Erfahrungen mit der Staatsgewalt

Wer regiert in Deutschland?

von Wolfgang Sternstein
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( c ) Netzwerk Friedenskooperative

Auf den ersten Blick unterschied sich die Mahnwache vor dem EUCOM in Stuttgart-Vaihingen nicht wesentlich von den diesjährigen Veranstaltungen zum Hiroshima-Tag: Etwa 30 Personen versammelten sich mit Transparenten vor dem Haupttor der Patch Barracks, dem Sitz des EUCOM, Blumen wurden niedergelegt im Gedenken an die Opfer von Hiroshima, Nagasaki und aller Kriege, Reden wurden gehalten, um 8.15 gab es eine Schweigeminute.

Auf den zweiten Blick sieht die Sache allerdings schon ganz anders aus, denn im Vorfeld zu der Veranstaltung wurde heftig darum gerungen, dass sie in der von uns beim Amt für öffentliche Ordnung Stuttgart angemeldeten Form überhaupt stattfinden konnte. Am 9.10.2001, also knapp vier Wochen nach dem 11. September, hatte das Amt für öffentliche Ordnung eine Allgemeinverfügung für die Patch Barracks und die Kelley Barracks (dort wird zur Zeit das AFRICOM eingerichtet) erlassen, die den Sicherheitsbereich dieser US-Kommandozentralen für die halbe Welt (so der Journalist Eric Chauvistré) um das Doppelte erweiterte. Zu diesem Bereich, der bein EUCOM vornehmlich aus Wald besteht und in keiner Weise als Sicherheitsbereich gekennzeichnet ist, haben „Unbefugte“ keinen Zutritt, obwohl darin ein für den Publikumsverkehr offenes Naturfreundehaus und ein Friedhof liegen.

Versammlungen sind in diesem erweiterten Sicherheitsbereich verboten, von zwei eigens ausgewiesenen Versammlungsorten abgesehen, die jedoch so weit von der Zufahrtsstraße zum Haupttor der Patch Barracks entfernt liegen, dass die amerikanischen Streitkräfte bei der Planung von Angriffskriegen z.B. gegen Restjugoslawien 1999, gegen Irak 2003), den Operationen im Rahmen des Globalen Krieges gegen den Terror sowie bei der Vorbereitung und schlussendlichen Durchführung des Menschheitsverbrechens eines Atomkriegs (so der Weltkirchenrat 1983) nicht gestört werden.

Die Allgemeinverfügungen wurden mit der Gefahr terroristischer Anschläge gegen die Militäreinrichtung begründet. Ihr durchaus erwünschter „Nebeneffekt“ war jedoch, für die amerikanischen Streitkräfte unangenehme Meinungskundgaben zu unterbinden. Solche Meinungskundgaben und Akte zivilen Ungehorsams hat es in der Vergangenheit in großer Zahl gegeben: Mahnwachen, Versammlungen, Andachten, Flugblattverteilungen, eine kilometerlange Menschenkette rund ums EUCOM, Verkehrsblockaden und insgesamt neun „Entzäunungsaktionen“. Sie waren offenbar so wirksam, dass die amerikanischen Streitkräfte die deutschen Behörden veranlassten, sie künftig zu unterbinden.

Diesen massiven Eingriff in unsere Grundrechte auf freie Meinungsäußerung und Versammlung wollten wir nicht länger hinnehmen und klagten in einem Eilverfahren vor dem Verwaltungsgericht Stuttgart. Unser Rechtsbeistand Peter Becker, der Vorsitzende von IALANA, erreichte, dass das Gericht die Durchführung der Versammlung im Bereich der Zufahrt zum Haupttor der Patch Barracks und die Flugblattverteilung erlaubte.

So weit, sollte man meinen, war alles klar und der Durchführung der Versammlung stand nichts mehr im Wege. Doch hatten wir offensichtlich unsere Rechnung ohne den Wirt gemacht. Der „Wirt“ sind in diesem Fall die Stadt Stuttgart, vertreten durch das Amt für öffentliche Ordnung und die Polizei. Sie gaben sich redlich Mühe, den Beschluss des Verwaltungsgerichts zu sabotieren. Wir wurden vom Einsatzleiter der Polizei und vom Vertreter des Ordnungsamts hinter eine Polizeisperre verwiesen und von Polizisten regelrecht bewacht, der Aufenthalt auf der Straße wurde uns untersagt und unter Anwendung körperlichen Zwangs verhindert, die vom Gericht zugelassene Verteilung von Flugblättern wurde mit Gewalt unterbunden.

Selbstverständlich ist das nicht das Ende vom Lied. Kampflos werden wir diese massive Einschränkung unserer Grundrechte jedenfalls nicht hinnehmen, denn merke: Grundrechte, die nicht in Anpruch genommen – und wenn es nicht anders geht, auch eingeklagt – werden, gehen verloren.

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Dr. Wolfgang Sternstein ist Friedens- und Konfliktforscher mit dem Schwerpunkt Theorie und Praxis der gewaltfreien Aktion. Er kam als Wissenschaftler nach Wyhl, schloss sich aber schon bald der Widerstandsbewegung gegen das Atomkraftwerk an. In seiner Autobiografie „Mein Weg zwischen Gewalt und Gewaltfreiheit“ berichtet er ausführlich über den „Kampf um Wyhl“.