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Wir können den Menschen ihre Verzweiflung und Trauer nicht nehmen
vonEs ist Mitte August. Im Zagreber Büro der humanitären Hilfsorganisation "Den Krieg überleben " e.V. (DKÜ) schrillt das Telefon. Martin Fischer, ehemals Journalist in Köln, seit knapp drei Jahren jedoch Fluchthelfer für verzweifelte bosnische Flüchtlinge, hebt den Hörer ab und erlebt, was er im Nachhinein als Höhepunkt der menschenverachtenden Vertreibungspolitik der serbischen Besatzer beschreibt. Ein ganzes nicht-serbisches Dorf aus der Region Banja Luka wird mit der Exekution bedroht, falls DKÜ sie nicht unmittelbar in ihr Transithaus übernimmt, wo sie den Besatzungsmächten nicht mehr vor Augen sind. Natürlich sagt Martin Fischer "Ja", obwohl die Kapazitäten des DKÜ-Transithauses für Flüchtlinge in der Nähe von Zagreb nur für 200 Personen reichen. Und so drängen sich jetzt mehr als 600 Menschen in dem Haus, gerade dem Tod entronnen und noch voller Angst und Verzweiflung. Über die persönlichen Berichte - oft nur bruchstückhaft zusammengetragen oder ohne Punkt und Komma aus den Menschen heraussprudelnd - zu schreiben würde bei weitem den Rahmen sprengen. Sie lassen uns aber immer wieder erschauern.
Wir wissen, daß wir den Menschen ihre Verzweiflung und Trauer nicht nehmen können, wir können ihnen nur helfen, sich vorläufig in Sicherheit zu bringen.
Für diese Menschen müssen jetzt Aufnahmeplätze bei Verwandten oder aufnahmewilligen Personen in Deutschland, Schweden oder anderen westeuropäischen Ländern gefunden werden.
Zur Entstehung der Kampagne
Mit einem "Hilferuf an alle" vom 11.12.1992 aus Anlass des Tages der Menschenrechte starteten Organisationen der Friedensbewegung und engagierte Einzelpersonen die Kampagne:
"Helfen Sie Menschen aus Bosnien-Herzegowina den Winter (zu) überleben":
Initiator der Kampagne war der Kölner Journalist Martin Fischer, der dem Flüchtlingselend nicht mehr nur zusehen, sondern helfend eingreifen wollte. Das Ziel der Kampagne war es zunächst, neben konkreter Hilfe für Flüchtlinge in Not auch ein Stein des Anstoßes für die Bundesregierung zu sein, die nur äußerst zögerlich dazu bereit war, Flüchtlinge aus Bosnien aufzunehmen.
Und so kamen die ersten Menschen aus dem Kriegsgebiet schon am 24.Dezember 1992 in die Bundesrepublik.
Seitdem arbeitet die Initiative, die sich im Juli 1993 in "Den Krieg überleben" (DKÜ) umbenannte und sich als eingetragener Verein konstituierte, mit jeweils einem Büro in Bonn und Zagreb, um verzweifelten Menschen Schutz und (zumindest) vorübergehend Aufenthalt in Deutschland, Schweden und anderen westeuropäischen Ländern zu vermitteln.
Die Arbeit ist nervenaufreibend, anstrengend, für unseren Mitarbeiter in Zagreb nicht ganz ungefährlich, immer kurz vor dem finanziellen Aus - und trotzdem sehr lohnend. Es ist uns gelungen, innerhalb von zweieinhalb Jahren fast 7000 Menschen - Muslime, Kroaten, Roma, gemischte Familien - aus den serbisch besetzten Gebieten herauszuholen und damit vor physischer und psychischer Verfolgung zu schützen.
Und so funktioniert die Arbeit:
DKÜ unterhält - wie oben schon erwähnt - Büros in Bonn und Zagreb und ein Transitzentrum für Flüchtlinge in Ivanic Grad, 30 km von Zagreb entfernt. In diesem Transitzentrum werden die Flüchtlinge untergebracht, die aufgrund einer sog. "Verpflichtungserklärung" von deutschen Gastgebern oder Angehörigen, den serbisch besetzten Teil Bosniens verlassen durften. (Wobei die Vokabel "verlassen durften" natürlich absolut verharmlosend wirkt: die Menschen wurden gezwungen, "freiwillig" ihren gesamten Besitz den Besatzern zu überschreiben und wurden nicht selten - vor dem Grenzübergang - nochmals auf Wertgegenstände wie Eheringe gefilzt, die ihnen dann abgenommen werden.)
Die Verpflichtungserklärung dem Ausländeramt gegenüber bedeutet, daß jede/r GastgeberIn sich verpflichtet, für die Aufenthaltskosten der Flüchtlinge hier aufzukommen. Die Erfahrung hat jedoch gezeigt, daß längst nicht alle GastgeberInnen, die jemanden aufgenommen haben, tatsächlich unbegrenzt vom Staat zur Kasse gebeten werden. Es gibt demgegenüber genug Beispiele, wo ein reibungsloser Übergang in die Sozialhilfe möglich war oder auch ein Arbeitsplatz gefunden wurde.
Und trotz dieser hohen finanziellen Hürde erklärten sich im Laufe der Zeit fast 700 deutsche Gastfamilien und Kirchengemeinden dazu bereit, über 2500 bosnische Flüchtlinge bei sich aufzunehmen, eine Zahl, die am Anfang fast utopisch schien. Ohne diese opferbereiten und sehr engagierten Leute hätten wir unsere Arbeit stark reduzieren müssen. Parallel dazu gab es die Entwicklung, daß sich auch immer mehr Angehörige von Flüchtlingen an uns wandten, die von unserer Arbeit erfahren hatten und einen Weg suchten, ihre Verwandten herauszuholen. Momentan liegt der Schwerpunkt unserer Arbeit in der Familienzusammenführung, da sich fast keine deutschen GastgeberInnen mehr melden.
Durch die Vertreibungen aus den "Schutzzonen" Srebenica und Zepa und die endgültige Säuberung" der Region Banja Luka durch serbische Flüchtlinge aus der Krajina und serbisches Militär, stehen wir jetzt, Ende August, vor dramatisch gestiegenen Anfragen und sind Zeugen unglaublicher Brutalität.
Und täglich erreichen uns viele weitere Anrufe von verzweifelten Menschen. Dazu kommt, daß wir für weitere 3000 Personen schon die Vorarbeit geleistet haben, auf diese warten schon gültige Visa für die Einreise nach Deutschland oder Schweden, sie konnten bisher nur noch nicht aus Bosnien herausgeholt werden, da entweder die Kroaten oder die bosnischen Serben die Ausreise verweigerten - oder: weil wir kein Geld mehr hatten für den Transfer und die Folgekosten.
Und das ist ein Dauerbrennerproblem bei DKÜ: die Finanzierung der humanitären Hilfe.
Aufgrund der enormen Spendenbereitschaft privater Spender konnten wie in den vergangenen Jahren etwa die Hälfte unseres Haushaltes durch sie decken, die andere Hälfte kam von kirchlichen Einrichtungen, dem Diakonischen Werk und von staatlichen Organisationen. Das Ganze kostet natürlich sehr viel Geld.
Abhängig von den Flüchtlingszahlen in dem Transitzentrum Ivanic Grad benötigen wir im Monat ca. 70-90.000 DM.
Aber trotz kontinuierlicher Werbung gehen die Spenden seit Anfang des Jahres drastisch zurück, so daß wir Monat für Monat neu entscheiden müssen, ob DKÜ die nächsten vier Wochen "überlebt", was für die MitarbeiterInnen, Vorstand und vor allem für die Flüchtlinge einen ungeheuren Druck bedeutet. Wir sind dringend auf neue Spenden angewiesen, um die Arbeit fortsetzen zu können.
Spendenkonto: Sparkasse Bonn, BLZ: 380 50 000, Kto-Nr: 61 101
Helfen Sie helfen:
Betreungsnetzwerk für Gastgeber, die bosnische Flüchtlinge aufgenommen haben:
Seit der Verlagerung unseres Arbeitsschwerpunktes von der Vermittlung von Flüchtlingen an deutsche Gastfamilien / Kirchengemeinden hin zur Familienzusammenführung, haben wir uns Anfang des Jahres entschlossen, dem Anliegen einiger unserer Mitglieder und auch zahlreicher Gastgeber Rechnung zu tragen und den Aufbau eines Betreungsnetzwerkes in Angriff genommen. Um dieses Projekt durchführen zu können, waren wir auf finanzielle Unterstützung angewiesen, die wir von der EU-Kommission für Zuwanderer erhielten. Desweiteren wurde zu diesem Zweck eine Rücklage aus Vereinsmittel gebildet. Aufgrund der Rückmeldungen, anläßlich einer Fragebogenaktion im vergangen Jahr, haben wir die Gastgeber im gesamten Bundesgebiet zu Treffen in den entsprechenden Regionen eingeladen.
Zentraler Punkt der Veranstaltungen war die Verpflichtungserklärung und die Möglichkeit Sozialhilfe für die Flüchtlinge zu beantragen bzw. evtl. Regreßforderungen seitens der Sozialämter entgegenzuwirken. Zu diesen Themenpunkten referierte jeweils ein Rechtsanwalt.
Das Bonner Büro stellte eine umfangreiche Materialmappe zusammen, die neben Beratungsstellen der Diakonie u.a. Listen von Rechtsanwälten, Ärzten die kostenlos behandeln, Rechtsgutachten zur Verpflichtungserklärung, Gerichtsurteile über Asylanträge für bosn. Kriegsflüchtlinge und vieles mehr enthielt.
Im Laufe des letzten halben Jahres ist es uns gelungen nunmehr 7 Kontaktadressen zu nennen, die als erste Ansprechpartner für die Gastgeber fungieren. Geplant war eine dezentrale Netzwerkstruktur. In fast allen Bundesländern gibt es nun Kontakstellen, die entweder von uns oder aber von aktiven Gastgebern bereits selbst initiiert wurden.
Schwerpunkt sollte nicht nur die gegenseitige Vernetzung sein, sondern auch die Bereitstellung von Materialien, die dann nicht nur regional sondern überregional zur Verfügung gestellt werden können.
Im Bonner Büro können nach wie vor Materialien, wie Erlasse, Gerichtsurteile und dergleichen angefordert werden. Wir versuchen in Bezug auf die Lage der bosnischen Flüchtlinge in der BRD auf dem aktuellsten Stand zu sein. Hierbei handelt es sich in erster Linie um Änderungen der Einladungsformalitäten, Krankenversicherung, Aufenthaltsstatus u.a..
Auf Anregung der Regionalgruppe in NRW wurden alle Gastgeber aufgefordert, diese Arbeit weiterhin zu unterstützen und so sind bislang eine Anzahl von Einzugsermächtigungen eingegangen, die es uns ermöglichen diese Arbeit auf ein weiteres Jahr, unabhängig von der Entwicklung von DKÜ, fortzusetzen.
Wir freuen uns über die rege Teilnahme an den Regionaltreffen und die große Resonanz auf die wir gestoßen sind. So sind wir nun in der Lage, wenn auch im bescheidenen Maße, eine Art von Nachbetreuung der Gastgeber zu leisten.