Wo Recht zu Unrecht wird, wird Widerstand zur Pflicht

von Elke StevenMartin Singe

Schon seit Mai 2002 drohte die USA offen mit einem Angriffskrieg gegen den Irak. Die scheinheilig vorgetragenen Gründe - Verbindung des Regimes zu Al Quaida und der Besitz von den Westen bedrohenden Massenvernichtungswaffen - waren schon seinerzeit als Vorwände durchschaubar. In Wirklichkeit ging es von vornherein um wirtschaftliche und militärisch-strategische Interessen der USA.

Im Herbst 2002 entwickelten Aktive aus verschiedenen Friedensorganisationen ein Widerstandskonzept in Anlehnung an die Widerstandskampagne der US-Friedensbewegung "pledge of resistance" gegen den 1984 drohenden Nicaragua-Krieg. Durch ein Eskalationsszenario von Demonstrationen bis zu massenhaftem Zivilen Ungehorsam, zu dem sich Friedensgruppen und Einzelne im Vorhinein öffentlich verpflichteten, sollte die Regierung zum Einlenken gebracht werden. In weniger als einem Jahr hatten damals 75.000 Menschen die Selbstverpflichtung unterschrieben. Die Kampagne wollte sowohl auf die Regierung und den Kongress als auch auf die öffentliche Meinung Einfluss nehmen. Obwohl praktisch ein langwährender low-intensity-Krieg und eine massive Unterstützung der Contras durch die USA stattfanden, blieb der "große" Krieg gegen Nicaragua aus. Viele Analytiker meinten, dass die Selbstverpflichtungskampagne dafür einen wesentlichen Beitrag geleistet hätte.

Die Kampagne "resist - sich dem Irak-Krieg widersetzen" wollte ebenfalls durch Selbstverpflichtungen zu zivilem Ungehorsam im Vorfeld des Krieges Einfluss auf die US-Politik, die Politik der Bundesregierung und die öffentliche Meinung ausüben. Ein Aufruf-Flugblatt mit einer Selbstverpflichtungsformel, die hinsichtlich der auszuübenden Aktionsformen recht offen formuliert war, wurde massenhaft in der Friedensbewegung verbreitet und erzielte bis März 2003 über 7.000 Selbstverpflichtungen. Für die meisten Unterzeichnenden war klar, dass sie sich damit auch zu Aktionen zivilen Ungehorsams verpflichteten. Bereits im Dezember 2002 fand eine erste angemeldete Demonstration der resist-Kampagne vor der US-Airbase in Frankfurt statt, der Hauptdrehscheibe für den Irak-Krieg in Deutschland.

Neben den Forderungen an die US-Regierung wurde auch die Bundesregierung aufgefordert, zur Kriegsverhinderung beizutragen: Keine Gewährung von Überflugrechten; Verweigerung der Nutzung der US-Basen und Kommandozentralen auf deutschem Boden für den Krieg; Rückzug der Bundeswehr aus den enduring-freedom-Einsätzen am Golf; keine Bundeswehr-Beteiligung an AWACS-Einsätzen; kein Bundeswehr-Schutz für US-Kasernen. Erste befristete Sitz-Blockaden im Rahmen der resist-Kampagne fanden schon im Januar/Februar 2003 statt, als sich immer klarer abzeichnete, dass der Krieg beginnen würde: In Geilenkirchen wurde die AWACS-Basis blockiert; die Soldaten wurden zur Befehlsverweigerung aufgefordert. Am US-Übungsplatz Grafenwöhr fand ein Go-In statt. Das bundesdeutsche Verteidigungsministerium wurde blockiert und bei einer Demonstration mit unseren Forderungen konfrontiert. Am EUCOM in Stuttgart wurde demonstriert.

Die erste große mehrstündige resist-Blockade vor der Frankfurter US-Airbase fand am 22.2.03 statt. Sie wurde ohne polizeiliches Eingreifen nach der vereinbarten Zeit beendet. Nach den Auftaktkundgebungen am S-Bahnhof Zeppelinheim wurde jeweils noch Gelegenheit zum Bilden von Bezugsgruppen gegeben. Im Vorhinein waren Trainings in Gewaltfreier Aktion angeboten worden, um Solidarität, Selbstsicherheit und schnelle Konsensfindung in der Aktion zu stärken.

Kurz vor Kriegsbeginn, am 15.3.03, fand die erste Aktion zivilen Ungehorsams vor der Airbase statt. Die angemeldete Kundgebung wurde verboten und erst im Gerichtsstreit wieder erlaubt. Der gerichtlich vorgegebene Kundgebungsort lag neben dem Haupttor der Airbase. Die Demonstrierenden begaben sich jedoch allesamt direkt vor das Tor. Nach polizeilicher Auflösung entfernte sich praktisch niemand, so dass die Staatsgewalt handgreiflich wurde und mit Ingewahrsamnahmen oder Verbringungsgewahrsam arbeitete. Obwohl die Autobahnabfahrt zum Haupttor gesperrt war, versuchte die Polizei, den Nötigungstatbestand zu konstruieren, indem zwei US-PKWs per Polizeieskorte bis an die Sitzdemo herangeleitet wurden.

An den ersten beiden wie auch an der dritten Blockade am 29.3.03 beteiligten sich jeweils rund 2.000 - 3.000 Personen, fast allesamt entschlossen zum zivilen Ungehorsam gegen den völkerrechtswidrigen Krieg und die grundgesetzwidrige Unterstützung durch die Bundesregierung. Auch am 29.3. wurde polizeilich geräumt. Diesmal wurde hauptsächlich der Verbringungsgewahrsam eingesetzt. An beiden Aktionstagen wurden auch - wie vereinbart - das Nord- und Südtor der Airbase von kleineren Gruppen zu blockieren versucht. Hier ergaben sich die meisten Festnahmen und Strafanzeigen wegen des Nötigungsvorwurfs.

Insgesamt haben die Aktionen in der Öffentlichkeit und in den Medien eine breite positive Resonanz gefunden, auch wenn kein direkter Erfolg hinsichtlich unserer Forderungen erreicht werden konnte. Die Aktiven wurden durch den internationalen Protest (am 15.2. demonstrierten weltweit 15 Millionen Menschen!) gestärkt. In anderen Ländern fanden auch Aktionen zivilen Ungehorsams statt, teilweise stärker auf direkt eingreifende Art. Irische Kriegsgegner störten den Flughafen Shannon so sehr, dass Flüge nach Frankfurt verlegt wurden. Griechische Hafenarbeiter verweigerten die Beladung von Schiffen mit Kriegsgerätschaften. Aber die Antikriegsbewegung hatte die kritische Grenze offensichtlich noch nicht erreicht, auch wenn international die Friedensbewegung als nicht zu unterschätzender Machtfaktor neu wahrgenommen wurde.

Ein ausführliches politisches Resümee über die Aktionsformen der resist-Kampagne und ihrer Erfolge bzw. Nicht-Erfolge kann hier nicht gezogen werden. In dieser Sonderausgabe/Friedensforum-Beilage soll es zentral um die Strafverfolgung von Aktiven der Kampagne gehen. Das unrühmliche Verhalten der Justiz ist ein Skandal für sich!

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Elke Steven ist Soziologin und Referentin beim Komitee für Grundrechte und Demokratie in Köln.
Martin Singe ist Redakteur des FriedensForums und aktiv im Sprecher*innenteam der Kampagne "Büchel ist überall! atomwaffenfrei.jetzt".