Ramstein

Wer nur die USA sieht, entschuldigt den deutschen Imperialismus

von Tobias Pflüger
Initiativen
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( c ) Netzwerk Friedenskooperative

Der folgende Text ist ein Ausschnitt aus einem Gespräch mit Tobias Pflüger, das in der junge Welt erschienen ist. Das Interview führte Johannes Supe.

Sie haben eben von der »Zusammenarbeit in der Friedensbewegung« gesprochen. Während Sie und andere [am Tag der Bundeswehr] gegen die Bundeswehr aktiv wurden, folgten andere AktivistInnen einem Aufruf der Kampagne „Stopp Ramstein“. Zwischen 1.500 und 5.000 Menschen forderten die Schließung der US-Basis in Ramstein, die für die Drohnenkriege der USA von großer Bedeutung ist. Die TeilnehmerInnenzahlen von Polizei und VeranstalterInnen unterschieden sich hier, blieben aber deutlich unter den 12.000, auf die die Organisatoren vorab gehofft hatten. Haben sich dieser und Ihr Protest gegenseitig ergänzt, oder sich die Teilnehmer weggenommen?

Es ist etwas skurril, dass das gleichzeitig stattfand. Wie die „Stopp Ramstein“-Kampagne ihren Termin festgelegt hat, weiß ich nicht. Der „Tag der Bundeswehr“ wird ja von der Armee bestimmt. Natürlich gibt es einzelne Aktivisten, die sich dann überlegen, wo sie hingehen. Aber im Großen und Ganzen würde ich sagen, dass sich die Proteste gegenseitig nicht viel genommen haben. Sie haben unterschiedliche Spektren angezogen. Auch die Organisation lief voneinander fast gänzlich unabhängig.

Die Kampagne wird hauptsächlich von Einzelpersonen getragen, hinter den Aktionen zum „Tag der Bundeswehr“ standen hingegen Organisationen. Woher rührt der Unterschied in der Organisationsform?

Unter den Aufruferinnen und Aufrufern zum Protest gegen die US-Basis sind umstrittene Persönlichkeiten. Dort sind auch Akteure der Montagsmahnwachen mit dabei. Deshalb hätte dieser Protest gar nicht anders als von Einzelpersonen organisiert werden können. Jede Organisation, die man nach ihrer Teilnahme gefragt hätte, hätte eine längere interne Debatte geführt. Eben die, ob man gemeinsam mit jenen von den Montagsmahnwachen auftritt. Wenige Organisationen hätten sich dazu entschieden. Das weiß ich von einer ganzen Reihe von Verbänden, aus denen aber Einzelpersonen zum Protest in Ramstein aufgerufen haben.

Es wird immer noch über die Montagsmahnwachen gestritten? Vor zwei Jahren mag das ja angemessen gewesen sein, aber heute kommt ihnen doch kaum noch eine Bedeutung zu.

Im Grunde weiß jeder, dass dieses Spektrum atomisiert wurde. Aber die Frage bleibt, mit welchen Themen man wen anzieht. Das ist die Kerndebatte, die derzeit in der Friedensbewegung geführt wird. Bei den Protesten gegen den „Tag der Bundeswehr“ ist völlig eindeutig, gegen wen man sich richtet und wo man steht. Auch im Fall der US-Basis in Ramstein kann man die Proteste inhaltlich gut aufziehen. Man kann dort aber auch Formulierungen finden, die sehr problematisch sind.

„Die Beteiligung Deutschlands an Interventionskriegen muss beendet und alle Aufrüstungsprogramme müssen gestoppt werden“, heißt es auf der Website von „Stopp Ramstein“. Dieser Formulierung wird doch auch die Informationsstelle Militarisierung zustimmen können.

Ja klar. Doch bei der gesamten Debatte um die Montagsmahnwachen war und ist es so, dass die Aufrufe zu den Aktionen nicht das wirkliche Problem sind. In ihnen gibt es immer eine antifaschistische Passage, auch eine, die sich auf die deutsche Regierung bezieht. Gleichzeitig spielen dann aber Akteure eine Rolle, die für eine Öffnung nach rechts stehen und auch ansonsten zweifelhafte Positionen beziehen. [...]

Aber bedeutende Organisatoren der „Stopp Ramstein“-Kampagne sind selbst seit langem für den Frieden engagiert.

Ja. Zum Beispiel Reiner Braun von den Juristinnen und Juristen gegen nukleare, biologische und chemische Waffen, IALANA. Er arbeitet seit Jahren in der Friedensbewegung. Und ich habe ja auch überhaupt nichts dagegen, vernünftige Menschen aus den Montagsmahnwachen herauszulösen. Doch es geht darum, wen man sich mit welchen Themen einlädt. So gab es laut Programm der Kampagne eine Veranstaltung zur Bilderberg-Konferenz. Grundsätzlich ist das spannend. Aber wir wissen doch genau, dass es nicht nur eine Kritik von links an dieser Konferenz gibt. Stattdessen sollte man Leute einladen, bei denen man weiß, wo sie politisch stehen. Dann kommt man nicht in die Gefahr, Unsinn zu hören und die falschen Leute zu mobilisieren.

Es gibt also Spannungen in der Friedensbewegung. Hat sich darüber auch der Umgang der Organisationen und Personen untereinander geändert?

In vielen Organisationen gibt es eine Dauerdebatte, die nicht mehr aufhört. Auch innerhalb desselben Verbands verhalten sich die Menschen unterschiedlich zu den Montagsmahnwachen. Manche wollen mit ihnen arbeiten, andere nicht. Gerade dadurch werden viele Dinge heikel. Zum 8. Oktober wollen wir etwa eine gemeinsame, bundesweit organisierte Friedensdemonstration auf die Beine stellen. Dabei gibt es immer das Bemühen, miteinander zusammenzuarbeiten. Doch dabei bleibt dieses Problem bestehen. Dieser Konflikt stellt eine ernste strukturelle Schwächung der Friedensbewegung dar.

Offenbar macht sich diese Auseinandersetzung an Personen und der Themenwahl fest. Aber steckt dahinter nicht die tiefer gehende Frage, ob die Friedensbewegung in Deutschland hauptsächlich gegen den deutschen oder in erster Linie gegen den US-Imperialismus vorgehen soll?

Das ist in der Tat eine der Grundfragen. Allerdings würde ich Organisatoren wie Reiner Braun den Vorwurf nicht machen: Er hat mit mir entwickelt, dass die EU-Militarisierung kritisiert werden muss, ebenso die Entwicklung innerhalb Deutschlands. Doch in den Reden einiger gibt es nur US-Kritik, US-Kritik, US-Kritik. Bei der Kritik von rechts heißt es dann, dass sich die deutsche Armee nicht für US-Interessen einbinden lassen dürfe. Da wird von den „deutschen Jungs“ gesprochen. Das kann nicht unsere Kritik sein, wir müssen antimilitaristisch argumentieren.

Von Deutschland aus betrachtet sind die USA ein wenig weit entfernt. Der deutsche Imperialismus liegt als Ziel doch viel näher.

Das sehe ich auch so, da bin ich völlig Liebknechtianer: „Der Hauptfeind steht im eigenen Land.“ Um den müssen wir uns primär kümmern. Doch auf jeder Veranstaltung erlebe ich Menschen, die nur die USA sehen. Gerade weil sie so weit weg sind – und es weniger konkret wird, etwas zu tun und zu ändern. Und natürlich ist die US-Außenpolitik verheerend. Doch wer nur sie kritisiert und nichts sonst, der entschuldigt den Imperialismus Deutschlands. Und das geht nicht.

Dieser Text ist ein Ausschnitt aus einem längeren Interview, das am 2.7.2016 in der Wochenendbeilage der junge Welt erschienen ist. Das Interview kann hier nachgelesen werden: https://www.jungewelt.de/2016/07-02/060.php

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Tobias Pflüger ist stellvertretender Vorsitzender der Partei Die Linke. 1996 war er einer der Initiatoren für die Gründung der Informationsstelle Militarisierung (IMI).