Keine "kleine Schwester" des Militärs

Wider die militärische Umarmung von Friedens- und Menschenrechtsprojekten

von Kathrin Vogler

Wenn die Anzahl durchgeführter Tagungen oder Konferenzen ein Indiz für die Brisanz eines Themas ist, dann zeichnen sich zum Thema "zivil-militärische Zusammenarbeit" lebhafte Zeiten ab. So fand bereits am 4. Dezember des letzten Jahres inder katholischen Akademie Berlin eine zu "zivilen und militärischen Komponenten im Nachkriegswiederaufbau" statt, so suchte Willi Erl beim Forum Ziviler Friedensdienst (forumZFD) in seinem jüngsten Rundbrief nach "Chancen in ungewohnter Nachbarschaft". Im Januar lud der Hammelburger Bundestagsabgeordnete Hans-Josef Fell (Bündnis 90/Grüne) am 23. Januar eine kleine Runde aus Bundeswehr, Politik und Friedensbewegung zu den "Ersten Hammelburger Gesprächen".

Bei all diesen Debatten geht es den Initiatoren in der Regel um die "stärkere Verzahnung von zivilen und militärischen Maßnahmen zur Konfliktbewältigung und Konfliktverhütung", wie es in der Einladung nach Hammelburg heißt. Konkret: Es geht um die Ausdehnung der Handlungsfelder der Bundeswehr in Richtung ziviler Instrumente und um die Einbindung ziviler Akteure in militär(politi)ische Strategien. Damit wird ein deutliches Signal in eine falsche Richtung gesetzt. In den "Friedenspolitischen Richtlinien" vom Dezember 2003 hat die Kooperation für den Frieden formuliert:

"Zivile Konfliktbearbeitung" (ZKB) ist der bewusste Einsatz nicht-militärischer Mittel zur Vermeidung, Beilegung und Nachsorge gewaltsamer Auseinandersetzungen. (...) Der Grundgedanke ist die Suche nach Lösungen, die für alle Beteiligten eines Konfliktes akzeptabel sind. Die ZKB ist von der Bundesrepublik Deutschland anzuwenden und zu fördern, auf lokaler, nationaler und internationaler Ebene. Auf keinen Fall sind ZKB-Maßnahmen in militärische Maßnahmen einzuordnen oder diesen unterzuordnen."

Genau das aber bedeutet "Verzahnung": eine Vereinnahmung ziviler Konfliktvbearbeitung in einen militärisch dominierten Kontext, eine Unterordnungunter militärische Denkweisen und Handlungsstrategien und damit letztendlich eine Entwertung Ziviler Konfliktbearbeitung in ihrer Eigenständigkeit und Kreativität.

Diese Eigenständigkeit ist aber für den friedenspolitischen Nutzen zivilerMethoden und Instrumente zentral, für Hilfs- und Menschenrechtsorganisationen ist sie sogar existenziell. Wenn sie von Konfliktparteien für parteiisch gehalten werden, wenn sie gar als Anhängsel von Interventionstruppen auftreten, gefährden sie das Leben ihrer MitarbeiterInnen und den Erfolg ihrer Arbeit.

Für die Friedensbewegung sind die Methoden Ziviler Konfliktbearbeitung ausdrücklich eine Alternative zu herkömmlicher militärischer "Sicherheitspolitik", nicht lediglich eine Ergänzung. Gerade die aktuellen Herausforderungen für die deutsche und EU-Außenpolitik entziehen sich weitgehend ihrer Bearbeitung mit militärischen Mitteln. Der "Krieg gegen den Terror" - ob in Afghanistan oder anderswo - erweist sich als globaler Flop. Die Erfahrung lehrt vielmehr: Dort, wo massiv Militär eingesetzt wird, verschlechtern sich die Bedingungen für zivile Einsätze internationaler Institutionen und für die Arbeit ausländischer NGOs massiv, auch wenn in Einzelfällen vor Ort auch Synergien möglich sind. Schon die Option eines Militäreinsatzes beeinträchtigt die zivilen Institutionen in ihrer Handlungsfähigkeit und Effektivität.

Ein Beispiel dafür ist der Jugoslawien-Krieg 1998: Während es über Wochen nicht möglich war, von der OSZE geforderte 1000 zivile Beobachter zu entsenden, konnte die NATO nach dem so herbeigeführten Scheitern der Mission binnen Tagen Zehntausende Soldaten mobilisieren.

Dies gilt umso mehr, an je mehr Schauplätzen weltweit die Bundeswehr vertreten ist, und zunehmend auch im globalen Maßstab. So war ein Anschlag auf das Bundeswehr-Camp in Kabul im Sommer 2003 folgenreich für die kosovarische Gemeinde Rahovec. Wochenlang hatten 40 kosovo-serbische Vertriebene mit Unterstützung der Internationalen Zivilverwaltung (UNMIK) und verschiedener NGOs ihre Häuser wieder in Stand gesetzt. Intensive Kontakte zu den kosovo-albanischen Nachbargemeinden wurden aufgebaut. Zum Abschluss der Bauarbeiten waren die albanischen Nachbarn zu einem Fest eingeladen. Dieses fiel unglücklicherweise auf den Tag nach dem Anschlag in Kabul. Anlass genug für die KFOR, weder die serbischen Nachbarn, noch NGO-Vertreter noch die Vertreterin des UNHCR in den Ort zu lassen. Das Fest - Höhepunkt intensiver Bemühungen - war geplatzt, wegen dieser völlig unangemessenen Reaktion der KFOR.

Die Zusammenarbeit mit Militär ist keine Sicherheitsgarantie für ziviles Personal. Im Gegenteil. Bewaffnete Übergriffe auf fremde Militäreinheiten sind deutlich häufiger als auf zivile Kräfte - auch wenn letztere aktuell in erschreckendem Maß zunehmen. Diese Erfahrung aus den Entwicklungsdiensten sollte analysiert und reflektiert werden. Wenn Militär zunehmend zivile Aufgaben übernimmt - wie sind dann für Konfliktakteure vor Ort überhaupt noch die Unterschiede zwischen militärischen und zivilen Kräften erkennbar? Wenn zivile NGOs praktisch als Anhängsel der Interventionstruppen daherkommen, wie sollen sie ihre Unparteilichkeit dann noch glaubhaft machen? Und gar Friedensdienste: wie sollen sie die Menschen in ihrem Einsatzland dazu ermutigen, ohne den scheinbaren "Schutz" der Gewalt zu leben, wenn sie dann offensichtlich selbst nicht darauf verzichten können? Die Hilforganisation "Ärzte ohne Grenzen" bekräftigte kürzlich nach einem tödlichen Angriff auf fünf Mitarbeiter in Afghanistan ihre strikt neutrale Haltung. Die Generalsekretärin der Organisation hatte diese bei einer Tagung 2003 zugespitzt formuliert: "Zivil-militärische Zusammenarbeit gibt es für uns nicht. Wer Bewachung braucht, weil ihn die Bevölkerung als Teil des Militärs ansieht, der ist nicht humanitär."

Eine zu enge Zusammenarbeit mit militärischen Einrichtungen gefährdet die notwendige All-Parteilichkeit und damit die Erfolgsaussichten der ZKB ebenso wie der humanitären Hilfe.

Beispiel Ziviler Friedensdienst: Anfang der 90er Jahre gab es innerhalb derFriedensbewegung einen intensiven Diskussionsprozess um die Forderung nach einem Zivilen Friedensdienst als Instrument gewaltfreier Konfliktprävention und -beilegung, der in die Gründung des Forum ZFD und eine Kampagne zur Einführung des Friedensdienstes mündete. Die tatsächliche Einführung des ZFD im Jahr 1999war ein Meilenstein in der Etablierung ziviler und nicht-staatlicher Maßnahmen zur Friedensförderung. Dennoch kein Grund zum Jubeln: Etwa 120 deutsche Friedensfachkräfte im Einsatz stehen nach Angaben der Bundeswehr 7150 deutschen Soldaten im Dauereinsatz gegenüber. Dazu kommen jeweils kurzfristig die Einsatzkräfte der EU- und NATO-Eingreiftruppen. Trotz aller Kürzungen im Rüstungshaushalt sind die Ausgaben für Militär unproportional höher als die für alle Formen ziviler Konfliktbearbeitung zusammen. Während in den ersten Monaten des Jahres 2004 die Trägerorganisationen des Zivilen Friedensdienstes mit den HaushaltspolitikerInnen der Bundesregierung um jeden Cent für bereits laufende Projekte feilschen mussten, konnte die Bundeswehr angesichts der erneuten Gewaltausbrüche im Kosovo umgehend 600 Soldaten in die Konfliktregion schicken. Aktuell läuft der Zivile Friedensdienst Gefahr, so weit kaputtgespart zu werden, dass er in Konfliktsituationen nicht mehr flexibel und schnell reagieren kann, was ein großer Verlust wäre.

Dieses Kräfteverhältnis ermöglicht keine Kooperation auf Augenhöhe. Jede Art von "strategischer Verzahnung" kann sich für Akteure des Zivilen Friedensdienstes nur als tödliche Umklammerung erweisen. Zudem müssen die Friedensfachkräfte in Einsatzgebieten wie Jugoslawien oder Kosovo, wo die Bundeswehr als Kriegspartei gewirkt und mannigfache Verletzungen hinterlassen hat, besonders darauf achten, nicht als "verlängerter Arm" der Kriegspartei NATO wahrgenommen zu werden und so ihren Zugang zu weiten Teilen der Bevölkerung zu versperren.

Dabei spricht im Sinne gewaltfreier Konfliktbearbeitung nichts gegen ein offenes Aufeinanderzugehen, gegen einen Austausch von Erfahrungen und Meinungen und bei Bedarf gegenseitige punktuelle Unterstützungsleistungen, wo zivile Kräfte und Bundeswehr an der gleichen Stelle im Einsatz sind oder sich mit denselben Konflikten beschäftigen.

Aber dem in Entstehung befindlichen neuen Welt- und Selbstbild der Bundeswehr als eigentliche Kraft der Krisenprävention und Konfliktbearbeitung ist entschieden entgegenzutreten. Die "Friedenspolitischen Richtlinien" der Kooperation für den Frieden sehen für eine Übergangszeit vor, dass die Bundeswehr in Blauhelm-Missionen der VN eingesetzt werden kann, bis sie in multinationale UN-Kapazitäten für Peacekeeping-Aufgaben im Sinne der UN-Charta aufgelöst wird. Auch in den Bereichen Abrüstung, Beseitigung von Kriegsfolgen (Minenräumung ...) und Verifikation können Bundeswehrsoldaten auf Grund ihrer speziellen militärischen Fachkenntnisse auf absehbare Zeit weiter sinnvoll friedensfördernd eingesetzt worden.

Darüber hinaus ist der Drang der Bundeswehr in andere Aufgabenbereiche hinein groß. Für die Militärs bietet ziviles und humanitäres Engagement im Einsatzland massive Vorteile, so hoffen sie damit ihre Sicherheit zu verbessern, die Motivation der Soldaten zu steigern und deren Leidensdruck angesichts von Armut und Kriegszerstörungen zu verringern. Zunehmend wird die humanitäre Hilfe selbst zum Mittel der Kriegführung und -propaganda, wie der legendäre "Brunnenbau" der Bundeswehr 1993 in Somalia, der Hubschrauberabwurf von Einmann-Verpflegungspaketen über Afghanistan im Winter 01/02 oder die medienwirksame Anlieferung von Hilfsgütern in irakischen Häfen während des Krieges 2003.

Zivile Nichtregierungsorganisationen sollten sich zu schade sein, an dieser Aufarbeitung des militärischen Selbstbildes mitzuwirken. Es ist nicht Aufgabe ziviler Konfliktbearbeitung, dort einzusteigen, wo militärische Mittel an ihre Grenzen stoßen, sondern eigenständig Gewalt vorzubeugen, Konflikte zu schlichten und Versöhnung zu fördern. Zivile Konfliktbearbeitung ist nicht die kleine Schwester der militärischen Intervention!

Ausgabe

Rubrik

Hintergrund