Eine strukturelle Demokratisierung der Polizei ist nur durch die wirkmächtige Demokratisierung der Gesellschaft selbst möglich

„Wie sollte Polizei in einer Demokratie sein?“

von Hannah ReiterPaul Herbinger
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Auf der abstrakten Ebene stellt Polizei die Ausformung des staatlichen Gewaltmonopols dar, welches wiederum als historische gesellschaftliche Errungenschaft gewertet werden kann. Die gesamtgesellschaftliche Einigung darauf, dass nicht die Herrschaft des physisch Stärkeren zwischenmenschliche Aushandlungen determiniert, sondern eine durch das Gewaltmonopol gestützte Rechtsstaatlichkeit zur Auslagerung sozialer Konflikte bereitsteht, ist nicht zuletzt Teil des Fundaments demokratischer Gesellschaften.

Hier offenbaren sich jedoch Widersprüche in dem Verhältnis zwischen Theorie und Praxis. In ihrer praktischen Arbeit fungiert die Polizei meist weniger als Vollstreckerin der Rechtsstaatlichkeit, denn als Vermittlerin diffuser Dienstleistungen. Ausgestattet mit dem Strafrecht als zentrales Werkzeug, ist es die Aufgabe der Polizei, auf mannigfaltige soziale Probleme zu reagieren. Dabei zeigt sich jedoch, dass die Kriminalisierung dieser Probleme selten das adäquate Mittel zu ihrer Überwindung ist. So werden mit Bezug auf Gesetze und Verordnungen beispielsweise in der öffentlichen Sphäre die Drogenszene mobil gehalten, um Anrainer*innen zu beschwichtigen, Obdachlosigkeit aus den gehobenen Ballungszentren verdrängt, um das Stadtbild zu wahren, oder etwa in privaten Räumen Gewaltbeziehungen situativ (aber selten nachhaltig) unterbrochen. Konfrontiert mit den diversen Problemstellungen, besteht häufig die wichtigste Rolle der Polizei aus einer konstanten, flächendeckenden Verfügbarkeit, und im Falle gelingender Polizeiarbeit in der Weitervermittlung an geeignetere Stellen – etwa Notschlafquartiere, Suchtberatung oder Gewaltschutzeinrichtungen. Darin offenbart sich die zentrale, alltägliche Funktion der Polizei in der Verwaltung sozialer Missstände, ohne dabei mit dem Werkzeug ausgestattet zu sein, diese nachhaltig bearbeiten oder gar beheben zu können.

Problematiken
Der strukturellen Unpassförmigkeit zwischen dem Großteil sozialer Probleme und der Polizei als Akteurin, die zur Verwaltung der Probleme angerufen wird, kommen weitere gravierende Problematiken der Institution hinzu. In der Funktion und Besetzung der Polizei spiegeln sich grundsätzliche gesellschaftliche Widersprüche. Oft entpuppt sich die Polizei sogar als Brennglas für Rassismus, Sexismus, Klassismus und Fragen der nationalstaatlichen Zugehörigkeit. Als gängige Erklärung dafür wird oft die historische Genese der Institution als herrschaftsstützendes, konservatives Organ genannt. Oder aber die der Institution endemischen Dynamiken, wie etwa dem Korpsgeist, bzw. der ‚Cop Culture‘, die sowohl ins Innere der Institution, als auch abschreckend für Andersdenkende nach außen wirken. Und obwohl signifikante, strukturelle Verbesserungen über die vergangenen Dekaden festzuhalten sind, äußert sich die Verkörperung gesellschaftlicher Widersprüche in der praktischen Anwendung des Gewaltmonopols immer als besondere Zuspitzung gesamtgesellschaftlicher Diskriminierung und Unterdrückung.

Das gegenwärtige Bestreben nach einer demokratisierenden Reform der Polizei umfasst häufig einen wiederkehrenden Katalog an Vorschlägen: Gefordert werden Trainings- und Weiterbildungsprogramme mit dem Ziel einer Sensibilisierung der einzelnen Beamt*innen in Hinblick auf Deeskalationsstrategien, Kommunikationsfähigkeit sowie Schulungen im Umgang mit Menschen in psychischen Ausnahmesituationen. Die Polizei als Institution soll personell divers werden und mittels bürokratischer Rechenschaftspflichten eine gesteigerte Verfahrensgerechtigkeit aufweisen. Allerdings deuten Modellversuche und wissenschaftliche Studien darauf hin, dass viele liberale Reformversuche eine eingeschränkte oder teils gegenläufige Wirkung haben. Oft werden die von vielen Polizist*innen durchlaufenen Programme als politisch motiviert empfunden und aufgrund einer empfundenen Realitätsfremdheit zu alltäglicher Polizeiarbeit zurückgewiesen. Auch gibt es wenig Evidenz für die Überwindung von struktureller Diskriminierung durch die Erhöhung von personeller Diversität in der Polizei. Studien aus den USA belegen bei einer anfänglichen Erhöhung solcher Diversität teilweise sogar einen Anstieg von Polizeigewalt gegen Minderheiten, ausgehend sowohl von weißen Polizist*innen, als auch Polizist*innen of Color. Die Forderung nach gesteigerter Diversität scheitert nicht zuletzt daran, dass die Kultur der Polizei als Institution eine homogene und explizit keine Diversitätskultur ist. Zuletzt sind Forderungen nach einer gesteigerten Verfahrensgerechtigkeit zutiefst verstrickt mit den Widersprüchen bürokratischer Kontrollsysteme und den Interessen der Institution Polizei selbst. Versuche einer bedarfsorientierten Finanzierung der Polizei haben in Vergangenheit beispielsweise zu einem Kriminalisierungswettlauf zwischen einzelnen Bezirken geführt. Ferner führt die Lenkung von Polizeiarbeit entlang von Kriminalitätsstatistiken in manchen Fällen zur Vorgabe von Kriminalitätskorridoren, deren Einhaltung zur Ab- oder Aufwertung von Delikten entgegen den Interessen der Betroffenen oder zu der gezielten Verfolgung bestimmter Gruppen führt.  

Zur Demokratisierung der Polizei
Einige einfach umzusetzende Maßnahmen und Änderungen innerhalb der polizeilichen Praxis können nichtsdestotrotz bereits Verbesserungen derselben hervorbringen. Zu nennen ist hier beispielsweise der Begriff der Accountability – problematische Polizeipraxen sowie (körperliche) Übergriffe durch Polizist*innen sollen besser nachvollziehbar wie ahnbar gemacht werden. Dies kann durch paritätisch besetzte Melde- bzw. Beschwerdestellen (Polizei gemeinsam mit Repräsentant*innen der Gemeinschaft (“community“), eine Kennzeichnungspflicht für Polizist*innen (in Form einer einfach sichtbaren Dienstnummer) sowie – eventuell – in kritischen Einsätzen (bspw. Demonstrationen oder vermeintliche Gewaltanwendung) dauerhaft (nicht durch Polizist*innen gesteuerte) aufzunehmende Bodycam gewährleistet werden. Einer weiteren Forderung nach weniger Polizeigewalt bzw. Übergriffen kann – relativ simpel – an der Wurzel ansetzen und hier die Entwaffnung bzw. Demilitarisierung der Polizei thematisieren.

Auch diese reformierenden Ansätze stoßen jedoch bald an ihre Grenzen, da sie kaum die strukturellen Wurzeln der Probleme tangieren. Soziale Probleme, mit derer der polizeiliche Apparat betraut wird, sind überwiegend nicht strafrechtlich beheb-/lösbar - die Polizei als Organisation ist somit meist die falsche Adressatin. Naheliegend ist hier eine Auslagerung von Aufgaben/Funktionen, die derzeit oft die Polizei als erste Ansprechpartnerin übernimmt: Anstatt öffentliche Gelder in eine Aufrüstung der Polizei bei gleichzeitiger Einsparung der Finanzierung von Frauenhäusern oder Arbeitslosengelder zu investieren, läge es nahe, diese Bereiche (finanziell wie sozio-kulturell) zu fördern. Überlegungen, welche Aufgaben und Funktionen an welche Organisation oder Institution ausgelagert werden können, um somit eine staatliche Ressourcenumverteilung zu organisieren, gibt es bereits in vielen Ländern. Die Beantwortung der Frage danach, wie die Polizei in einer Demokratie sein sollte, muss deswegen weiter ausholen: Antidemokratische Strukturen in der Gesellschaft müssen abgebaut werden, sowohl was ungleichheitsschaffende, unterdrückende Wirtschaftsweisen beinhaltet, sowie exkludierende politische Mechanismen. Gelingende Polizeiarbeit ist weniger mit der Verwaltung sozialer Probleme überladen, wenn sie  in vielen Bereichen durch eine ausgebaute Gemeinweseninfrastruktur obsolet gemacht wird. Eine strukturelle Demokratisierung der Polizei ist nur durch die wirkmächtige Demokratisierung der Gesellschaft selbst möglich. 

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Hannah Reiter ist Mitarbeiterin von VICESSE, dem Wiener Zentrum für sozialwissenschaftliche Sicherheitsforschung.
Paul Herbinger ist Mitarbeiter von VICESSE, dem Wiener Zentrum für sozialwissenschaftliche Sicherheitsforschung.