Gespräch mit Peter Korneck

"Wenn Sie das Merkmal der 'schweren Straftaten' weglassen, ist es schlichtweg eine unternehmerische Tätigkeit.“

von Werner Raith Peter Korneck

Peter Korneck ist Staatsanwalt in Frankfurt. Er ermittelte bis 1986 zusammen mit fünf Kollegen gegen die Organisierte Kriminalität und ist jetzt im Dezernat zur Rauschgiftbekämpfung tätig. Das Interview habe ich anläßlich der schon öfter genannten NDR-Sendung "Organisierte Kriminalität in der Bundesrepublik - eine nicht theoriefähige Realität“ geführt.

 

Frage: Wie organisiert ist das Verbrechen in der Bundesrepublik?

Korneck: Da muß man natürlich erstmal klären, was man unter Organisiertem Verbrechen versteht. Experten, die nicht nur theoretisch arbeiten, sondern auch praktisch, gehen davon aus, daß es sich dabei um die Tätigkeit von Personen handelt, die mit vorausgreifender Planung arbeitsteilig und dauerhaft in Gewinnerzielungsabsicht schwere Straftaten begehen. Wenn Sie aus dieser Definition das Merkmal der "schweren Straftaten" weglassen, kommen Sie zu einer Beschreibung der Tätigkeit, die in Deutschland und in der ganzen westlichen Welt als unternehmerische Tätigkeit beschrieben wird.

Frage: Einziges Unterscheidungsmerkmal sind also die kriminellen Methoden. Eine Organisation analog zum Unternehmertum?

Korneck: Genau. Natürlich nicht in dem Sinne, daß man dafür Firmengebäude baut und Werbetafeln aufstellt. Doch genutzt werden beim Organisierten Verbrechen wie bei der legalen unternehmerischen Tätigkeit alle modernen Infrastrukturen und technischen und verkehrstechnischen Hilfsmittel bis hin zum Flugzeug etc.. Es geht aber noch weiter. Auch die innere Einstellung zum Geschäft ist prinzipiell die gleiche, es geschieht alles organisiert, und arbeitsteilig. Auch das vorgegebene Ziel, die Profitmaximierung, unterscheidet sich nicht.

Frage: Wie verbreitet ist die organisierte Verbrechen in Ihrem Einzugsbereich im Großraum Frankfurt und in welchen Sektoren tummeln sich die Banden in besonderem Maße?

Korneck: Wir arbeiten derzeit mit sechs Dezernenten und sind allesamt gut ausgelastet. An erster Stelle steht bei uns die Rauschgiftkriminalität. Sie weist ganz besonders schöne Analogien zur unternehmerischen Tätigkeit wie Import und Export, ja sogar das künstliche Schaffen eines Marktes auf. Dann folgen, in etwa gleichem Maß, Falschgeld, Waffenhandel, Ausbeutung von Prostitution mit seinen verschiedenen Aspekten wie zum Beispiel dem Mädchenhandel und dazu in steigendem Maß nun auch noch Schutzgelderpressungen.

Frage: Wer wird dabei·von wem erpreßt?

Korneck: Wir haben bisher als gemeinsames Merkmal dieser Schutzgelderpressungen feststellen müssen, daß sie sich im Allgemeinen jeweils innerhalb ein- und derselben nationalen Gruppe abspielen. Täler und Opfer entstammen meist demselben Land, der Pizzabäcker wird von einer italienischen Gruppe, persische Geschäftsleute werden von ih-ren Landsleuten erpreßt, bei den Malaien entsprechend. Mitunter, etwa bei den Chinesen, sind es dann nicht unbedingt aus demselben Land, wohl aber aus demselben Milieu stammende Personen, also über bestimmte Länder eingewanderte.im selben Geschäftszweig tätige oder auch über gemeinsame Kunden miteinander verbundene Kreise, aus denen Täter und Opfer stammen.

Frage: Es ist also nicht die deutsche Gang, die den Pizzabäcker ausbeutet, oder die Sizilianergruppe, die unterschiedslos eine ganze Straße kontrolliert?

Korneck: Ich will nicht sagen, daß das nicht vorkommt, aber der typische Fall ist es nicht.

Frage: Bei der Diskussion über die Organisierte Kriminalität kommt man sehr schnell auf Ausländer zu sprechen. Sind die Deutschen hintenan, oder spielen einfach Vorurteile herein?

Korneck: Beides. Festzustellen ist jedenfalls, daß in manchen Bereichen zu bestimmten Zeiten eine regelrechte ethnisch sichtbare Arbeitsteilung herrscht. Beim Heroinhandel war z.B. lange Zeit die Einfuhr und der Schmuggel weitgehend in türkischer Hand, der Zwischenhandel in israelische. Dagegen ist der Import von Kokain weitgehend in deutscher Hand. Ebenfalls spezifisch deutsche Sektoren sind bei uns organisierte Autodiebstähle und -verschiebereien ins Ausland, wobei häufig auch Versicherungssummen mitkassiert werden.

Frage: Wenn man die Praktiker aus Polizei und Staatsanwaltschaft hört, ist die Organisierung zwar noch lange nicht so weit fortgeschritten wie etwa in Italien, aber doch beunruhigend im Vormarsch. Trotzdem findet kaum eine öffentliche Debatte darüber statt, wie man gegensteuern kann, ehe es zu Verhältnissen wie in manchen Gegenden Unteritaliens oder den Vereinigten Staaten kommt. Warum diese Scheu vor einer Diskussion des Phänomens?

Korneck: Naja, wenn man diese Debatte beginnt; kommen sofort politische Implikationen dazu, vor allem die Frage, wieso es schon so weit hat kommen können. Da kneifen eben viele und vor allem viele Verantwortliche. Es gibt aber noch ein anderes Problem: Man kann das Vordringen der Organisierten Kriminalität auch als eine Folge zunehmender Enttäuschung vieler Zukurzgekommener deuten, die erkennen mußten, daß das in unserer Gesellschaft vorgegebene und nur sehr selten wirklich hinterfragte Ziel des Reichwerdens, des schnellen Reichwerdens, für viele trotz all der verlockenden Verheißungen nicht drin ist. Sie sehen, daß es unmöglich ist; auf legale Weise viel Geld zu verdienen. Aber sie erkennen durchaus, daß viele „da oben" mit auch nicht gerade feinen Mitteln ihr Glück machen. So zieht mancher die Konsequenz, sich zusammenzutun und innerhalb einer Organisation das zu holen, was er anders nicht bekommt. Das ist natürlich ein Trugschluß; aber wir hören diese Einstellung bei Ermittlungen immer wieder. Umgekehrt gibt es natürlich viele Leute, die aus ideologischen oder anderweitigen Gründen daran festhalten, daß jeder, der fleißig und kreativ ist, auch zu Reichtum kommen kann. Die Vertreter dieser Meinung neigen dann in der Regel dazu, Organisierte Kriminalität einfach wegzuleugnen oder als importiertes, nicht genuines Verbrechen abzuleugnen. Für solche Leute erübrigt sich natürlich eine Diskussion über die Entstehung und die gesellschaftliche und politische Verantwortlichkeit.

aus: Wener Raith, Mafia Ziel Deutschland. Vom Verfall der politischen Kultur zur organisierten Kriminalität. Frankfurt/Main 1992

 

 

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