NSA, BND & Co.

Wettrüsten im globalen Informationskrieg der Geheimdienste

von Dr. Rolf Gössner

Längst stellte sich heraus, dass nicht allein US- und britische Geheimdienste in den globalen Massenüberwachungsskandal involviert sind, sondern dass auch bundesdeutsche Geheimdienste – BND, Verfassungsschutz und MAD - aufs Engste in diesen menschenrechtswidrigen Geheimverbund verflochten sind. Sie profitieren von überlieferten Daten und übermitteln selbst Millionen von Telekommunikationsdaten aus Deutschland. Snowden spricht bildhaft davon, dass deutsche und US-Geheimdienste „miteinander ins Bett gehen“: Sie tauschen nicht nur massenhaft Informationen, sondern teilen auch Instrumente, gemeinsame Datenbanken, Spähprogramme sowie Infrastrukturen. Der Ex-NSA-Mitarbeiter Thomas Drake nennt den BND gar einen „Wurmfortsatz der NSA“.

Es gibt inzwischen Pläne, nach denen sich der Bundesnachrichtendienst (BND) künftig von NSA & Co. emanzipieren soll: Der deutsche Auslandsgeheimdienst, der mit seiner Auslandsaufklärung nach Auffassung renommierter Verfassungsrechtler schon jetzt verfassungswidrig agiert, soll umfassend aufgerüstet und – nach NSA-Vorbild - massenüberwachungstauglicher werden und so aus der Krise gestärkt hervorgehen: etwa mit der Lizenz zur anlasslosen systematischen Ausforschung sozialer Netzwerke im Internet. Verfechter einer solch hochgerüsteten Massenüberwachung behaupten, nur mit solchen Methoden könne man Terroranschläge verhindern, Proliferation und Organisierte Kriminalität bekämpfen, was auch schon passiert sein soll – eine Behauptung, die jedoch, aus Geheimhaltungsgründen nie wirklich überprüfbar war. Belegbar hingegen ist, dass sich das globale System geheimdienstlicher Kommunikationsüberwachung abseits demokratischer Legitimation und parlamentarischer Kontrolle und jenseits von Völkerrecht und Menschenrechten entwickelt hat.

Dabei können die Folgen allein der massenhaften Metadatenauswertung nach gewissen Verdachtskriterien schon heftig sein: Am Ende kann etwa eine verweigerte Einreise in die USA stehen, wie im Fall des Schriftstellers Ilija Trojanow, der die US-Überwachungsorgie scharf kritisiert hatte, oder aber im Extremfall US-Drohnenbeschuss auf „Terrorverdächtige“, wie etwa 2013 im Jemen, bei dem 17 Mitglieder eines Hochzeitskonvois ums Leben kamen. Dazwischen ist manche Unannehmlichkeit, Schikane oder Tortur denkbar – von verschärften Grenzverhören, Nachforschungen bei NachbarInnen oder Arbeitgebern, über Staatstrojaner im PC, die Aufnahme in US-„No-Fly“- oder Terrorlisten bis hin zu Verhaftungen oder Folter in Spezialgefängnissen; um am Ende vielleicht zu erfahren, dass man Opfer einer Verwechslung ist wie Khaled El Masri, der mit einem Terroristen verwechselt, von CIA-Agenten nach Afghanistan verschleppt und monatelang gefoltert wurde; oder dass man zur falschen Zeit am falschen Ort war wie Murat Kurnaz, der aufgrund von Verfassungsschutz-Informationen als angeblicher „Terrorverdächtiger“ für viereinhalb Jahre im US-Foltercamp Guantanamo verschwand.

Deutschland ist längst schon integraler Bestandteil der US-Sicherheitsarchitektur und des US-„Kriegs gegen den Terror“, in dem etwa der BND Daten für tödliche US-Drohnenangriffe auf Terrorverdächtige liefere, so NSA-Insider Thomas Drake. Von hier aus organisier(t)en die USA völkerrechtswidrige Kriegseinsätze, Entführungsflüge, Folter und Hinrichtungen von Terror-Verdächtigen. Spektakuläre Einzelfälle? Sicher, aber es gibt auch viele „kleinere“ Beispiele für üble Folgen des Überwachungswahns. So forschten Geheimagenten deutscher und alliierter Dienste über die BND-Tarnbehörde „Hauptstelle für Befragungswesen“ (Mitte 2014 aufgelöst) jährlich Hunderte Flüchtlinge über ihre Heimatländer aus – ein Missbrauch schutzsuchender Menschen für staatliche Zwecke.

Das Szenario von Digitalspionage, Massenüberwachung und Interventionen macht deutlich: Wir befinden uns in einem globalen Informationskrieg der Geheimdienste. Es geht um globale Krisenverhütung und –bewältigung beziehungsweise um präventive Vormacht- und Herrschaftssicherung und um geostrategische Interessen in Zeiten verschärfter ökonomischer Krisen, drohender Rohstoffknappheit und wachsender Flüchtlingsströme. Schließlich gilt es, Staat, Staaten oder Staatengemeinschaften nicht etwa nur vor Terror und Gewalt zu schützen, sondern auch gegen mögliche soziale Unruhen und militante Aufstände, gegen Ressourcenmangel, unkontrollierte Wanderungsbewegungen vorsorglich zu wappnen – bis hin zu Aufstandsbekämpfung und militärischen Interventionen.

Ein solches Präventionssystem wittert in jedem Menschen, jedem Gedanken und abweichenden Verhalten eine potentielle Bedrohung. Doch ein Mensch, der unter Überwachung steht, ist niemals frei. Denn überwachte Menschen sind in ihrem Kommunikationsverhalten, ihrer privaten Lebensgestaltung betroffen. Sie sind kontrollierbar, werden auf subtile Weise berechenbar, steuerbar, beherrschbar. Schon wer sich nur überwacht und beobachtet fühlt, verändert sein Verhalten, wird unsicher, entwickelt Ängste, passt sich an – Wirkungen, die eine offene, freie demokratische Gesellschaft schädigen, wie das Bundesverfassungsgericht bereits vor über dreißig Jahren in seinem Volkszählungsurteil festgestellt hat.

Deutschland ist das am stärksten überwachte Land der EU und war es, unter anderen technischen Bedingungen, bereits in Zeiten des Kalten Kriegs – ein veritabler Überwachungsstaat, wie der Historiker Josef Foschepoth feststellt. Zwar zeigen sich viele Menschen besorgt angesichts der Ausforschung ihres Kommunikationsverhaltens durch in- und ausländische Geheimdienste. Weil aber alle gleichermaßen betroffen scheinen, fühlt man sich in einer Art auswegloser Schicksalsgemeinschaft. Und oft fehlt das Bewusstsein individueller Betroffenheit, weil man ja zunächst nichts spürt. Die digitale Durchleuchtung der Privatsphäre und ganzer Gesellschaften wirkt jedenfalls abstrakt, erzeugt Ohnmachtsgefühle und Resignation.

Erschwerend kommt hinzu, dass es die Bundesregierungen bis heute sträflich unterlassen haben, die BundesbürgerInnen und von Wirtschaftsspionage betroffene Betriebe vor solchen Attacken zu schützen - obwohl es zu ihren verfassungsrechtlichen Kernaufgaben gehört, diesen Schutz zu gewährleisten. Angesichts der regierungsamtlichen Lethargie und Komplizenschaft erstatteten im Februar 2014 die Internationale Liga für Menschenrechte, der ChaosComputerClub und Digitalcourage beim Generalbundesanwalt Strafanzeige gegen Bundesregierung und Geheimdienst-Verantwortliche: wegen massiver Verstrickung bundesdeutscher Geheimdienste in das globale Massenüberwachungssystem, wegen millionenfacher Verletzung der Privatsphäre und wegen sträflich unterlassener Abwehrmaßnahmen zum Schutz der Bevölkerung. Es war ein Versuch, die gesellschaftliche Duldungsstarre zu durchbrechen und die politisch und strafrechtlich Mitverantwortlichen endlich zur Rechenschaft zu ziehen. Dieser Akt der Notwehr und Nothilfe wirkte tatsächlich wie eine Art Ventil, das plötzlich geöffnet wird: Tausende haben sich gemeldet und unterstützen die Strafanzeige.

Bekanntlich hat Generalbundesanwalt Harald Range inzwischen ein Strafermittlungsverfahren eingeleitet – aber nur wegen des unfreundlichen Spionage-Angriffs auf das Handy der Kanzlerin. Eine halbherzige, offenkundig politisch motivierte Kompromissentscheidung, die an der Gleichheit aller Menschen vor dem Gesetz zweifeln lässt. Denn auf ein Ermittlungsverfahren wegen der ungleich schwerer wiegenden massenhaften Ausspähung der ganzen Bevölkerung verzichtet der Generalbundesanwalt – kurioserweise mangels „zureichender Tatsachen“ (Stand: Ende August 2014).

Der oberste bundesdeutsche Ankläger schreckt also vor einer konsequenten strafrechtlichen Verfolgung der Verantwortlichen zurück – nach nunmehr einem Jahr seit Bekanntwerden der Massenüberwachung. Trotz der Fülle von Belastungsbeweisen und -zeugen hier immer noch einen Anfangsverdacht zu negieren, ist Ausdruck von Realitätsverleugnung und Willfährigkeit - jedenfalls hart an der Grenze zur Strafvereitelung im Amt und passend zur regierungsamtlich organisierten Verantwortungslosigkeit.

Diese Verweigerungshaltung ist eine Kapitulation des Rechtsstaats vor staatlichem Unrecht. Die demokratisch kaum kontrollierbaren Geheimdienste können sich so jeder Verantwortung entziehen, können munter weitermachen wie bisher – ja, werden auch noch weiter aufgerüstet. Was wir gerade erleben, ist kein Insichgehen, kein Innehalten angesichts dieses unglaublichen Riesenskandals – im Gegenteil: Wir werden Zeugen eines Wettrüstens im globalen Informationskrieg der Geheimdienste.

Angesichts solcher Bedrohungen brauchen wir – außer rückhaltloser Offenlegung und Aufklärung – dringend eine gesellschaftspolitische Debatte über Transparenz, Kontrolle und Grenzen der Überwachung in einer Demokratie; eine Debatte über Existenzberechtigung und Legitimation geheimer, kaum kontrollierbarer staatlicher Institutionen. Und gerade hier haben Edward Snowden, Chelsea Manning, Julian Assange und andere Whistleblower sensationelle Pionierarbeit geleistet und enormen Mut bewiesen. Das Whistleblowertum hat im digitalen Zeitalter und in einer globalisierten Welt eine geradezu existentielle Bedeutung gewonnen und muss endlich menschen- und völkerrechtlich wirksam geschützt werden. Und wir brauchen eine Kultur des Whistleblowing, die es hierzulande im Fall menschenrechtswidriger Tendenzen in staatlichen Institutionen leider noch nicht ansatzweise gibt.

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Dr. Rolf Gössner, Rechtsanwalt/Publizist, Vizepräsident der Int. Liga für Menschenrechte (www.ilmr.de). Stellv. Richter am Bremischen Staatsgerichtshof, Mithrg. des „Grundrechte-Report“, Mitglied der Jury des Negativpreises „BigBrotherAward“. Autor zahlreicher Bücher zu bürgerrechtlichen Themen. Internet: www.rolf-goessner.de.