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Wie weiter nach dem Klimagipfel?
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Zum ersten Mal in der Geschichte ist die Menschheit mit ihrer Existenzfrage konfrontiert. Die Beschäftigung mit der drohenden Klimakatastrophe kann deshalb nicht einfach an die professionellen Umweltverbände delegiert werden, es geht vielmehr um eine tiefgreifende Zivilisationskrise der ganzen Menschheit, die fast nichts so lassen wird, wie es ist. Jetzt schon steht fest: Eine spürbare Erderwärmung ist nicht mehr aufzuhalten, sie kann allenfalls in den noch verkraftbaren Grenzen (von etwa 2 Grad Celsius mittlerer Temperatur bis zum Ende des nächsten Jahrhunderts) gehalten werden. Einem breiten Konsens der Experten zufolge bedeutet dies eine Reduzierung des wichtigsten Treibhausgases CO-2 um 50% bis zum Jahr 2050 weltweit, und für die Industrieländer - die ja um ein Vielfaches mehr Energie verschwenden als der Weltdurchschnitt - um 80-90%!Was uns droht, wenn das nicht gelingt, ist oft genug und - bei allen Unsicherheitsfaktoren - detailliert beschrieben worden. Hier nur so viel: Einer vor kurzem in Großbritannien veröffentlichten Studie zufolge bedeutet der Treibhauseffekt 350 Millionen Hungernde mehr im Jahr 2050! Die wirksamste Solidarität mit den armgemachten Ländern ist allemal radikale Strukturveränderung bei uns.
Der "anthropogene", also menschengemachte Treibhauseffekt ist untrennbar verbunden mit unserem wachstumsfixierten kapitalistischen Wirtschaftsmodell, das ohne die scheinbar grenzenlose Verfügbarkeit billiger Energie nicht "funktioniert" hätte. Ganz anders als etwa bei den FCKW geht es nicht um eine gut eingrenzbare, technisch und ökonomisch leicht verzichtbare Stoffgruppe. Die drohende Klimakatastrophe erfordert ein neues Paradigma unserer Wirtschaftsbeziehungen insgesamt. Zunächst aber müssen wir so schnell wie möglich die Notbremse ziehen.
Beim "Klimagipfel" in Berlin wurde eine wichtige Gelegenheit dafür wieder einmal vertan. Zur Erinnerung: Eines der wenigen weiterführenden Ergebnisse des "Erdgipfels" in Rio de Janeiro (1992) war die sogenannte "Klimarahmenkonvention". Sie anerkannte immerhin die Notwendigkeit einer Reduzierung der Treibhausgase, sprach aber nur Empfehlungen aus. Das Wichtigste aber war, daß sie die Möglichkeit eröffnete, daraus völkerrechtlich verbindliche Verpflichtungen zu machen. Ein Zusatzprotokoll in Berlin hätte das leisten können. Der Entwurf dafür lag vor: Die sog. AOSIS-Länder, ein Zusammenschluss von etwa 30 kleinen Inselstaaten (Trinidad, Malta, Kuba, etc.), die wissen, daß sie ohne konsequente Maßnahmen in absehbarer Zeit überflutet werden, hatten einen Protokollentwurf vorgelegt, dessen Kernforderung die Reduzierung des CO-2-Ausstoßes um 20% bis zum Jahr 2005 (bezogen auf 1990) in den OECD-Staaten ist: Eine eher noch zu moderate, sachlich richtige Forderung, und zudem taktisch nicht ungeschickt: Die sog. Schwellenländer wurden in diese Forderung nicht einbezogen, und tatsächlich konnte so erreicht werden, daß etwa Indien, China und Brasilien in Berlin den Protokollentwurf unterstützten. Gebremst haben vor allem einige OPEC-Länder (Kuwait, Saudi-Arabien) und die USA - für Frau Merkel übrigens die willkommene Gelegenheit, ihr Gesicht zu wahren. Eine strategische Konsequenz ergibt sich hier für die Nichtregierungsorganisationen: Die Dritte Welt hat faktisch die Führung innerhalb des internationalen Klimaschutzregimes übernommen. Es sollte versucht werden, die Europäer langfristig auf eine klimapolitische Koalition mit den großen Dritte-Welt-Staaten festzulegen, um damit die USA zu isolieren.
Das dünne Ergebnis der aufwendigen Konferenz ist vor allem das "Berliner Mandat": Eine Arbeitsgruppe darf ein Protokoll (bzw. "ein vergleichbares Rechtsinstrument") erstellen, das dann bei der 3. Vertragsstaatenkonferenz in Tokio 1997 verhandelt werden kann. Der Arbeitsauftrag legt allerdings nicht einmal fest, daß es um Reduzierungen gehen soll.
Ein zweites Verhandlungsergebnis betrifft die sog. "joint implementations" - ein auf den ersten Blick bestechender Gedanke, der sich aber bei näherem Zusehen als schlichter Ablasshandel entpuppt: Die Idee lautet, daß Industrieländer sich von ihren eigenen Reduktionsverpflichtungen teilweise freikaufen können, indem sie Reduktionsmaßnahmen in der "Dritten Welt" finanzieren. Der Transfer von energieeinsparender Technologie wäre billiger als entsprechende Maßnahmen in den Industrieländern selbst; mit geringeren Mitteln könnte - so wird argumentiert - ein viel größerer Effekt erzielt werden. Die durch solche Maßnahmen vermiedenen CO-2-Emissionen sollten dann dem "Emissionskonto" der Industrieländer gutgeschrieben werden. In Berlin wurde nun für joint implementations eine unbegrenzte Pilotphase vereinbart, während der allerdings noch keine Emissionsminderungen verrechnet werden können.
Diese Idee ist von geradezu klerikaler Scheinheiligkeit: Die Industrieländer sind mit gehörigem Abstand die größten Energieverschwender: Die 20% der Weltbevölkerung, die in den Industrieländern leben, verbrauchen mehr als 80% der Energie! Vor allem hier müssen also die Weichen anders gestellt werden, um eine Senkung des Energieverbrauchs im erforderlichen Maß weltweit zu erreichen. Durch den Trick der joint implementations werden die nötigen Strukturveränderungen bei uns hinausgezögert und damit wesentlich erschwert. Hier ist nicht der Platz, um noch einmal die Liste der bekannten Forderungen der Umweltverbände vollständig wiederzugeben. Lediglich aus den zwei zentralen Bereichen Energie und Verkehr sei beispielhaft einiges benannt. Kritisch unter die Lupe zu nehmen ist dabei allerdings nicht nur die Bundesregierung, sondern ebenso die kurzsichtigen Lobbyisten aus Industrie und Gewerkschaften sowie die neuen "ökologischen Wortführer" von Josef (so sein bürgerlicher Name) Fischer bis Greenpeace.
Das anzustrebende Klassenziel (80-90% CO-2-Minderung in den Industrieländern bis 2050) mag zunächst die Phantasie vieler überfordern. Der Physiker Hans-Peter Dürr liefert dazu allerdings eine interessante Modellrechnung, die deutlich macht, was das für unsere Lebenssituation bedeutet: Wenn wir unseren Energieverbrauch auf (nicht um!) ein Viertel reduzieren, könnten wir uns einen Lebensstandard leisten, der etwa dem der Schweiz im Jahr 1956 entspricht. Rechnet man noch die bisher nicht ausgeschöpften Effizienzpotentiale hinzu (also intelligente Techniken, oder auch die Kraft-Wärmekoppelung, die für dieselben Dienstleistungen mit weniger Energie auskommen), dann wären wir bereits beim Lebensstandard der Schweiz im Jahr 1969 angelangt. Die Steinzeit ist das keineswegs! Und die Reduzierung des Anteils an fossiler Energie auf einen kleinen Bruchteil des Gesamtenergieverbrauchs scheint technisch vor allem durch den Ausbau der Sonnenenergienutzung durchaus möglich. Allerdings ist auch vor der gefährlichen Tendenz zu warnen, den Menschen einzureden, allein durch mehr technische Effizienz könne das Nötige getan werden. Neben einer Effizienzrevolution ist auch eine Suffizienzrevolution unvermeidlich, d.h. also der Verzicht auf bestimmte Selbstverständlichkeiten unseres derzeitigen "way of life". Das betrifft vor allem unser Verhältnis zur Mobilität (Ferntourismus).
Die Marktmechanismen versagen zumindest da, wo es um allgemeine (ökologische oder soziale) Interessen geht. Hier muß politisch korrigiert werden. Die uns derzeit zur Verfügung stehenden Instrumentarien (Finanz- und Ordnungspolitik) reichen m.E. langfristig nicht; den entsprechenden politischen Willen vorausgesetzt, können sie uns allerdings zunächst Zeit verschaffen und weitere Handlungsspielräume eröffnen.
Unser Energieversorgungssystem krankt grundsätzlich daran, daß die privatwirtschaftlichen Monopolstrukturen einen hohen Verbrauch geradezu zur wirtschaftlichen Notwendigkeit machen. Rekommunalisierung, eine neue Stromtarifordnung, die nicht mehr den Großverbrauch fördert, eine zügige Beendigung der hochsubventionierten Kohleverstromung und eine Ausstieg aus der (ebenfalls hoch sobventionierten) Atomenergie zugunsten der Förderung regenerativer Energien (Sonne und Wind), flächendeckende Einführung der Kraft-Wärme-Koppelung und Verpflichtung zum least-cost-planning sind grundsätzlich machbare politische Maßnahmen. Unvermeidlich ist eine (sozialverträglich gestaltete) Energiesteuer.
Die fortschreitende Zerstörung unserer Lebensgrundlagen ist zugleich ein "kalter Krieg" der Industrieländer gegen die Dritte Welt. Jene sind verantwortlich für 80% der CO-2- Emissionen, für fast 85% der Chlorproduktion und nutzen fast 80% der motorisierten Fahrzeuge. Mit 4,7% Anteil an der Weltbevölkerung nehmen die USA 23% des Primärenergiebedarfs in Anspruch. Allein in Nordrheinwestfalen sind mehr PKWs zugelassen als in ganz Schwarzafrika. Unsere Wirtschafts- und Lebensweise ist nicht verallgemeinerbar, ohne daß der Globus in wenigen Tagen kaputt wäre. So leben, daß alle leben können - das wäre die ethische Maxime, unter der die notwendigen Strukturveränderungen bei uns voranzutreiben wären.