Widerstand gegen den Krieg in Montenegro

von Marko Hren
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Jevrem Brkovic ist einer der bedeutendsten Dichter und eine führende Figur in der Opposition in Montenegro. Er gehörte zu den wenigen, die die feindliche Natur von Milosevic' Bewegung schon in ihrer Anfangsphase, den Versammlungen der "anti-bürokratischen Revolution" 1988 spürten. Später, 1989, wandte er sich öffentlich gegen die Treffen, auf denen Bulatovic (gegenwärtiger Präsident Montenegros und von Brkovic als "Sklave von Milosevic" bezeichnet) die Montenegriner aufrief, Waffen zu ergreifen und die Slowenen zu "disziplinieren". Dies war der Beginn seines Anathemas besonders, weil er zu dieser Zeit einen Entschuldigungsbrief an die Slowenen publizierte. Hiernach wurde er mehrmals auf der Straße angegriffen, die Fenster seines Hauses wurden immer wieder eingeworfen, seine Verwandten wurden vorgeladen, seine Gedichte aus den Schulbüchern verbannt...

Anfang September 1991, als Montenegriner mobilisiert wurden, um in Bosnien-Herzegowina eingesetzt zu werden und Dubrovnik anzugreifen, schauderte es Jevrem vor "wilden, betrunkenen, unorganisierten" montenegrinischen Reservisten, die sich bereitmachten, Bosnien-Herzegowina zu besetzen und er schrieb eine weitere Entschuldigung, diesmal an seine Brüder und Schwestern moslemischer und kroatischer Nationalität. Er tat dies in seinem großartigen Stil, während er gleichzeitig versuchte, sein eigenes Volk in Montenegro an den Ehrenkodex des Landes zu erinnern. In dem gleichen Brief charakterisierte er das Regime von Bulatovic als Sklaverei. Kurze Zeit später war er noch mehr schockiert, als seine Landsleute Dubrovnik einkesselten, um es einzunehmen. Er schrieb eine Ode an Dubrovnik, alle Montenegriner in einem poetischen Stil aufrufend, nicht die Kanonen auf diese "ewige Stadt" zu richten.

Der Staatsanwalt in Titograd zeigte daraufhin Jevrem an, wobei er den berühmten Artikel 134 des jugoslawischen Strafrechts verwandte, demzufolge Jevrem Brkovic  angeklagt wird, "nationalen, rassischen und religiösen Haß, Zwietracht und Nichtduldung anzustacheln". Dies ist ein weiterer Beweis der Pathologie der jugoslawischen Realität. Menschen, die versuchen, den Haß zu stoppen und nach Versöhnung rufen, werden der Verbrechen angeklagt, die von der anderen Seite begangen werden.

Brkovic mußte in den Untergrund gehen und sich verstecken. Nach einigen Tagen gelang es ihm, illegal nach Albanien zu fliehen. Er nahm ein Flugzeug nach Budapest und überquerte von dort die Grenzen zurück zu etwas, das früher einmal Jugoslawien genannt wurde und jetzt behauptet, ein getrenntes Land zu sein - er endete in Slowenien. Jevrem Brkovic mußte also mehrere Länder durchqueren, um schließlich im Exil zu landen in - offiziell immer noch - demselben Staat. Die slowenischen Behörden gaben ihm - dank der raschen Intervention der Schriftstellervereinigung in Ljubljana - eine einjährige Aufenthaltsgenehmigung und stellten ihm zwei Leibwächter zur Verfügung, die ihm wie Schatten überall hin folgen.

Jevrem Brkovic hat wiederholt gesagt, daß jene Montenegriner, die in Bosnien und Kroatien kämpfen, nicht die "wahren" Montenegriner seien - die letzteren versteckten sich oder flöhen. Er stellt fest, daß über 12.000 Männer in Montenegro ihre Mobilisierung verweigerten. Seine Definition des Krieges in Jugoslawien ist klar - der Krieg sei kein Bürgerkrieg, er sei kein Krieg zwischen Religionen, sondern ein rein imperialistischer Krieg der Protagonisten Groß-Serbiens. Seine Erzählungen stellen ein schreckliches Zeugnis des "Terrors einer Mischung von Partisanen (Widerstandsarmee im 2. Weltkrieg) und Tschetniks (serbische nationalistische Extremisten im 2. Weltkrieg, die auch mit dem Naziregime kollaborierten)" dar. Er beschreibt die Fusion von "alten Feinden" als eine natürliche Fusion zweier militaristischer Orientierungen, die die Gelegenheit fanden, sich in der Zeit des Zusammenbruchs eines alten Systems zu aktivieren. Das Wieder-auftauchen des serbischen extremistischen brutalen Militarismus, symbolisiert in dem Erbe der Tschetniks und bekannt für die brutalste Art des Tötens - das Schlachten - ist etwas, was sich auch in Montenegro ausbreitete und was Jevrem Brkovic den größten Schmerz zufügt. Jevrems Onkel starb sogar an diesem Schmerz vor einigen Tagen, nachdem er seinen Wehrpaß aus dem zweiten Weltkrieg zurückgegeben hatte.

Jevrem Brkovic beantwortete einige Fragen gegenüber dem "Intruder" (Zeitschrift der Friedensbewegung Sloweniens, d.Red.):

Intruder: Wie würden Sie die Existenz eines solchen Potentials an Brutalität und Militarismus, wie er sich jetzt im Balkan manifestiert, erklären?

J.Brkovic: Die Gewalt auf diesem Territorium erschien in der Geschichte immer in Wellen. Die gegenwärtige Gewalt bekam ihre Formen und Strukturen schon in der Zeit der Volksversammlung-lungen, die 1988 von Milosevic initiiert wurden. Diese Treffen bargen - unter dem Mantel der "antibürokratischen Revolution" - ein Potential unglaublicher Gewalt in sich. Zu dieser Zeit manifestierte sich Gewalt auf einer verbalen Ebene, auf der Ebene der "Rede". Diese Treffen bereiteten tatsächlich nur die öffentliche Meinung vor und rekrutierten gleichzeitig Menschen für zukünftige bewaffnete Einheiten, die Land erobern sollten. Vom ersten Anfang an drehten sich die Versammlungen auch um Landgewinn. Ich erkannte diese militaristische Massenpsychologie zu einer sehr frühen Phase. Ich warnte hiervor und auch vor der Rolle von Milosevic. Diese potentielle Gewalt eskalierte jetzt in dem schmutzigsten Krieg, der jemals in Europa stattfand. Ich konnte diese Form der Gewalt und sogar mehr vorhersehen. Ich denke, daß es noch schlimmer werden, es zu noch mehr Brutalität kommen wird, besonders wenn Bosnien und Montenegro in die Eskalation verwickelt werden. Dies wird der Höhepunkt sein und Europa wird sich dann nicht mehr erlauben können, dies zu tolerieren. Die großserbische Politik wird Krieg mit Griechenland, Albanien, Mazedonien und Bulgarien auslösen. Der Balkan ist ein Lager an Gewalt, jede Generation ließ nur mehr Spannung in dem Gebiet und keinen zivilisatorischen Fortschritt hinter sich zurück...

Intruder: Wie viel Raum haben die Antikriegsinitiativen?

J.Brkovic: Schon seit einigen Jahren ist Montenegro ein besetztes Land. Ich und meine Anhänger wurden quasi in den Untergrund gedrängt. Nur mit der Hilfe von Medien aus anderen Republiken konnten wir mit unserer Öffentlichkeit im Land kommunizieren. Ich hatte keine Möglichkeit, meine Erklärungen zu veröffentlichen. Wir hatten Diskussionskreise von liberalen Denkern bei uns zu Hause. Während des letzten Frühjahrs organisierten wir erfolgreich einige öffentlichen Versammlungen, die vor allem junge Leute ansprachen. Montenegro ist jetzt ein großes Gefängnis und die Führer der Republik sind seine Direktoren. Aber der Widerstand breitet sich von einem Dorf zum anderen aus, hauptsächlich getragen durch junge Leute. Sie sind organisiert als die "Friedensbewegung Junger Montenegriner" und andere Antikriegsorganisationen wie die "Antikriegsbewegung Montenegros" und die "Liberale Union Montenegros".

Intruder: Dies ist eine übliche Frage: Was würden Sie als Beitrag der internationalen Gemeinschaft zu den Prozessen, die Sie gerade beschrieben haben, erwarten?

J.Brkovic: Wir sind Zeugen des Todes aller Ideologien. Während der Beerdigung treten alle Repressionen, Folter und andere negative Aspekte auf, die von der schieren Existenz jener Ideologien herrühren. Dies geschieht von Peking bis Igal. Krieg hat keinerlei Sinn und die Menschen müssen erkennen, daß der einzige Weg darin liegt, dem Paradigma des Friedens zur Geburt zu verhelfen. Wir alle werden das nächste Jahrhundert mit nur zwei Gefühlen betreten: Einem Gefühl für nationale und ökonomische Identitäten und über diesem (oder dazwischen) ein Gefühl gegenüber der Umwelt, was ökologische Fragen aufwirft. Der Tod der Ideologien bringt Ökologie, Gewaltfreiheit und das Ende militanter Psychologie. Die internationale Gemeinschaft sollte wachsam sein, das Potential jener Kräfte aufzubauen, die jenseits von Kriegsideologien wachsen. Montenegro zum Beispiel kann sich nicht als ein ökologisches Land darstellen, solange es tausende von Panzern auf seinem Territorium hat. Die Kooperation und Koordination zwischen dieser Art von Kräften ist essentiell. Die einzige Lösung ist Fanatismus, Besessenheit mit Frieden, Friede als das einzige Gut für Zivilisation und für die Umwelt.

Gekürzt aus: Intruder Nr. 2, 1991. Übersetzung: CS

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