Protest und Widerstand

Wie „Ende Gelände“ für Klimagerechtigkeit kämpft

von Michèle Winkler
Schwerpunkt
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Seit 2015 sorgt die Protestbewegung „Ende Gelände“, die sich auf die Organisation von Massenaktionen Zivilen Ungehorsams spezialisiert hat, für Furore. Zu ihren spektakulären Blockaden von Braunkohlebaggern oder Schienenanlagen mobilisiert sie Jahr für Jahr tausende, vorwiegend junge Menschen. Das Bündnis „Ende Gelände“, das sich als Teil der internationalen Bewegung für Klimagerechtigkeit begreift, hat es so innerhalb von drei Jahren geschafft, dass die Forderung nach einem sofortigen Kohleausstieg medial und zivilgesellschaftlich breit diskutiert wird.

Die Idee zur Aktionsform von „Ende Gelände“ entwickelte sich im Rahmen der seit 2010 im Rheinischen Braunkohlerevier stattfindenden Klimacamps. Dort kommen Jahr für Jahr Menschen zusammen, um sich zu den Themen Klimawandel und Nachhaltigkeit sowie zu Gerechtigkeitsfragen und der sozial-ökologischen Transformation auszutauschen. Neben Vernetzung und Wissensvermittlung stand von Anfang an das praktische Erproben alternativer Formen des Zusammenlebens und Wirtschaftens im Zentrum der Klimacamps. Auch widerständige Aktionen der Markierung oder Blockierung symbolträchtiger Orte gehört zum Programm – so wurden schon vor „Ende Gelände“ Schienenblockaden, Baggerbesetzungen oder die Besetzung der Parteizentrale der NRW-Grünen umgesetzt.

Im Jahre 2014 kam die Idee auf, eine Massenaktion zur Blockade des Braunkohletagebaus zu organisieren. Die Mobilisierung brachte im August 2015 rund 1.500 Menschen zusammen, die sich frühmorgens auf den Weg zum Tagebau Garzweiler machten. In weiße Anzüge gehüllt, mit Staubmasken im Gesicht und Strohsäcken unter dem Arm zogen sie auf verschiedenen Wegen zum Ziel. Alle vier Gruppen schafften es, an verschiedenen Stellen in den Tagebau zu gelangen und konnten diesen für Stunden lahmlegen. Die Bilder der Menge weiß gekleideter Menschen, die sich erst durch grüne Wiesen schlängeln und später im lebensfeindlichen Grau neben bedrohlich großen Maschinen sitzen, gingen um die Welt.

Im Folgejahr konzentrierte sich „Ende Gelände“ auf den zweitgrößten deutschen Braunkohletagebau in der Lausitz. Der Tagebaubetreiber, der schwedische Staatskonzern Vattenfall, musste nach dem Willen der schwedischen Regierung die Kohlesparte verkaufen, damit Schweden seine Klimaziele einhalten könnte. Der Irrsinn des Verkaufs und Weiterbetriebs unter einem neuen Eigner sollte durch eine „Ende Gelände“-Aktion deutlich gemacht werden. Diese zog rund 4.000 Menschen in die südbrandenburgische Provinz, darunter viele aus anderen europäischen Ländern, u.a. viele SchwedInnen. „Ende Gelände“ besetzte Tagebaue, Bagger, Schienen und eine Kohleverladestation. Einige hundert AktivistInnen drangen auf das Kraftwerksgelände „Schwarze Pumpe“ vor. Die lang andauernden Blockaden erzielten eine starke Drosselung des Kraftwerks. Trotz dieser Proteste, die eine breite Debatte im schwedischen Parlament um den Verkauf der Braunkohlesparte auslösten, wurde dieser umgesetzt. Der Tagebau und die Kraftwerke werden nun vom tschechischen Konzern LEAG betrieben.

In 2017 und 2018 wurden jeweils zwei „Ende Gelände“ Massenaktionen organisiert. In 2017 zunächst im August im Rahmen der Aktionstage im Rheinland, die zeitlich an das Klimacamp nahe Garzweiler gekoppelt waren. Im November 2017 fand in Bonn - in direkter Nähe zum Rheinischen Braunkohlerevier - die 23. UN-Klimakonferenz (COP23) statt. Um die internationalen Medien und Gäste der Konferenz auf die vollkommen unzureichende Klimapolitik der Bundesregierung aufmerksam zu machen, wurde eine erneute „Ende Gelände“ Aktion durchgeführt. 2018 spitzte sich der Konflikt um die Rodung des letzten Rests des Hambacher Waldes erwartungsgemäß zu. So unterstützte „Ende Gelände“ zunächst die breiten Massenproteste durch eine eigene, kleinere Mobilisierung am 6. Oktober zum Hambacher Wald. Eine große Massenaktion im Stile der vergangenen Jahre fand am letzten Oktoberwochenende 2018 statt. Dieses Mal beteiligten sich 6.500 Menschen. Sie liefen zum Teil bis zu 15 Kilometer weit, um auf die Hambachbahn zu gelangen, die die Braunkohle aus dem Tagebau Hambach in verschiedene Kraftwerke verteilt. Rund 2.000 Menschen übernachteten bei 3°C auf den Schienen, um den Transport möglichst lange zu unterbrechen.

Die Aktionen sind vielleicht nicht legal, aber legitim
Die Besonderheit bei den „Ende Gelände“ - Aktionen ist das Berufen auf die Legitimität der Aktionen, trotz einer möglichen Strafbarkeit der Handlungen. Die AktivistInnen beziehen sich auf die politische Tradition des Zivilen Ungehorsams, um sozialen Wandel herbei zu führen. Dabei setzen sie ihre Körper ein, um sich der Umweltzerstörung am Ort ihres Entstehens entgegen zu stellen und diese aktiv zu stören und zu blockieren. Dafür gibt es einen vorab ausgehandelten Aktionskonsens, nach dem sich die AktivistInnen entschlossen und besonnen verhalten: Von ihnen gehe keine Eskalation aus und die Aktionen richteten sich weder gegen PolizistInnen, noch gegen ArbeiterInnen, sondern gegen die Konzerne und ihre Infrastruktur.

Das Handlungskonzept basiert auf einer klaren Analyse der politischen und ökologischen Realität. Ausgangspunkt ist der fortschreitende menschengemachte Klimawandel. Dieser wird zu einem beträchtlichen Anteil durch CO2-Emissionen bei der Energieproduktion erzeugt. Der CO2-intensivste Energieträger ist die Braunkohle, und in Deutschland wird weltweit mit Abstand die meiste Braunkohle gefördert und verbrannt. Die von RWE betriebenen Tagebaue und Kraftwerke im Rheinland stellen die größte zusammengehörige CO2-Quelle Europas dar.

Gleichzeitig werden auf politischer Ebene keine ausreichenden Maßnahmen beschlossen und umgesetzt, um dem fortschreitenden Klimawandel etwas entgegen zu setzen. Die international vereinbarten Klimaziele, die eine Erderwärmung auf maximal 2°C begrenzen sollen, werden nicht durch entsprechende Maßnahmen der Unterzeichnerstaaten gestützt. Auch auf europäischer und nationaler Ebene sind keine ausreichenden Maßnahmen vereinbart, zudem werden selbst gesetzte Klimaziele nicht erreicht. Die Erreichung der deutschen Klimaziele wäre aber möglich, wenn ein schneller Ausstieg aus der Braunkohleverstromung umgesetzt würde. Dieser ist zudem möglich, ohne die Versorgungssicherheit zu gefährden, u.a. weil Deutschland schon seit Jahren massiv Strom exportiert. Aus dieser Untätigkeit der Landes- und Bundesregierung leitet sich die Legitimation für die spektakulären Aktionen unter dem Motto „Kohleausstieg ist Handarbeit“ ab.

So geht „Ende Gelände“ an die Orte, an denen Klimawandel „gemacht“ wird – in die Braunkohlegruben, auf die riesigen Bagger und auf die Transportwege, die die Kohle in die Kraftwerke bringen. Neben der symbolischen Bedeutung wirken die Aktionen auch ganz direkt. Durch die Blockaden wurden immer wieder Drosselungen von Kraftwerken erzwungen und somit reell Emissionen reduziert.

Klimagerechtigkeit braucht einen Systemwandel
Der Horizont der Analyse bleibt nicht an nationalen Grenzen verhaftet. Die AktivistInnen führen aus, dass CO2-Emissionen nicht an Grenzen halt machen. Der Bezug auf Klimagerechtigkeit wird in den letzten Jahren immer stärker betont. Die Auswirkungen des Klimawandels sind weltweit spürbar, allerdings unterschiedlich stark. Diejenigen, die am Stärksten von den Klimawandelfolgen betroffen sind, haben oftmals die geringsten Mittel, um sich davor zu schützen. So sind Menschen im Globalen Süden, Frauen und mittellose Menschen am Stärksten betroffen. Diejenigen, die allerdings seit Beginn der Industrialisierung den Großteil zum menschengemachten Klimawandel beigetragen haben – die Industriestaaten, die dort ansässigen Großkonzerne und die konsumstarken Gesellschaftsschichten weltweit, haben aktuell und möglicherweise auch künftig die Mittel, sich vor den Klimawandelfolgen zu schützen. Auch heutige und künftige Fluchtbewegungen aufgrund von Extremwetterereignissen, Meeresspiegelanstieg und zunehmender Dürreperioden werden als Folgen der verfehlten Klimapolitiken diskutiert. Die Ungerechtigkeiten werden nicht nur von „Ende Gelände“, sondern von der gesamten Klimagerechtigkeitsbewegung thematisiert. Auch um der Verantwortung für den mit erzeugten Klimawandel gerecht zu werden, wird in Deutschland ein sofortiger Kohleausstieg gefordert. Neben dieser Sofortmaßnahme zur schnellen Reduktion des Schadstoffausstoßes wird zudem ein gesamtgesellschaftlicher Wandel oder Systemwechsel gefordert. „System Change Not Climate Change“ ist das übergreifende Motto. Diesem liegt die Analyse zugrunde, dass der globalisierte Kapitalismus und seine Fokussierung auf Kapitalvermehrung die wirtschaftsideologische Basis für die Zerstörung der natürlichen Ressourcen darstellt. Die Logik des Kapitalismus hält keine Rezepte bereit, die die Ressourcenausbeutung und Umweltzerstörung, die zum menschengemachten Klimawandel führen, stoppen könnten.

Und so kommt es nicht nur theoretisch, sondern auch praktisch vermehrt zu Austausch und der Teilnahme an Aktionen. So kamen beispielsweise im November 2017 während des COP23 die Pacific Climate Warriors auf Einladung von „Ende Gelände“ ins Rheinische Braunkohlerevier (1), um sich vor Ort anzuschauen, warum in naher Zukunft ihr Lebensraum durch den Meeresspiegelanstieg unbewohnbar werden wird und um die internationale Gemeinschaft zum Handeln aufzurufen. Auch in europäischen Nachbarländern bekommt die Bewegung für Klimagerechtigkeit Zulauf. In Tschechien und den Niederlanden fanden in den letzten beiden Jahren von „Ende Gelände“ inspirierte Massenaktionen gegen Kohleverstromung und Fracking statt. Die Klimagerechtigkeitsbewegung wächst von Jahr zu Jahr, und auch an den „Ende Gelände“ Aktionen nehmen zunehmend mehr Menschen teil. Das ist angesichts des sich beschleunigenden Klimawandels allerdings auch mehr als nötig.

Anmerkung
1 Siehe auch „From the frontlines of extraction to the frontlines of climate impacts“; https://350.org/loss-of-home/

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Michèle Winkler ist Referentin der Geschäftsstelle des Komitees für Grundrechte und Demokratie mit den Schwerpunkten Versammlungsrecht, Polizei und Innere Sicherheit. Sie hat bei der ersten Aktion von „Ende Gelände“ 2015 teilgenommen und engagiert sich in der Klimagerechtigkeitsbewegung.