Revolution 1918/19

Zeit des Umbruchs, Zeit des Wandels - literarische und historische Zeugnisse nach 1918

von Renate WanieMaría-Eugenia Lüttmann
Hintergrund
Hintergrund

In einer öffentlichen Lesung in der Volkshochschule Heidelberg beleuchteten Mitglieder des Heidelberger Friedensratschlags an Hand von Originaltexten die Zeit von November 1918 und bis August 1919 die vielfältigen Facetten des Geschehens nach dem Ende des Ersten Weltkriegs in Deutschland. Die vorgetragenen politischen, sozialen und literarischen Zeugnisse sollten die Ideale, Träume, Forderungen, Erfahrungen, Verzweiflung und Probleme der Nachkriegsgesellschaft spiegeln, in ihrem Bemühen, eine neue Form des Zusammenlebens in einer demokratisch freiheitlichen Ordnung zu finden. Nicht ohne gewaltsame Auseinandersetzungen ging es dabei zu, und der Alltag war zunächst geprägt von Aufruhr, Streiks und bewaffneten Konfrontationen der einzelnen Gruppierungen, denn nicht alle waren für die neue Staatsform. Die Last der Arbeitslosigkeit von Millionen rückkehrender Soldaten, die Empörung über die Auflagen des Friedensvertrags und die Rückwärtsgewandtheit vieler Akteure haben vorhandene rechtsgerichtete Strömungen befeuert und Ressentiments gegen einzelne Bevölkerungsgruppen wieder hochkommen lassen.

Anhand von Zitaten einiger Akteure  gab die Lesung schlaglichtartig die Situation der damaligen Gesellschaft wieder. Die Darstellung musste fragmentarisch bleiben. Nachfolgend werden einige wenige Einblicke in die Ereignisse in München gegeben. Dort wurde bereits am 7./8.11.1919 die Monarchie der Wittelsbacher gestürzt und der Freistaat Bayern ausgerufen. Kurt Eisner, seit 1892 politisch aktiv, formulierte in seiner Rede am 8.11.1918:
„Volksgenossen! Um nach jahrelanger Vernichtung aufzubauen, hat das Volk die Macht der Zivil- und Militärbehörden gestürzt und die Regierung selbst in die Hand genommen. Die bayerische Republik wird hierdurch proklamiert. Die oberste Behörde ist der von der Bevölkerung gewählte Arbeiter-, Soldaten- und Bauernrat, der provisorisch eingesetzt ist, bis eine endgültige Volksvertretung geschaffen werden wird. Er hat gesetzgeberische Gewalt. Die ganze Garnison hat sich der Republikanischen Regierung zur Verfügung gestellt. Generalkommando und Polizeidirektion stehen unter unserem Befehl. Die Dynastie Wittelsbach ist abgesetzt. Hoch die Republik! Der Arbeiter- und  Soldatenrat. (…) Wir wollen der Welt das Beispiel geben, daß endlich einmal eine Revolution, (…) die Idee, das Ideal und die Wirklichkeit vereint.“ (Proklamation der Demokratie in Bayern vom 8.11.1918 (Archiv: BayHstA Plkdlg.2076)

In Bayern wird ein provisorischer Nationalrat gebildet, in dem Eisner Ministerpräsident und Außenminister wird. Hier die Rede Eisners: „Wir haben in den letzten Tagen in wenigen Stunden gezeigt, wie man Geschichte macht, wie man Tatsachen revolutionär für alle Zukunft schafft. Keiner von Ihnen wird heute, welche Anschauung er immer haben mag, des törichten Glaubens sein, dass der Strich, den wir in einer friedlichen Erhebung unter die gesamte Vergangenheit des bayerischen Staatslebens gemacht haben, jemals wieder ausgelöscht werden könnte. Und wenn Sie vielleicht den Eindruck gehabt haben, daß diese radikale Umgestaltung der bayerischen Verfassung und des gesamten Lebens einen etwas anarchistischen Charakter hatte, so ist das nur ein Missverständnis des Augenblicks.“ (Weidermann, V.: Träumer. Als die Dichter die Macht übernahmen. Köln 2017. S. 66)

Die ausgerufene Republik verwirklichte mit der rechtlichen Gleichstellung von Männern und Frauen und mit der Einführung des Frauenstimmrechts zentrale Forderungen der Frauenrechtsbewegung. Rosa Kempf (1874-1948), die schon vor dem Ersten Weltkrieg in der gemäßigten bürgerlichen Frauenbewegung aktiv war, hielt aufgrund des geringen Frauenanteils am 18. Dezember 1918 eine Rede vor dem Provisorischen Nationalrat – es war die erste Rede einer Frau im bayerischen Landtag: „Wenn wir uns in diesem Saal umsehen, dann werden Sie vergeblich die gleichberechtigte Beteiligung der Frau suchen. Wo hat der Bauernrat seine Bäuerinnen? Der Bauernhof kann aber ohne Bäuerin nicht geführt werden (...). Wo hat die Arbeiterschaft ihre Arbeiterinnen? Im Kriege standen die Arbeiterinnen in der Fabrik und in allen anderen Betrieben (...). Wir sog. bürgerlichen Frauen sind noch am stärksten vertreten (...). Wenn also wirklich die Räte als Fundament einer neuen politischen Organisation bestehen bleiben sollen, dann muß auch für die Frau eine derartige Ratsorganisation geschaffen und sie muß mit Funktionen und Rechten ausgestattet werden.“ (Nadja Bennewitz M.A., Historikerin: Der Kampf um das Frauenstimmrecht. Vortrag, Ver.di-Frauen München, 12.04.2018)

Der Schriftsteller Oskar Maria Graf bilanzierte schon am 7. November „ Diese ganze Revolution ist nichts. Einen einzigen Tag haben sie ein wenig Krach gemacht, und jetzt! ... Jetzt fangen sie schon wieder an mit dem Aufräumen ...“ (Oscar Maria Graf über die Münchner Revolution. Süddeutsche Zeitung, 9.08.2018) Er hielt die Münchner Revolution für eine schlechte Posse. Als er jedoch verhaftet wurde, ändert sich seine Einstellung. Scheinbar etwas gelassener reagierte der in München lebende Schriftsteller Thomas Mann am 19. November 1918 auf die umwälzenden Ereignisse, als die Revolution die Reichshauptstadt Berlin erreichte: „Revolutionen kommen erst, wenn sie gar keinen Widerstand mehr finden (auch bei dieser war es so) und eben dieses Fehlen beweist, daß sie natürlich und berechtigt sind. Die alten Machthaber sind im Grunde froh, Ihre Macht, die keine mehr war, los zu sein, und es ist zuzugeben, daß ihre Autorität der Lage, wie sie ist und demnächst sein wird, nicht gewachsen gewesen wäre. Überhaupt sehe ich den Ereignissen mit ziemlicher Heiterkeit und einer gewissen Sympathie zu. Die Bereinigung und Erfrischung der politischen Armosphäre ist schließlich gut und wohlthätig.» (Mann, Thomas: Tagebücher1918-1921, Hrsg. Mendelssohn, Peter de. Frankfurt/M. 1979).

Victor Klemperer, Romanist und Journalist, sagt über die öffentlichen Demonstrationen: „Der Marsch der (Arbeiter)Bataillone war gut, soweit es nicht Soldaten waren, die marschierten. (...) Bei den Nachmittagsdemonstrationen war ich überzeugter als je, dass es nicht ernst werden würde. Welch ein Volksfest. (…) Männer und Frauen, Mädchen und Jungen, und alle so lustig plaudernd und aus Leibeskräften mitschreiend, wenn die Ordner ein Hoch auf die Räterepublik ausbrachten, und noch seliger brüllend, wenn es ein „Nieder!“ war. „Nieder mit den Hohenzollernsozialisten!“. Sie warfen die Arme hoch, und ganz Verwegene schwenkten die Gewehre über den Köpfen. Und dann wurde gesungen und dann wieder geplaudert – nein, es würde nicht ernst werden, es war bloß ein Spiel“. (Klemperer, V.: Man möchte immer weinen und lachen in einem. Revolutionstagebuch 1919. Aufbau Verlag, 2015, S. 157)

Die allgemeinen Wahlen im Januar 1919 verlor Eisner. Bevor er zurücktreten konnte, wurde er von Graf von Arco auf Valley hinterrücks ermordet. Auf einem Zettel hatte Arco als Motiv angegeben: „Mein Grund: Ich hasse den Bolschewismus, ich liebe mein Bayernvolk, ich bin treuer Monarchist, ein guter Katholik. Über alles achte ich die Ehre Bayerns. Eisner ist Bolschewist. Er ist Jude. Er ist kein Deutscher. Er verrät das Vaterland.“ (Weidermann, V.: Träumer, S. 113)
Der Dramatiker  und Sozialist Ernst Toller übernimmt für einen Tag die Regierungsgeschäfte, dann übernehmen die Kommunisten die Macht. Angesichts des Umsturzes hatte Thomas Mann sich für den Fall der Fälle folgende Sätze zurechtgelegt: „Hört, ich bin weder Jud, noch ein Kriegsgewinnler, noch sonst etwas Schlechtes, ich bin ein Schriftsteller, der sich dies Haus von dem Gelde gebaut hat, das er mit seiner geistigen Arbeit verdient.“ Die Villa, in der er in München residierte, war ein Geschenk seiner jüdischen Schwiegereltern Pringsheim. Als dann die Kommunisten die Macht übernommen hatten, meinte er: „Ich bin imstande, auf die Straße zu laufen und zu schreien: Nieder mit der westlichen Lügendemokratie! Hoch Deutschland und Rußland! Hoch der Kommunismus“  (zitiert nach R. Höller, Das Wintermärchen, S.144)

Ernst Toller sagte später in Gedenken an Eisner: „Eisners Politik in der Revolution war ganz gewiß nicht unantastbar. (...) In einer Zeit, wo es darauf ankam, unter Wahrung der kulturellen Autonomie der einzelnen Staaten die Vereinheitlichung der deutschen Verwaltung und Wirtschaft zu erreichen, hat er dem politischen Föderalismus seine propagandistischen Kräfte geliehen. Verhängnisvoll war gewiß der Irrtum, die Räte, auf die die Revolution sich stützte (...) in ihrer Wirksamkeit zu beschränken und an ihre Stelle die alte Bürokratie zu setzen. Denn die kleinen und großen Fehler, die die Räte gemacht hätten, sind unbedeutend gegenüber jenem, der mit der Wiedereinsetzung der natürlichen Feinde der Republik begangen wurden. (...) Die deutsche Revolution ist nicht daran zugrunde gegangen, daß das Volk nicht reif war (....) Kein Mensch ist reif allein durch Wissen, man muß ihm die Möglichkeit zum Marschieren geben, dann wird er (...) zum Ziel kommen. Die deutsche Revolution ist gescheitert am Versagen der überlebenden Führer, an der Unzulänglichkeit von uns Jungen, die den Fanatismus hatten, aber nicht genügende Einsicht und Erfahrung.“  (Ernst Toller: In Memoriam Kurt Eisner. Gesammelte Werke, Bd. 1., S.165)
Rilke sagte später über den Versuch: „Einen Augenblick hoffte man.“

Das revolutionäre Geschehen verlief in Bayern anfangs friedlich. Mit dem Mord an Eisner kam es zu politischen Auseinandersetzungen zwischen den anarchistischen und kommunistischen Revolutionären wie auch mit den gegenrevolutionären Kräften. Die im April 1919 in München ausgerufene Räterepublik wurde Anfang Mai im Auftrag von Reichswehrminister Gustav Noske (SPD) von Regierungstruppen und Freikorpssoldaten blutig niedergeschlagen.

Idee, Recherche und Gestaltung: María-Eugenia Lüttmann, in Zusammenarbeit mit Renate Wanie, Gela Böhne und weiteren Mitgliedern des Heidelberger Friedensratschlags.

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