Zentren für im Krieg vergewaltigte Frauen

von Iris Smidoda
Krisen und Kriege
Krisen und Kriege

Es gibt mindestens drei verschiedene Frauengruppen in Zagreb - Ka­reta, Tresnjevka und Frauenlobby - die sich für die Betreuung der im Krieg vergewaltigten Frauen einsetzen. Sie arbeiten unabhängig von­einander, weil entweder der Nationalismus oder langjährige persönliche Differenzen sie trennen. Parallel dazu betreuen einzelne Ärztinnen und Psychologinnen auf eigene Initiative die Frauen, die jetzt in den Flücht­lingslagern in Kroatien leben. Nina Kadic und Zeljka Mrkic von Tresn­jevka stellten bereits im Sommer 1992 eine Dokumentation über Verge­waltigungslager zusammen und versuchten die Weltöffentlichkeit auf­zurütteln. Vergeblich. Zusammen mit den Frauen von Kareta lieferten sie dann die Informationsgrundlage für die Mona Lisa Sendung am 15. November, die hierzulande die Welle der Empörung ausgelöst hat.

Mein Widerwillen gegen jede Form von Nationalismus führte mich zur Frauen­lobby Zagreb, weil die Frauen dieses Bündnisses die Fäden zu den Femini­stinnen in den anderen Republiken nicht haben abreißen lassen. Auch bei der Einrichtung von Zentren für vergewal­tigte Frauen wollen sie mit dem Frauen­notruf aus Belgrad zusammenarbeiten. Grundlage dafür sind nicht nur langjäh­rige Freundschaften, sondern auch das Wissen, daß Frauen in diesem wie in je­dem anderen Krieg auf allen Seiten ver­gewaltigt wurden und werden und daß ihnen daher jenseits von Nationalität und Ethnie geholfen werden muß.

Die Frauenlobby Zagreb

Die Frauenlobby Zagreb ist ein Zusammenschluss verschiedener Frauengrup­pen und-Projekte in Zagreb, der Unab­hängigen Union kroatischer Frauen, dem Autonomen Frauenhaus, dem Fraueninformations-und Dokumentationszentrum sowie den Frauen der Anti­kriegskampagne, und existiert in dieser Form seit November 1992. Die Frauen wollten ihre Kräfte bündeln, um einer­seits dem immer stärker werdenden Druck auf Feministinnen in Kroatien standzuhalten, und um andererseits den im Krieg vergewaltigten Frauen effekti­ver helfen zu können. Seit Ende No­vember sitzen an Wochentagen mit Ausnahme des Wochenendes zwei Frauen täglich im Büro, bereit Auskunft zu erteilen und Hilfsangebote zu koor­dinieren. Das Telefon klingelt fast un­unterbrochen, Frauen aus aller Welt melden sich, bieten Hilfe und kündigen Besuche an. Zugleich geben sich Dele­gationen gegenseitig die Klinke in die Hand - "peace tourists" werden kurzfri­stige Besucherinnen, wie auch ich eine bin, hier genannt, und ich verstehe den Sarkasmus in der Stimme.

Ich erhalte die Projektbeschreibung für den Aufbau von "Zentren für im Krieg vergewaltigte Frauen", einen detaillier­ten Organisations-und Finanzierungs­plan sowie eine Liste für Sachspenden.

Aber für die Realisierung des Projekts bedarf es, das wird schnell klar, der Be­ratung und professionellen Unterstüt­zung von Ärztinnen, Psychologinnen, Sozialarbeiterinnen aus Westeuropa. Die fehlende Erfahrung und Qualifika­tion ist ein Problem für alle Frauen hier beim Aufbau von Betreuungszentren. "Mit Ausnahme der Frauen vom Auto­nomen Frauenhaus haben wir keine Er­fahrungen in der Betreuung vergewal­tigter Frauen", sagt Vesna von der Anti­kriegskampage. "Die Frauen, die in den Zentren arbeiten wollen, benötigen dringend der Ausbildung und der Su­pervision erfahrener Frauen von außen."

"Und verschont uns bloß mit Eurem wohlgemeinten Geldsegen", fügt sie rasch hinzu. Die Frauen wollen den ver­gewaltigten Frauen helfen, dabei aber behutsam vorgehen, Fehler vermeiden. Durch die Welle der Empörung in Europa und der Welt, der plötzlich ausgebro­chenen Hilfsbereitschaft und Spenden­freudigkeit, der ebenso hektischen wie hilflosen Aktivitäten der großen staatli­chen wie nichtstaatlichen Hilfsorganisa­tionen, der nicht enden wollenden Dele­gationsbesuche und Journalistenfragen geraten die Frauen unter einen ungeheuren Druck, rasch zu handeln, um bloß nicht das große Geld zu verpassen. Sie verweigern sich diesem Druck, so gut sie können, da sie genau wissen, daß das Hauptproblem zunächst darin be­steht, auch nur einen Bruchteil der an­gegebenen 60.000 vergewaltigten Frauen zu finden und ihr Vertrauen zu gewinnen. "Wenn Ihr das Geld einfach ausschüttet, dann führt das nur zu Strei­tereinen zwischen den Gruppen hier, zu Konkurrenzen und Korruption", ver­sucht Biljana klar zu machen. "Wer Geld und Unterstützung will, muß ein klares Konzept vorlegen und über die Ausgaben Rechenschaft ablegen. Und sich bestimmten Kriterien unterwerfen, damit die Frauen nicht erneut missbraucht werden."

Und diese Tendenz besteht. Den Frauen drohen Gettoisierung und männliche Ärzte. Assin Kurjak, Chefgynäkologe einer Zagreber Klinik, würde sie am liebsten alle gleich in sein Krankenhaus aufnehmen. Ein wahres Mekka für den Pränatalogen. Aber zumindest bis Ende 1992, zum Zeitpunkt, da ich dies schreibe, verhinderte die kroatische Re­gierung jegliche Versuche, Zentren zur Betreuung der vergewaltigten und schwangeren Frauen einzurichten. Liegt doch in ihrer Schublade bereits ein Ge­setzesentwurf zum Verbot der bislang in Kroaten bis zur 10. Woche freien Ab­treibung.

Kriegsvergewaltigung und Kriegs­propaganda

Die Kriegsvergewaltigungen werden in Kroatien ebenso wie in Serbien in den entsetzlichsten Farben geschildert und mit großer Entrüstung öffentlich verur­teilt. Natürlich sind es dabei nur die je­weils anderen, die vergewaltigen. Prak­tische Hilfe gibt es nicht, bereits beste­hende Einrichtungen wie z.B. das Frau­enhaus in Zagreb können sich nur durch Spenden aus dem Ausland über Wasser halten. Die vergewaltigten Frauen werden für kriegspropagandistische Zwecke instrumentalisiert.

"Die Frage ist doch", meint Neva vom Frauenhaus, "was wollen diese Frauen überhaupt selbst? "Wollen sie in ein Hotel mit über 100 anderen vergewal­tigten Frauen gesperrt werden, wie Cap Anamur das vorhatte?" "Vielleicht wol­len sie ja bei ihren Familienangehörigen bleiben, bei ihren Ehemännern", meint eine andere. "Aber es heißt doch", werfe ich ein, "daß die muslimischen Männer ihren Frauen verstoßen, wenn sie ver­gewaltigt werden". Ungeduldiges Kopf­schütteln um mich herum. Das stimmt, heißt es dann, und es stimmt nicht. Je­denfalls sind die muslimischen Männer nicht schlimmer als etwa die kroatischen oder deutschen. In jeder patriarchalen Kultur glauben die Männer das Verfü­gungsrecht über den weiblichen Körper zu haben. Das ist schließlich auch eine der Grundlagen für Vergewaltigungen und Gewalt gegen Frauen überhaupt.

Mit den Frauen sprechen, sich ihnen als vertrauenswürdige Ansprechpartnerin anbieten, ihnen durch Beratung Hilfe zur Selbsthilfe bieten, sie in kleinen, de­zentralen Zentren medizinisch und psy­chisch betreuen - das ist das kurz-und langfristige Ziel der Frauenlobby in Zagreb wie auch der Belgrader SOS-Notrufgruppe, die in Zusammenarbeit mit den Zagreber Frauen ähnliche Zen­tren aufbauen will. Auch das Projekt von Tresnjevka geht in diese Richtung. Aber gerade die Weigerung dieser Fe­ministinnen, sich selbst und Frauen überhaupt auf "die Nation" zu reduzie­ren, ist der kroatischen Regierung, der Presse und leider auch einigen anderen Frauengruppen ein Dorn im Auge. "Kroatische Feministinnen vergewalti­gen Kroatien" tönte am 10. Dezember der Globus, die kroatische Bild-Zeitung, just zu dem Zeitpunkt, da die weltweite Empörung über die Massenvergewalti­gungen in Bosnien-Herzegowina ihren Höhepunkt erreichte.

Hexenjagd

Exemplarisch für die Vaterlandsverrä­terinnen griff ein anonymes Reporter­team fünf weltweit renommierte feministische Philosophinnen, Journalistinnen und Schriftstllerinnen heraus - Jelena Lovric, Rada Ivekovic, Slavenka Dra­kulic, Vesna Kesic, Dubravka Ugresic - und stellte sie als die "fünf Hexen" an den Pranger. Das Verbrechen dieser Frauen besteht in ihrem feministischen Ansatz, Kriege als Kriege der Männer zu definieren, und Vergewaltigung als eine Waffe, die in jedem Krieg einge­setzt wird, als Botschaft von Mann zu Mann über den geschundenen Körper der Frauen. "Dies ist kein Männerkrieg", antwortet der Globus, " sondern eine fa­schistische Aggression". Und die sexu­elle Gewalt wird selbstverständlich ein­zig und allein von "den Serben" aus­geübt.

Unter Veröffentlichung aller persönli­chen Daten bis hin zur Nennung von Aufgaben und Funktionen der Eltern dieser Frauen im ehemaligen jugoslawi­schen Staat entlarvt der Globus die "fünf Hexen" als stalinistische Lesben, die entweder keinen Mann abgekriegt oder aber - typischerweise - einen Serben (schon damals) geheiratet haben. Das Ende des Vierecks von "Feminismus-Marxismus-Kommunismus-Jugosla­wien" sei auch ihr Ende.

Auch hierzulande wird bei aller Empö­rung über die Massenvergewaltigungen die Geschlechterfrage entmannt. Die simple Tatsache, daß es Männer sind, die Frauen im Frieden wie im Krieg vergewaltigen, wird aus der öffentlichen Diskussion ausgeblendet. Eine echte Leistung, wenn wir bedenken, daß noch nie in der Geschichte soviel öffentlich über Vergewaltigung gesprochen wurde. "Nicht Männer vergewaltigen", schrieb der Globus, "sondern Serben vergewal­tigen kroatische und muslimische Frauen". Die vergewaltigten Frauen werden im Nachhinein doppelt missbraucht: als Instrument zur Kriegspro­paganda und zur Diffamierung von Fe­ministinnen, die wissen, daß Frauen kein Vaterland haben.

 

Dieser Artikel wurde den "Ohne-Rü­stung-leben Informationen"Nr 63 ent­nommen. Der AK Mir bei Ohne Rü­stung Leben arbeitet mit Terres des Femmes e.V. Tübingen und der Zagreb Womens' Lobby zusammen.

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Krisen und Kriege
Iris Smidoda ist Referentin bei "Ohne Rüstung Leben - Ökumenische Aktion für Frieden und Gerechtigkeit".