrdienstsenat der Pressemitteilung in "emotional gefärbter Begrifflichkeit" ... "einen verschärften und sachlich überzogenen Inhalt" gegeben, der erst die hohen Strafen ermöglichte. Aufgrund von Verstößen gegen Art. 2 und 5 des Grundgesetzes wurden die Urteile aufgehoben und die Verfahren an das BVerwG zurückgewiesen.
Ein großer Erfolg für die Signaler, doch in Bezug auf die Meinungsfreiheit der Soldaten mit einem "Schönheitsfehler" behaftet: Denn auch das Verfassungsgericht ist der Ansicht, "daß der Soldat bei seiner Meinungsäußerung von der Verwendung bestimmter Begriffe, die besonders emotionsbeladen sind und - selbst im Kontext ihrer Verwendung - zu erheblichen Mißverständnissen und Fehlinterpretationen führen können, absehen muß"!
Diese Formulierung könnte nämlich dahingehend interpretiert werden, daß man als Soldat tatsächliche Sachverhalte, wie z.B. die Gefahr massenhaften, unterschiedslosen Tötens durch Massenvernichtungsmittel, also Völkermord, nicht als solchen bezeichnen darf, oder aber bestraft werden kann, obwohl man objektiv die Wahrheit sagt.
Es bleibt abzuwarten, ob in den noch laufenden Verfahren auch nach dem Beschluß des Verfassungsgerichts die Tatsachenbehauptung, daß Soldaten im Atomzeitalter in Völkermord verstrickt werden könnten, als solche anerkannt wird und straffrei bleibt, auch wenn diese Aussage unbequem ist und weh tut. Vielleicht aber siegt die Furcht vor einer offenen Diskussion um diese Fragen, der man durch erneutes, wenn auch "milderes" Bestrafen derjenigen Soldaten, die sich zu Wort melden, ausweichen will. Nur ein zufälliger zeitlicher Zusammenhang zur Debatte um neue Aufgaben der Bundeswehr?!