Wie weiter nach dem Klimagipfel?

von Bruno Kern
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Zum ersten Mal in der Geschichte ist die Menschheit mit ihrer Existenz­frage konfrontiert. Die Beschäftigung mit der drohenden Klimakatastro­phe kann deshalb nicht einfach an die professionellen Umweltverbände delegiert werden, es geht vielmehr um eine tiefgreifende Zivilisations­krise der ganzen Menschheit, die fast nichts so lassen wird, wie es ist. Jetzt schon steht fest: Eine spürbare Erderwärmung ist nicht mehr auf­zuhalten, sie kann allenfalls in den noch verkraftbaren Grenzen (von etwa 2 Grad Celsius mittlerer Temperatur bis zum Ende des nächsten Jahrhunderts) gehalten werden. Einem breiten Konsens der Experten zufolge bedeutet dies eine Reduzierung des wichtigsten Treibhaus­gases CO-2 um 50% bis zum Jahr 2050 weltweit, und für die Industrie­länder - die ja um ein Vielfaches mehr Energie verschwenden als der Weltdurchschnitt - um 80-90%!Was uns droht, wenn das nicht gelingt, ist oft genug und - bei allen Unsicherheitsfaktoren - detailliert beschrie­ben worden. Hier nur so viel: Einer vor kurzem in Großbritannien veröf­fentlichten Studie zufolge bedeutet der Treibhauseffekt 350 Millionen Hungernde mehr im Jahr 2050! Die wirksamste Solidarität mit den arm­gemachten Ländern ist allemal radikale Strukturveränderung bei uns.

Der "anthropogene", also menschenge­machte Treibhauseffekt ist untrennbar verbunden mit unserem wachstumsfi­xierten kapitalistischen Wirtschaftsmo­dell, das ohne die scheinbar grenzenlose Verfügbarkeit billiger Energie nicht "funktioniert" hätte. Ganz anders als etwa bei den FCKW geht es nicht um eine gut eingrenzbare, technisch und ökonomisch leicht verzichtbare Stoff­gruppe. Die drohende Klimakatastrophe erfordert ein neues Paradigma unserer Wirtschaftsbeziehungen insgesamt. Zunächst aber müssen wir so schnell wie möglich die Notbremse ziehen.

Beim "Klimagipfel" in Berlin wurde eine wichtige Gelegenheit dafür wieder einmal vertan. Zur Erinnerung: Eines der wenigen weiterführenden Ergeb­nisse des "Erdgipfels" in Rio de Janeiro (1992) war die sogenannte "Klimarahmenkonvention". Sie aner­kannte immerhin die Notwendigkeit ei­ner Reduzierung der Treibhausgase, sprach aber nur Empfehlungen aus. Das Wichtigste aber war, daß sie die Mög­lichkeit eröffnete, daraus völkerrechtlich verbindliche Verpflichtungen zu ma­chen. Ein Zusatzprotokoll in Berlin hätte das leisten können. Der Entwurf dafür lag vor: Die sog. AOSIS-Länder, ein Zusammenschluss von etwa 30 klei­nen Inselstaaten (Trinidad, Malta, Kuba, etc.), die wissen, daß sie ohne konse­quente Maßnahmen in absehbarer Zeit überflutet werden, hatten einen Proto­kollentwurf vorgelegt, dessen Kernfor­derung die Reduzierung des CO-2-Aus­stoßes um 20% bis zum Jahr 2005 (bezogen auf 1990) in den OECD-Staa­ten ist: Eine eher noch zu moderate, sachlich richtige Forderung, und zudem taktisch nicht ungeschickt: Die sog. Schwellenländer wurden in diese Forde­rung nicht einbezogen, und tatsächlich konnte so erreicht werden, daß etwa In­dien, China und Brasilien in Berlin den Protokollentwurf unterstützten. Ge­bremst haben vor allem einige OPEC-Länder (Kuwait, Saudi-Arabien) und die USA - für Frau Merkel übrigens die willkommene Gelegenheit, ihr Gesicht zu wahren. Eine strategische Konse­quenz ergibt sich hier für die Nichtre­gierungsorganisationen: Die Dritte Welt hat faktisch die Führung innerhalb des internationalen Klimaschutzregimes übernommen. Es sollte versucht werden, die Europäer langfristig auf eine klima­politische Koalition mit den großen Dritte-Welt-Staaten festzulegen, um damit die USA zu isolieren.

Das dünne Ergebnis der aufwendigen Konferenz ist vor allem das "Berliner Mandat": Eine Arbeitsgruppe darf ein Protokoll (bzw. "ein vergleichbares Rechtsinstrument") erstellen, das dann bei der 3. Vertragsstaatenkonferenz in Tokio 1997 verhandelt werden kann. Der Arbeitsauftrag legt allerdings nicht einmal fest, daß es um Reduzierungen gehen soll.

Ein zweites Verhandlungsergebnis be­trifft die sog. "joint implementations" - ein auf den ersten Blick bestechender Gedanke, der sich aber bei näherem Zu­sehen als schlichter Ablasshandel ent­puppt: Die Idee lautet, daß Industrielän­der sich von ihren eigenen Reduktions­verpflichtungen teilweise freikaufen können, indem sie Reduktionsmaßnah­men in der "Dritten Welt" finanzieren. Der Transfer von energieeinsparender Technologie wäre billiger als entspre­chende Maßnahmen in den Industrie­ländern selbst; mit geringeren Mitteln könnte - so wird argumentiert - ein viel größerer Effekt erzielt werden. Die durch solche Maßnahmen vermiedenen CO-2-Emissionen sollten dann dem "Emissionskonto" der Industrieländer gutgeschrieben werden. In Berlin wurde nun für joint implementations eine un­begrenzte Pilotphase vereinbart, wäh­rend der allerdings noch keine Emissi­onsminderungen verrechnet werden können.

Diese Idee ist von geradezu klerikaler Scheinheiligkeit: Die Industrieländer sind mit gehörigem Abstand die größten Energieverschwender: Die 20% der Weltbevölkerung, die in den Industrie­ländern leben, verbrauchen mehr als 80% der Energie! Vor allem hier müs­sen also die Weichen anders gestellt werden, um eine Senkung des Energie­verbrauchs im erforderlichen Maß weltweit zu erreichen. Durch den Trick der joint implementations werden die nötigen Strukturveränderungen bei uns hinausgezögert und damit wesentlich er­schwert. Hier ist nicht der Platz, um noch einmal die Liste der bekannten Forderungen der Umweltverbände voll­ständig wiederzugeben. Lediglich aus den zwei zentralen Bereichen Energie und Verkehr sei beispielhaft einiges be­nannt. Kritisch unter die Lupe zu neh­men ist dabei allerdings nicht nur die Bundesregierung, sondern ebenso die kurzsichtigen Lobbyisten aus Industrie und Gewerkschaften sowie die neuen "ökologischen Wortführer" von Josef (so sein bürgerlicher Name) Fischer bis Greenpeace.

Das anzustrebende Klassenziel (80-90% CO-2-Minderung in den Industrielän­dern bis 2050) mag zunächst die Phan­tasie vieler überfordern. Der Physiker Hans-Peter Dürr liefert dazu allerdings eine interessante Modellrechnung, die deutlich macht, was das für unsere Le­benssituation bedeutet: Wenn wir unse­ren Energieverbrauch auf (nicht um!) ein Viertel reduzieren, könnten wir uns einen Lebensstandard leisten, der etwa dem der Schweiz im Jahr 1956 ent­spricht. Rechnet man noch die bisher nicht ausgeschöpften Effizienzpotentiale hinzu (also intelligente Techniken, oder auch die Kraft-Wärmekoppelung, die für dieselben Dienstleistungen mit we­niger Energie auskommen), dann wären wir bereits beim Lebensstandard der Schweiz im Jahr 1969 angelangt. Die Steinzeit ist das keineswegs! Und die Reduzierung des Anteils an fossiler En­ergie auf einen kleinen Bruchteil des Gesamtenergieverbrauchs scheint tech­nisch vor allem durch den Ausbau der Sonnenenergienutzung durchaus mög­lich. Allerdings ist auch vor der gefähr­lichen Tendenz zu warnen, den Men­schen einzureden, allein durch mehr technische Effizienz könne das Nötige getan werden. Neben einer Effizienzre­volution ist auch eine Suffizienzrevolu­tion unvermeidlich, d.h. also der Ver­zicht auf bestimmte Selbstverständlich­keiten unseres derzeitigen "way of life". Das betrifft vor allem unser Verhältnis zur Mobilität (Ferntourismus).

Die Marktmechanismen versagen zu­mindest da, wo es um allgemeine (ökologische oder soziale) Interessen geht. Hier muß politisch korrigiert wer­den. Die uns derzeit zur Verfügung ste­henden Instrumentarien (Finanz- und Ordnungspolitik) reichen m.E. langfri­stig nicht; den entsprechenden politi­schen Willen vorausgesetzt, können sie uns allerdings zunächst Zeit verschaffen und weitere Handlungsspielräume er­öffnen.

Unser Energieversorgungssystem krankt grundsätzlich daran, daß die privatwirt­schaftlichen Monopolstrukturen einen hohen Verbrauch geradezu zur wirt­schaftlichen Notwendigkeit machen. Rekommunalisierung, eine neue Stromtarifordnung, die nicht mehr den Großverbrauch fördert, eine zügige Beendigung der hochsubventionierten Kohleverstromung und eine Ausstieg aus der (ebenfalls hoch sobventionier­ten) Atomenergie zugunsten der Förde­rung regenerativer Energien (Sonne und Wind), flächendeckende Einführung der Kraft-Wärme-Koppelung und Ver­pflichtung zum least-cost-planning sind grundsätzlich machbare politische Maß­nahmen. Unvermeidlich ist eine (sozialverträglich gestaltete) Energie­steuer.

Die fortschreitende Zerstörung unserer Lebensgrundlagen ist zugleich ein "kalter Krieg" der Industrieländer gegen die Dritte Welt. Jene sind verantwortlich für 80% der CO-2- Emissionen, für fast 85% der Chlorproduktion und nutzen fast 80% der motorisierten Fahrzeuge. Mit 4,7% Anteil an der Weltbevölke­rung nehmen die USA 23% des Primär­energiebedarfs in Anspruch. Allein in Nordrheinwestfalen sind mehr PKWs zugelassen als in ganz Schwarzafrika. Unsere Wirtschafts- und Lebensweise ist nicht verallgemeinerbar, ohne daß der Globus in wenigen Tagen kaputt wäre. So leben, daß alle leben können - das wäre die ethische Maxime, unter der die notwendigen Strukturveränderungen bei uns voranzutreiben wären.

 

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