Widerstand gegen die Nazis

Die Ausstellung „Ziviler Widerstand in Dänemark 1943“

von Renate Wanie

Als Beispiel für eine gelungene Erinnerungskultur mit vielfältigen Veranstaltungsformen kann die Ausstellung „Ein Volk praktiziert zivilen Widerstand - Die Rettung der Juden in Dänemark 1943“ bezeichnet werden. Ein reichhaltiges Programm begleitete die Ausstellung, die die breiten Volksproteste in Dänemark gegen die NS-Besatzung 1943 zeigte, von Mai bis Juli 2005 in den Räumen der Volkshochschule (VHS) in Heidelberg. Die verschiedenen Veranstaltungsangebote boten die Möglichkeit, die Thematik zu vertiefen: Eine Matinee, Führungen und Interviews mit einem Zeitzeugen, Vorträge, ein historischer Spielfilm sowie Seminare und Vorträge zu Themen, die Bezug zu Zivilcourage und zivilem Ungehorsam heute haben.

Diese Ausstellung widerspricht dem gängigen Verständnis, dass in einem von den Nazis besetzten Land, kollektiver Widerstand nur durch aufständische Gewalt gekennzeichnet sei. Sie dokumentiert, dass es auch in einem brutalen Unrechtssystem gelingen kann, sich zu wehren und in der Bevölkerung zivilen Widerstand zu organisieren. Konzipiert hat die Ausstellung der dänische Historiker Therkel Straede im Auftrag des Museums des Dänischen Widerstands 1940-45 und des Königlich Dänischen Ministeriums des Äußeren. Gezeigt wurden die 36 Ausstellungstafeln bisher z.B. in Israel, den USA und mehrmals in Deutschland und Österreich. Dokumentiert wird die fast unbekannte Geschichte einer unvergleichlichen Rettungsaktion in dem von Deutschen besetzten Dänemark im Oktober 1943. Die Ausstellung ist ein Geschenk des Dänischen Kulturinstituts in Hannover an die Werkstatt für Gewaltfreie Aktion, Baden.

Die Ausstellung
Die Ausstellung erinnert an jüdisches Leben und Kultur, dokumentiert die Hauptstadt Kopenhagen vor der Besatzung durch die Nazis und führt über zu der NS-Judenverfolgung und der Wannseekonferenz. Schwerpunkt der Ausstellung lag in dem von den Deutschen besetzten Dänemark im Oktober 1943 und auf der nur wenig bekannten Geschichte des groß angelegten zivilen Widerstands zur Rettung von 7.000 jüdischen DänInnen durch eine sog. „Menschenmauer“ der dänischen  Bevölkerung. Sie erinnert an den NS-Diplomaten Duckwitz, der den Deportationsbefehl aus Berlin an führende dänische Politiker weitergab, die wiederum die jüdische Gemeinschaft warnten. Die Ausstellungstafeln dokumentieren die spontan ergriffenen Initiativen von Teilen der dänischen Bevölkerung, die mit der Aktion der Deutschen gegen die Juden den „dänischen Gerechtigkeitssinn gekränkt“ sahen. (1) Fotos zeigen Verstecke wie Krankenhäuser und Kirchen, Transportmöglichkeiten und die erstaunlich effektive Organisation unter schwierigen Bedingungen: von Pastoren, ÄrztInnen und Studierenden, der Küstenwache, Fischer sowie der dänischen Polizei. Sie alle setzten aufs Spiel, ins Konzentrationslager oder Gefängnis zu kommen. „Wie konnte es dazu kommen, dass sich die dänische Bevölkerung so lange der NS-Besatzung widersetzt hat? Dänemark ist seit Ende des 19. Jahrhunderts außenpolitisch von friedlicher Konfliktaustragung geprägt. Außenpolitisch verhielt es sich neutral und unterstützte später die Gründung des Völkerbunds. Das Militär war auf ein Minimum reduziert. Auch die innenpolitische Situation war von Friedfertigkeit und demokratischer Tradition geprägt.“ (2) (3)

Als Anlass, diese Art Ausstellung zu eröffnen, eignen sich Gedenktage wie der 8. Mai, eine Gedenkfeier oder die Enthüllung eines Mahnmals in Erinnerung an die Pogromnacht und Deportation der badischen JüdInnen in das Lager Gurs (Frankreich). In Heidelberg wurde der 60. Jahrestag des Zivilen Widerstands der dänischen Bevölkerung 1943 als eine Gelegenheit gesehen, die Ausstellung einer breiten Öffentlichkeit zu präsentieren und zudem am 9. November zum Gedenken an die Reichspogromnacht einen Vortrag über die großartige Rettungsaktion zu halten.

„Rückblick nach vorn“ – begleitende Veranstaltungen
In einem Vortrag zur Eröffnung der Ausstellung in der VHS Mosbach (Baden) und einem Buchladen in Heidelberg wurden die Bedingungen analysiert, die in Dänemark einen organisierten Widerstand entstehen ließen und zu der kollektiven Rettungsaktion führten. Zu den Aktionsformen eines institutionellen gewaltfreien Widerstands gehörten z.B. Verweigerungsaktionen oder Sabotage in Produktionsstätten. (Wanie, S. 105) Zudem wurde der Mut untersucht, der Menschen in schwierigen Situationen bewegte, sich unter Lebensgefahr zivilcouragiert einzumischen. Ganz persönliche Wertmaßstäbe wie Ideale, Vorbilder, menschliche Beziehungen oder religiöse Bindungen, Gerechtigkeit und Menschenwürde oder einfach antinazistische Weltanschauungen waren dabei von Bedeutung. (4) Die öffentliche Meinung und die Solidaritätsnetze (als Hindernisse für den Vollzug des Verschleppungsbefehls) waren wesentlich für den Zusammenhalt und die Mobilisierung. Ziel der Ausstellung war, daran zu erinnern, dass es zivilen und gewaltfreien Widerstand im Nationalsozialismus gegeben hat, dass er funktionierte und auch seine menschenrechtliche Wirkung zeigte.

Dem französischen Historiker Jacques Sémelin ist es seit Mitte der 1990er Jahre zu verdanken, dass auch die deutsche Öffentlichkeit über diesen meist unbekannten unbewaffneten Widerstand der Zivilgesellschaft während des Nationalsozialismus‘  informiert wurde. Semelins Studie „Ohne Waffen gegen Hitler. Zum zivilen Widerstand in Europa“ war deshalb ebenfalls ein Programmpunkt während der Ausstellung. 

Unter dem Motto „Rückblick nach vorn“ wurde begleitend zur Ausstellung ein friedenspolitisches Programm zu aktuellen Themen wie Zivilcourage im Alltag und ziviler Widerstand heute angeboten. Denn es geht nicht einzig um historische Erinnerungskultur, sondern auch um ein Erinnern mit Zukunftsperspektiven. Mit dem Tagesseminar zu „Konfliktbewältigung ohne Krieg. Das Konzept der Zivilen Konfliktbearbeitung als politische Alternative in der Friedenssicherung und Gewaltprävention“ wurde dieser Anspruch von ReferentInnen aus der Werkstatt für Gewaltfreie Aktion umgesetzt. Über „Couragiertes Handeln in Diktatur und Demokratie“ referierte der Politikwissenschaftler Wolfgang Heuer. Heuer fragte nach der Kraft, die couragiert handelnde Menschen, wie die mutigen Retter und Widerständige im Nationalsozialismus und in der Gegenwart aufbringen. Seine zentrale These war: „Zivilcouragiertes Handeln kann auch in den ‚Zumutungen im Alltag‘ und nicht nur aus Altruismus begründet sein. (…) Die Fähigkeit des mutigen Handelns lernt man nicht, sondern man erwirbt sie“. (5)

Ein Jahr später eröffnete der Oberbürgermeister von Worms die gleiche Ausstellung, gemeinsam mit der Zeitzeugin Lieselotte Wahrburg. (s. Artikel Zeitzeugen) Mitveranstaltet wurde sie von der Pax Christi-Basisgruppe Worms und der jüdischen Gemeinde Warmaisa. Neben einem experimentellen Workshop in Zivilcourage, auf der Suche nach alternativen Strategien zum Wegsehen, Draufhauen oder Fliehen in alltäglichen Diskriminierungssituationen, stand auch ein Filmabend im Begleitprogramm. Gezeigt wurde der spannende und bewegende  Film (1968) von Dieter Meichsner: „Wie ein Hirschberger Dänisch lernte“. Er schildert die Geschichte des deutsch-jüdischen Anwalts Wilhelm Heilmann. Auf der Flucht aus dem NS-Schlesien nach Dänemark zu seinem Sohn wird er erneut mit dem deutschen NS-Regime, aber auch mit der Widerstandsbewegung konfrontiert.

Die Ausstellung und Erinnerung
Um eine breite Öffentlichkeit zu erreichen, ist es für solch ein zeitgeschichtliches Ausstellungsprojekt wichtig, Kooperationen mit Institutionen, wie z.B. der Landeszentrale für politische Bildung oder dem städtischen Kulturamt, zu vereinbaren. Die Ausstellung zeigt, dass es auch in einem brutalen Unrechtssystem gelingen kann, in der Bevölkerung zivilen Widerstand zu organisieren. Wozu sollte diese Ausstellung beitragen? Sie sollte erinnern an die menschenverachtende und extrem brutale NS-Herrschaft und den Holocaust, eine der schrecklichsten Formen der Gewalt in der Geschichte der Menschheit. Sie sollte daran  erinnern, damit dieses Unrecht nie mehr entsteht. Und die Ausstellung sollte erinnern an den gelungenen zivilen Widerstand in der Vergangenheit. Damit er uns in der Gegenwart ermutige, Unrecht und Gewalt nicht zuzulassen – zivilcouragiert und gewaltfrei.

Anmerkungen
1 Königlich Dänisches Ministerium des Äusseren und das Museum des Dänischen Widerstands 1940-1945 (Hg.): Therkel Straede: Oktober 1943, Begleitheft 1996
2 Wanie, Renate: Von der Banalität des Guten: Ziviler Widerstand und Zivilcourage. In: Gewaltfrei gegen Hitler? Gewaltloser Widerstand im Nationalsozialismus und seine Bedeutung für heute. Eigenverlag Werkstatt für Gewaltfreie Aktion, Baden, 2007, S. 101 ff. Vortrag zur Ausstellungseröffnung in Mosbach, VHS 2004
3 Heute hingegen agitiert Dänemarks Regierung gegen die Menschenrechtskonvention. Der rechtsliberale Ministerpräsident in Kopenhagen berichtet z.B., dass er „vor Wut zittert“, wenn Menschenrechtsbestimmungen mal wieder die Abschiebung eines kriminellen Ausländers blockieren.  „Die Menschenrechte sind ein Angriff auf die Demokratie“, so Morten Messerschmidt, EU-Abgeordneter der dänischen Rechtspopulisten, die mit den Rechtsliberalen und Konservativen eine Mitte-Rechts-Regierung bilden. (In: Frankfurter Rundschau v. 24.10.2017: Thomas Borchert: Rumoren im Volk, S. 3)
4 Fogelman, Eva: Wir waren keine Helden. Lebensretter im Angesicht des Holocaust. Motive, Geschichten, Hintergründe. Campus Verlag. Frankfurt/M / New Yotk 1995
5 Heuer Wolfgang: Couragiertes Handeln in Diktatur und Demokratie. Vortragsmanuskript vom 8. Mai 2003 in Heidelberg

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