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Wenn man mit mehr Fragen als Antworten heim kommt...
vonVon 14. - 28.2.92 besuchten 14 MitarbeiterInnen deutscher Friedensorganisationen Israel/Palästina. Organisiert wurde diese Reise vom Fränkischen Bildungswerk für Friedensarbeit in Nürnberg. Ziel der Reise war einerseits, die gegenwärtige Situation des sog. Nahostkonfliktes verstehen zu lernen und andererseits Kontakte zu Organisationen in diesem Land aufzubauen, die sich für Frieden und Gerechtigkeit engagieren.
Einer der Voraussetzungen, unter der wir diesen Konflikt betrachten wollten, war die Anerkennung der von beiden Seiten berechtigt eingeforderten Interessen (zwei Völker, die mit Recht dasselbe Land für sich beanspruchen). Daraus begründet sich der Anspruch einer doppelten Solidarität mit Israel und Palästina. Die Reise sollte die Möglichkeiten, Grenzen und Spannungen einer solchen Parteinahme für beide Seiten erkunden.
Eine weitere Voraussetzung war, daß wir als Deutsche aufgrund der Geschichte der Shoah, unsere besondere Verantwortung gegenüber Israel anerkennen. Nicht zuletzt der Golfkrieg hat deutlich gemacht, wie sehr unser Verhalten als Deutsche in dieser Region einen besonderen politischen Einfluß ausübt. Zum einen erzeugte unser Ignorieren der Bedrohung Israels durch den Irak bei gleichzeitiger Lieferung von deutschem Gas an diesen kriegführenden Staat zu regelrecht traumatischen Angstreaktionen.Auf der anderen Seite führen die PalästinenserInnen ihre Situation der Unterdrückung ebenfalls auf die Geschichte der Vertreibung der Juden aus Europa zurück. Angesichts dieser Verknüpfung mit beiden Seiten sahen wir uns in Israel/Palästina nicht nur als von außen Beobachtende und Urteilende, sondern wir erlebten uns als Teil des Konfliktes.
Kein Land ist ungestraft Besatzungsmacht"Ä (Prof. Joseph Walk, Religiöse Zionisten für Stärke und Frieden)
Wir trafen uns zuerst mit einer Reihe von jüdischisraelischen Friedensorganisationen, um von ihrer Arbeit und ihren Friedensperspektiven zu erfahren. Die israelische Friedensbewegung ist sehr vielschichtig. In der Bevölkerung bekannt und z.T. auch einflußreich sind die "gemäßigte" zionistische Organisation " Frieden Jetzt" und die Bürgerrechtspartei "RATZ", die sich für eine Rückgabe der besetzten Gebiete einsetzen und zu Verhandlungen mit den PalästinenserInnen aufrufen, weil sie nur darin eine Chance erkennen, eine friedliche Existenz für Israel zu erreichen. Daneben stehen Gruppen und Organisationen, die in ihren Aktionen weitergehen, indem sie Menschenrechtsverletzungen in den besetzten Gebieten anprangern, Solidarität mit der PLO ausdrücken, den Wehrdienst in den besetzten Gebieten verweigern oder den schwierigen Dialog mit PalästinenserInnen suchen oder gar in gemischten Gruppen zusammenarbeiten. Eindrucksvoll sind die " Frauen in Schwarz", Frauen, die in verschiedenen Städten Israels jeden Freitag mittag gegen die Besatzung demonstrieren, obwohl sie dort heftig beschimpft werden von Rechten, Soldaten und vor allem Männern, die sich von dieser politischen Präsenz von Frauen scheinbar sehr herausgefordert fühlen.
Wir verbrachten einen Tag in der Gedenkstätte für die Opfer der Shoah "Yad Vashem". In einem Gepräch mit einem pädagogischen Mitarbeiter diskutierten wir über die Tatsache, daß aus der Shoah sehr Verschiedenes und Wiedersprüchliches gelernt werden kann: Sie kann eine Schule für den zionistischen Nationalismus und in seiner Konsequenz auch für massiven Militarismus sein, die Lehre kann aber auch Einsatz für Frieden und gegen jede Diskriminierung von Fremden und Anderen sein, in seiner Konsequenz auch radikaler Pazifismus. Wer entscheidet, wenn überhaupt entschieden werden soll, was die richtige Konsequenz ist, die Opfer, die Wissenschaft, jede/r Einzelne für sich selber...?
Die Waffen der Intifada sind stumpf geworden. Eine konstruktive Weiterentwicklung des Befreiungskampfes ist notwendig und möglich. (Nafez Assaily vom Palästinensischen Studienzentrum für Gewaltfreiheit)
Wir besuchten anschließend verschiedene Palästinensische Einrichtungen und Organisationen in Ostjerusalem und in der Westbank. Wir sprachen mit Lehrern, mit einer Frauenorganisation, besuchten eine Universität und ein Krankenhaus, in dem Intifada-Opfer behandelt werden. Überall wurden wir mit schrecklichen Folgen von jahrelanger massiver Unterdrückung und Gewalttaten durch das israelische Militär konfrontiert. Sie ließen keinen Zweifel daran, daß es keinen Frieden geben kann, wenn die PalästinenserInnen ihren eigenen Staat aufbauen können. Und deutlich spürbar war die Ungeduld - nachdem vier Jahre Intifada politisch nicht viel erwirkt haben und die Intifada an Wirkung verliert.
Das Palästinensische Studienzentrum für Gewaltfreiheit in Ostjerusalem arbeitet für eine konstruktive Weiterentwicklung der Intifada. Eine Hauptmethode der Intifada ist z.B. der Generalstreik, der nach wie vor sehr strikt durchgeführt wird. Freilich kümmert sich darum kein Mensch mehr, die PalästinenserInnen bestreiken sich vor allem selber, denn Juden kaufen sowieso seit der Intifada nicht mehr in palästinensischen Geschäften, und die palästinensischen Arbeitskräfte in der israelischen Industrie sind ersetzbar geworden durch die Einwanderer der letzten Monate. Die PalästinenserInnen könnten die Streiks aber zum Aufbau der eigenen sozialen Institutionen nutzen, für Krankenhäuser, Schulen, Kindergärten, Straßen. Diese Option zielt darauf ab, die durch die tägliche Unterdrückung und Entwürdigung entstandene Frustration nicht in strategisch sinnlose Gewalttaten, sondern in konstruktive Aktionen zur Schaffung einer neuen Identität und Lebensgrundlage umzuwandeln.
"In jedem Ort, an dem sich Israelis und PalästinenserInnen begegnen, geschehen die selben Prozesse wie auf der Ebene des Konfliktes zwischen den beiden Völkern." (Erfahrung aus der Friedensschule in Neve Shalom)
Wir besuchten einige Versöhnungsprojekte, z.B. das Friedensdorf Neve Shalom oder SHUTAFUT in Haifa. In Neve Shalom leben jüdische und palästinensische Familien zusammen und sie haben ein pädagogisches Friedensprogramm entwickelt, das auf dem Prinzip der Gleichwertigkeit und Gleichberechtigung beider Seiten beruht. Solche Verständigungsinitiativen schaffen erst die Voraussetzung dafür, daß politisch eine Friedensregelung geschaffen werden kann. Juden/Jüdinnen und PalästinenserInnen erleben an solchen Orten, daß auf der anderen Seite auch Menschen mit Ängsten, Sorgen, Hoffnungen und einer Sehnsucht nach Frieden sind, nicht nur Fanatiker und Terroristen.
Wenn Recht zu rassistischem Unrecht wird...
Zum Schluß besuchten wir israelische PalästinenserInnen in einem Dorf in Galiläa. Die palästinensischen BürgerInnen Israels werden in vielen sozialen Bereichen stark benachteiligt, z.B. in der Zuweisung von Geld für soziale Einrichtungen.
In den neuen Siedlungsplänen zur Ansiedlung der russischen Immigranten sollen arabische Siedlungsgebiete enteignet und dort neue Städte für die Immigranten gebaut werden. Dies würde einer weiteren Ghettoisierung sowie z.T. Vertreibung der PalästinenserInnen Vorschub leisten. Ein Beispiel dieser Politik ist das palästinensische Dorf Ramyah, ein Dorf von seßhaft gewordenen Beduinen. Es wurde von den israelischen Behörden nie anerkannt. Diese verweigerten von daher den Bau von Wasser- bzw. Elektrizitätsanschlüssen, Straßen sowie sozialen Einrichtungen. Heute reichen die Siedlungen der jüdischen Stadt Carmiel bis an die Dorfgrenze. Die israelische Regierung hat nun die Dorfbevölkerung dazu aufgefordert, ihr Dorf zu verlassen, um Raum für neue Siedlungen für die Immigranten zu schaffen. Die Dorfbevölkerung wehrt sich gegen die Vertreibung und erhält Unterstützung auch von der israelischen Friedensbewegung. Internationaler Protest wird erwünscht. Der Fall wird demnächst vor dem Obersten Gerichtshof verhandelt.
"Pazifismus ist moralisches Schmarozertum" - Mitarbeiter von Yesh Gvul.
Ein Impuls für diese Reise war die Erfahrung, daß wir als deutsche Friedensbewegung, als Protestbewegung gegen den Golfkrieg, in Israel nicht verstanden und stark kritisiert worden sind. Auch ein Großteil der israelischen Friedensbewegung hat sich für den Krieg ausgesprochen und uns z.T. auch offiziell kritisiert. Wir hatten daher mit Gesprächen über den Golfkrieg und unsere Rolle gerechnet und waren etwas überrascht, daß unsere israelischen Gesprächspartner diesem Thema eher ausgewichen sind. Der Krieg wird sehr stark verdrängt, er ist auch kein Thema des jüdisch-palästinensischen Dialoges auf Graswurzelebene. Es besteht ein starkes Bedürfnis, über die damit zusammenhängenden Konflikte hinwegzuschauen, um die aktuellen politischen Aufgaben behandeln zu können.
Auffallend war andererseits, daß unsere Gesprächspartner immer wieder betonen, daß sie keine Pazifisten sind. Auf der Sachebene bedeutet diese Botschaft, daß die Existenz des Militärs zur Verteidigung der Existenz des Staates Israel in der israelischen Bevölkerung nationaler Konsens ist und von den Friedenskräften akzeptiert wird, auch von denen, die z.B. den Dienst in den besetzten Gebieten verweigern und dafür ins Gefängnis gehen. Die Botschaft "Wir sind keine Pazifisten" wirkte häufig wie eine special message für uns als deutsche Friedensbewegung (manchmal war sie dies auch explizit) und beinhaltete den Vorwurf, daß wir von Israel verlangt haben, sich gegen Saddam Hussein nicht zu verteidigen. Bleibt die Hoffnung, daß auch dieses Thema offener behandelt werden kann, wenn aus diesen ersten Besuchen kontinuierlichere Beziehungen erwachsen.
Uns hat die Reise verdeutlicht, daß der politische Kampf für ein Verbot von Rüstungsexporten (nicht nur) in den Mittleren Osten der effektivste Beitrag für einen Frieden in dieser Region ist, den wir leisten können. Auf diesem Gebiet boten sich auch verschiedene Gruppen zu Kooperationen an, z.B. zum Informationsaustausch.
Vorsicht: Fußangeln
Uns ist deutlich geworden, daß der Israel-Palästina-Konflikt ein Kristallisationspunkt für die internationalen Konflikte der Zukunft sein wird. Durch seine religiösen Aspekte, durch die Verflechtung von Rüstungs- und Nuklearexportwirtschaft und durch die vielfältigen internationalen ökonomischen und strategischen Interessen gerade an dieser Region gerät der Israel-Palästina- Konflikt ständig unter die Räder von externen Interessen. Das Bestreben der USA, auf eine Lösung des Konfliktes zu drängen, ist so zu erklären: Solange der Konflikt derart der Instrumentalisierung für die internationalen kolonialen Machtinteressen ausgesetztist, ist eine konstruktive Konfliktlösung unmöglich.
Eine solche Instrumentalisierung ist auch in der Friedensbewegung und in der deutschen Linken häufig anzutreffen. Das Problem wird in Schemen gepreßt, in die es nicht paßt. Ich erinnere mich z.B. daran, daß in der öffentlichen Debatte um den Golfkrieg häufig (unterschwellig) die Besetzung Kuwaits durch Saddam Hussein mit einem Hinweis auf die 25-jährige Besatzung Palästinas und der Zerstörung des Libanons heruntergespielt wurde. Hier werden zwei Konflikte miteinander verglichen, deren Essenzen und Ursachen sehr unterschiedlich sind. Fehlendes Wissen über die geschichtlichen Hintergründe und politischen und sozialpsychologischen Zusammenhänge des Israel-Palästina-Konfliktes führen zu problematischen Schematisierungen. Die starke emotionale Besetzung des Holocaust einerseits, des Leidens der unterdrückten PalästinenserInnen andererseits, steht häufig einer genauen Analyse der komplexen Situation im Weg, zumal man in diesem Zusammenhang auch noch mit seiner häufig nicht zugelassenen "deutschen Identität" konfrontiert wird, mit Schuldkomplexen, blockierender Betroffenheit über das Leiden in der Geschichte, Mentalitätsunterschiede, und nicht zuletzt mit den Rollenkonflikten, in die man zwangsläufig gerät, wenn man versucht, sich mit beiden im Konflikt beteiligten Völkern zu solidarisieren.
Wissen ist Macht!?? - Nichtwissen bedeutet jedenfalls Ohnmacht!! Diese Lektion sollten wir aus dem Vorwurf während des Golfkrieges, wir seien antiisraelisch, gelernt haben. Denunzianten … la Henrik Broder oder Stoltenberg hätten kein so leichtes Spiel mit der Friedensbewegung gehabt, hätten wir kompetenter reagiert und feste Beziehungen zu dieser Region entwickelt.
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