3. KDV-Kongreß in Frankfurt

Zivildienst: Eine "Perversion der Kriegsdienstverweigerung"

von Michael Gems

Am 14./15. Mai hatten die Grünen, die Deutsche Friedensgesellschaft - Vereinigte Kriegsdienstgegner (DFG-VK) und die Selbstorganisation der Zivildienstleistenden (SOdZDL) zum Kongreß "Gegen Militarisierung - Kriegsdienste verweigern" eingeladen. In 21 Arbeitsgruppen diskutierten die 500 Teilnehmerinnen die politische Bedeutung der Kriegsdienstverweigerung, neue Herausforderungen und Chancen wie zum Beispiel durch die Reservistenkonzeption der Bundeswehr und die Einbeziehung scheinbar "ziviler" Dienste in die militärische Gesamtverteidigung.

Ich will einen wichtigen Aspekt herausgreifen: die Entwicklung des Zivildienstes. Eine provozierende Kongreßthese dazu lautet, der Zivildienst sei eine "Perversion der Kriegsdienstverweigerung''. Diese plakative Formulierung spiegelt in gleichem Maße Stärken und Schwächen dieser zweiten, Vollversammlung aller Kriegsdienst(e)verweigererInnen nach 18 Jahren wieder. Einerseits wurde sehr präzise und nachvollziehbar eine Analyse der Einbeziehung des Zivildienstes in gesamtmilitärische Strukturen geleistet. Andererseits offenbarten sich Schwächen bei der Entwicklung einer politischen Gegenstrategie. Unverblümt wird in einem Aufsatz der "Wehrmedizinischen Monatszeitschrift" gefordert, den Zivildienst auf die Erfordernisse der "sanitätsdienstlichen Versorgung" im Kriegsfall umzustellen und in Laufzeit und Ausbildung dem Militärdienst gleichzustellen. Die Kräfte der zivilen Rettungsorganisationen sollten dabei unter militärischer Leitung ausgebildet werden.

Daß es sich nicht mehr allein um Denkmodelle handelt, zeigt die in den vergangenen Jahren systematisch vollzogene Veränderung der Einsatzplätze. So wird .der Zivildienst vor allem in Bereichen geleistet, die für den Zivilschutz notwendig sind. Ein weiteres Indiz: Die Personalakten der ZDL müssen bis zu ihrem 65. Lebensjahr aufgehoben werden. Diese Maßnahme erhält nur ihren Sinn, wenn an entsprechende Dienstverpflichtungen im Falle einer Mobilmachung gedacht wird.

Eine zweite militärunterstützende Funktion schon in "Friedenszeiten" ergibt sich indirekt durch die zunehmende arbeitsmarktpolitische Bedeutung von jährlich 70.000 Zivildienstleistenden. Über 60% der ZDL sind im Bereich der "Pflegehilfe" eingesetzt, während gleichzeitig ausgebildetes Pflegepersonal auf Grund der finanziellen Notlage im Sozialbereich auf der Straße steht. Hier ist von den Gewerkschaften unbemerkt ein 4. oder 5. Arbeitsmarkt entstanden, der sich an keinerlei tarifliche Vereinbarung zu orientieren hat. In bestimmten Einsatzstellen läuft ohne die ZDL nichts mehr. Damit befinden sich Kriegsdienstverweigerer in dem Dilemma, die durch den Rüstungsetat verursachten Löcher im sozialen Netz zu stopfen.

Aus einer solchen Kritik folgt für manche als einzig logische Konsequenz die grundsätzliche Ablehnung des Zivildienstes und die Kriegsdienstverweigerung. Eine Gegenstrategie hat aber auch zu beachten: Die Mehrzahl der Kriegsdienstverweigerer beginnen ihren Dienst motiviert und mit der Bereitschaft, "etwas Soziales" und einen "Dienst am Menschen" leisten zu wollen. In einer Gesellschaft, in der das Ausbildungsziel der Bundeswehr - das Töten erlernen - noch immer als normal empfunden wird, ist das eine nicht zu unterschätzende positive Wertentscheidung. Daß diese humane Grundposition in diesem Land, wo die Kanonen blühen, mißbraucht wird, erfahren die jungen Kriegsdienstverweigerer mit zunehmender Dienstdauer. Desillusioniert tritt an die Stelle der ehemals "menschlichen Ideale" Resignation und Zynismus.

Die Forderung der "Interessenverbände", diesen Konflikt rational oder politisch zu verarbeiten, wird von den 18jährigen in der präsentierten Form als Überforderung und im Ton als "arrogant" empfunden. Die oft sehr "wortradikalen" Rezepturen lassen wenig Spielraum für das Aufdecken und Entwickeln von widersprüchlichen Prozessen. Anstatt den positiven Wert des "sozialen Denkens" zu verstärken, z.B. mit einer eigenen positiven Idee eines alternativen Dienstes, und den Zorn auf die uniformierten Köpfe in Bonn zu lenken, engen die politischen Interessensverbände ihre Antworten auf die pure Negation ein und belächeln "abgeklärt'' den sozialen "Fimmel" der Betroffenen.

Die Debatte über die Entwicklung einer Politikfähigkeit, die den Menschen in seiner Gesamtheit und Widersprüchlichkeit . in den Mittelpunkt stellt, muß noch geführt werden. Vielleicht auf einem Folgetreffen anläßlich des 40.Jahrestages des Grundgesetzes

Eine Dokumentation des Kongresses ist über das Kongreßbüro, Vogelsbergstr. 17, 6000 Frankfurt 1, Tel. 069-49 80 394 zu beziehen.

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