Zum Umgang regionaler Tageszeitungen mit "Rechtsradikalen" - eine empirische Untersuchung deckt Versäumnisse der Presse auf

Wer das Bewußtsein für existierende Probleme nicht weckt, verharmlost sie

von Klaus Peter Görlitzer
Schwerpunkt
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Dieser Beitrag analysiert konkret, was an Informationen während eines Jahres in der Berichterstattung dreier, in einer Region vorherr­schenden, Zeitungen über die Republikaner im Wahlkampf die Leser er­reichte und was alles nicht. Ein Beitrag zur Praxis und zur Selbstrefle­xion.

Wie informieren sogenannte "Familien­zeitungen", die in allen Leser­schichten und in den meisten Haushal­ten verbreitet sind, über die "Rechts­radikalen"? Erste empirisch ab­gesicherte Antworten gibt die Studie "Aufklärung oder Tabuisierung?", die im Juli 1990 am Institut für Journalistik der Universität Dortmund abgeschlossen wurde. Untersucht wurde, wie drei im Ruhrgebiet beheimatete, aber auch in angrenzenden Regionen erscheinende Tageszeitungen von Januar bis Oktober 1989 über die inhaltlichen Ziele der Re­publikaner informiert haben. Die Pro­grammatik der REP wurde differenziert in 140 typische Aussagen, die durch Analyse von Parteiprogrammen und -Publikationen sowie aus Büchern und Reden von REP-Funktionären ermittelt worden waren.

Keine inhaltliche Aufklärung

Nach der Inhaltsangabe von jeweils 255 Ausgaben der "Westdeutschen Allge­meinen Zeitung" (WAZ, Essen), der "Westfälischen Rundschau" (WR, Dortmund) und der "Ruhr-Nachrichten" (RN, Dortmund) stand das Kernergebnis fest: Aus keiner der drei untersuchten Zeitungen erfahren die Leser auch nur annähernd, welche Ziele (typische Aus­sagen) die Republikaner im einzelnen verfolgen. Mit anderen Worten: Die Re­daktionen verschweigen, warum die REP demokratiefeindlich sind und wel­che Gefahren von ihnen ausgehen. Bei­träge, die Ziele der Republikaner mit Programmen und praktischer Politik der Volksparteien vergleichen, fehlen eben­falls.

Zwar erschienen im zehnmonatigen Untersuchungszeitraum 515 Artikel, die auch die REP thematisierten. Doch nur in jedem zwanzigsten Beitrag wurde mindestens ein Vorhaben der Partei of­fen angesprochen. Daß die Republikaner für die "Wiedervereinigung Deutsch­lands in den Grenzen von 1937" eintre­ten, also nur militärisch durchzuset­zende Ansprüche auf polnisches Staats­gebiet erheben, wurde gerade in einem der 515 Artikel erwähnt. Die REP-For­derung, wonach Erwerbslosen das Ar­beitslosengeld gestrichen werden soll, wenn sie sich weigern, jede ihnen vom Arbeitsamt zugewiesene Beschäftigung abzunehmen, stand in keinem Artikel. Und daß die Republikaner im Jahr 1989 in der Asylpolitik Positionen ("Quoten­regelungen für Füchtlinge, Ein­führung von Asyl-Schnellverfahren") propagier­ten, die inzwischen herr­schende Meinung in den Volksparteien CDU/CSU und SPD geworden sind, kann heute kein Leser der WAZ, WR und RN mehr nachvollziehen, im Unter­suchungszeitraum blieben die konkreten Forderungen der Republikaner zur Flüchtlings- und Ausländerpolitik fast völlig tabu.

Statt inhaltliche Poitionen der Republi­kaner zu benennen, sie fundiert zu ana­lysieren und drohende Konsequenzen aufzuzeigen, griffen die Redaktionen auf Methoden zurück, die zum Instru­mentarium der politischen Propaganda gehören. Kontinuierlich etikettierten WAZ, WR und RN die Republikaner mit Schlagwörtern wie "rechtsradikal", "ausländerfeindlich" oder "demago­gisch" - jedoch ohne im Kon­text zu erläutern, was sie mit diesen Be­griffen inhaltlich meinen. Konsequenz: Die Leser müssen sich selbst zusam­menreimen, warum die REP "ausländerfeindlich" sind, welche dis­kriminierenden Maßnahmen sie fordern.

Dabei müßte in den Redaktionen ei­gentlich klar sein, daß ein Etikett wie "ausländerfeindlich" unterschiedliche Assoziationen beim Publikum hervorru­fen kann. Denn bekanntlich gibt es kei­nen demokratischen Konsens, welche Tatbestände als "ausländerfeindlich" einzustufen ist - der Begriff ist nicht eindeutig definiert. So finden zahlreiche Bürger und Interessenverbände die Tat­sache "ausländerfeindlich", daß Men­schen ohne deutschen Paß in der Bun­desrepublik kein Wahlrecht  haben. An­dere, etwa die CSU/CSU-Fraktion im Bundestag, würden diese Ungleichbe­handlung Nichtdeutscher keineswegs mit dem Etikett "ausländerfeindlich" versehen. Welche Verwirrung in den Redaktionen herrschen muß, darauf deutet auch die Tatsache hin, daß in mehreren Beiträgen die REP synonym als "rechtsradikal", "rechtsextrem" oder "Rechtspartei" bezeichnet wurde.

Offenbar soll der Schlagwort-Journa­lismus negative Wertungen transportie­ren und beim Publikum emotionale Ab­lehnung hervorrufen. Sprachwissen­schaftler bezweifeln, ob diese propa­gandistische Methode, die auf das Ge­fühl statt auf den Verstand zielt, über­haupt die wohl gewünschte Wirkung (Abschreckung bzw. Warnung der Leser vor den Republikanern) erreichen kann.

gekürzt aus: P&K 10/1992

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K.P. Görlitzer ist der Autor der im Text genannten Studie, die in der Fachbibliothek Journalistik der Universität Dortmund eingesehen werden kann.