Afghanistan

Wie weiter nach dem Truppenabzug?

von Otmar Steinbicker
Krisen und Kriege
Krisen und Kriege

US-Präsident Joe Biden hat das Ende des Krieges in Afghanistan und einen bedingungslosen Abzug der US-Truppen bis spätestens zum 11. September verkündet. Damit müssen auch die Truppen der anderen NATO-Staaten nach fast 20 Jahren ebenfalls abziehen.

Dass der Krieg nicht zu gewinnen war, hatten hochrangige Militärs frühzeitig erkannt. Dem ersten deutschen Befehlshaber, General Friedrich Riechmann, war bereits nach wenigen Wochen im Dezember 2001 klar, dass der Einsatz gescheitert war. Man hatte den Terrorchef Bin Laden, den man für die Anschläge in New York verantwortlich machte, nicht fassen können und konnte damit nicht als Sieger abziehen. Jetzt standen Bundeswehrsoldat*innen in einem Land, dessen Kultur sie nicht verstanden und sie standen vor der mit militärischen Mitteln unlösbaren Aufgabe, Afghanistan zu befrieden.

Im Januar 2009 erklärte der damalige Oberbefehlshaber der ISAF-Truppen, General Egon Ramms, am Rande einer Diskussionsrunde im Theater Aachen, ihm sei klar, dass die Truppen abgezogen werden müssten: „Noch ein halbes Jahr afghanische Truppen ausbilden und dann raus!“ Im September 2009 unterstützte er einen Vorschlag aus der afghanischen und deutschen Friedensbewegung für einen regionalen Waffenstillstand in der Provinz Kundus. Doch weder die NATO noch die Bundesregierung wollten auf ihn hören.

Anschließend initiierte Ramms einen diskreten Gesprächskanal zu den Taliban und im Sommer 2010 trafen sich in Kabul ISAF-Offiziere, darunter auch deutsche, mit hohen Talibanvertretern zu Gesprächen, in denen beide Seiten sich erstaunlich schnell auf zentrale Prinzipien für eine Friedenslösung einigten. Wieder blockierten NATO und Bundesregierung eine Umsetzung. Ramms Nachfolger brach die Kontakte ab und schickte stattdessen Bundeswehrsoldat*innen ins Gefecht.

Genutzt hat die Fortführung des Krieges niemandem. Zum 31.12.2014 wurde der ISAF-Einsatz beendet und der Großteil der Kampftruppen abgezogen. Es blieben Ausbilder*innen und Berater*innen für die afghanische Armee, darunter bis heute circa 1.100 von der Bundeswehr. Der Krieg war auch so nicht zu gewinnen, wurde aber aussichtslos weitergeführt.

Für Afghanistan beginnt mit dem endgültigen und bedingungslosen Truppenabzug der USA und der NATO ein neues Kapitel nach mehr als 40 Jahren Krieg, ab 1988 Bürgerkrieg, dann sowjetische Besatzung, danach wieder Bürgerkrieg gefolgt von der Schreckensherrschaft der Taliban bis 2001 und schließlich Krieg der NATO gegen die Taliban.

Was wird nach dem unausweichlichen Abzug der NATO aus dem Land? Problematisch ist, dass die Taliban sich bislang Gesprächen mit der Regierung Afghanistans verweigern. Militärisch scheinen sie den Regierungstruppen deutlich überlegen. Wird bei einem Durchmarsch der Taliban dann eine weitere Runde eines Bürgerkrieges zwischen Warlords und Taliban geben und was passiert nach deren Sieg? Dass es dann schnurstracks in die alte Schreckensherrschaft zurückgeht, ist eine der medial oft kolportierten Möglichkeiten. Diese würde aber voraussetzen, dass die Taliban in den vergangenen 20 Jahren nicht dazugelernt haben. Offen bleibt allerdings, ob sich eine Taliban-Regierung an moderate Positionen hält, die ihre Verhandlungsdelegation in Gesprächen mit US-Vermittlern vorgetragen hat und ob es in einem Land, in dem es traditionell Probleme zwischen der Zentralregierung und regionalen und lokalen Kräften Probleme gab, eine Talibanführung zentralistisch regieren könnte.

Womöglich kommt auch alles anders. Die große Mehrheit der Afghan*innen ist kriegsmüde und obendrein fehlt es den möglichen Kontrahenten an Geld für die Kriegführung. Pakistan, das in der Vergangenheit erst Mudschaheddin und später die Taliban finanziell und teils auch mit eigenen Truppen unterstützte, hat erhebliche Geldsorgen und ist auf Kredite und Investitionen aus China angewiesen. Auch der Iran, der in der Vergangenheit in Afghanistan mitmischte, ist unter dem Druck der US-Sanktionen auf eine engere Kooperation mit China angewiesen und will ebenso wie Afghanistan dem von China dominierten Shanghai-Kooperationsrat beitreten.

China wiederum hat genügend Geld, nicht nur für Investitionen in aufwändige Verkehrswege im Zuge der neuen Seidenstraße, sondern auch für die Förderung der mutmaßlich riesigen Bodenschätze in Afghanistan. Die UdSSR hatte bereits in den 1980er Jahren mit der Prospektierung begonnen, Förderung und Transport waren jedoch unter Kriegsbedingungen kaum möglich. Auch für die USA und die NATO-Staaten machte der anhaltende Krieg den Zugriff auf die begehrten Rohstoffvorkommen unmöglich. Dagegen hatte China in den vergangenen Jahren bereits vorsichtig mit Investitionen in diesem Sektor begonnen und Erfahrungen sammeln können.

An einem Erstarken der Taliban ist China mit Blick auf seine eigene islamische Minderheit der Uiguren sicherlich nicht interessiert. Geld, Arbeitsplätze und ein damit verbundener Anstieg des Lebensstandards bieten für die Menschen in Afghanistan andere Perspektiven als Bomben und Granaten.

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Otmar Steinbicker ist Redakteur des FriedensForums und von aixpaix.de