Das Komitee für Grundrechte und Demokratie fragt nach der pazifistischen Orientierung

Ziviler Friedensdienst am Scheideweg

von Wolf-Dieter NarrRoland RothMartin Singe
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Vorstand und Arbeitsausschuß des Komitees für Grundrechte und Demokratie haben am 31.5.97 ausführlich über die Entwicklung Ziviler Friedensdienste beraten. Der folgende Text faßt die Ergebnisse der Diskussion zusammen.

Das Gespräch über die Einrichtung eines Zivilen Friedensdienstes verdichtet sich. Von vielen Seiten werden Vorstellungen artikuliert. Dabei gerät leicht aus dem Blick, daß die vorgeschlagenen Wege zu recht unterschiedlichen Zielen führen werden. Das Komitee für Grundrechte und Demokratie, die seit Beginn des Krieges im ehemaligen Jugoslawien einen intensiven zivilen Friedensdienst geleistet hat, wendet sich gegen eine mögliche Instrumentalisierung zugunsten herkömmlicher Macht- und Militärpolitik. Es fordert eine eindeutig pazifistische Orientierung des Projekts Ziviler Friedensdienst, das als ein Teil der exklusiven Alternative zu Militär und Krieg im Rahmen eines übergreifenden Konzeptes ziviler Konfliktbearbeitung verstanden wird.

1) Der Zusammenbruch des sowjetischen Imperiums und die dadurch ausgelöste Beendigung des Ost-West-Konfliktes ist nicht nur für die internationale Konstellation eine wichtige Zäsur, sondern auch für die Friedensbewegung. Die bipolare Welt der sich gegenseitig mit Weltuntergang bedrohenden Großmächte wandelte sich zu einer globalen unipolaren militärischen Machtstruktur unter Führung der USA, die gemeinsam mit den reichen Industrieländern (G7), die „Neue Weltordnung“ (NWO) durchsetzen und absichern wollen. Statt weltweiter Abrüstung wird eine Umrüstung organisiert, die dieser neuen Zielsetzung im militärischen Bereich entsprechen soll.

Demgegenüber forderte die Friedensbewegung in der Bundesrepublik Deutschland und in vielen anderen Ländern Europas konsequent abzurüsten. „Bundesrepublik ohne Armee“, „Europa ohne Armee“, so lauteten die Forderungen. Die Forderung nach Abrüstung allein blieb jedoch unbefriedigend, so lange die Friedensbewegung nicht sagen und demonstrieren konnte, wie sie denn Konflikten begegnen wolle, die bis zu Kriegen eskalieren konnten.
Für die Friedensbewegung hat sich so im Laufe weniger Jahre neben der Kritik von Rüstung und militärischer Formierung der Außenpolitik, der verschärften kapitalistisch bedingten Produktion von Ungleichheit und darin enthaltener Aggression die Entfaltung von Konzept und Ansätzen ziviler Konfliktbearbeitung als zweite große Aufgabe hinzugestellt. Der Kampf um die Weichenstellung hierzu ist die langfristige Perspektive für vielfältige Bemühungen. Der Anspruch ist, die Form der Konfliktbearbeitung zu transformieren, den militärischen Konfliktaustrag als eine zutiefst barbarische Form zugunsten ziviler Formen zu überwinden.

2) Die Diskussion über Gestaltung und Aufbau eines Zivilen Friedensdienstes als eines Instrumentes ziviler Konfliktbearbeitung ist für uns also unabdingbar mit der Orientierung auf die zivile Alternative verbunden. Nüchtern wissen wir selbstverständlich, daß die Orientierung auf und die Praxis der kriegerischen Konfliktzerschlagung, die neue kriegerische Konflikte heckt, auf nicht absehbare Zeit dominieren wird. Die mit kriegerischen Konfliktzerschlagungen und der dafür notwendigen dauernden Auf- und Umrüstung verbundenen Herrschafts- und Profitinteressen stecken gesellschaftlich viel zu tief. Nicht zuletzt ist quer durch die kriegerischen Jahrhunderte gelungen, allein die Kraft der meisten Bürgerinnen und Bürger zu blockieren, sich eine Welt voller Konflikte jedoch mit Formen strikt friedlicher Konfliktentspannung und Konfliktlösung auch nur vorzustellen. Diese Blockade der Phantasie gehört mit zum schlimmsten Erbe einer in diversen Kriegsstadien befindlichen Welt. Gerade darum ist es notwendig, daß Konzept und Ansätze friedlicher Konfliktbearbeitung nach ihrer eigenen pazifistischen Logik entwickeln werden. Ihre Vertreterinnen und Vertreter dürfen sich um der Friedenssache und der dafür neuen Denk- und Handlungsformen willen nicht auch nur in die irgend verwechselbare Nähe zu militärisch gerichteten Herrschaftswirklichkeiten begeben. Ansonsten können dieselben gerade aufgrund ihrer strikten Autonomie und ihres friedenspolitischen Eigensinns selbstredend frei und durchaus berührungsvoll agieren. Wird andersverfahren, besteht die Gefahr der Vereinnahmung schon im Erfolgsdenken, von der Selbstüberschätzung zu schweigen, als erdrückte David in den Armen des Goliath letzteren und würde nicht seinerseits erdrückt. Es sind und werden vor allem kleine Gruppen in der Gesellschaft sein, die um die zivile Konfliktbearbeitung pazifistisch entschieden kämpfen werden. Sie tun dies selbstverständlich mit gewaltfreien Mitteln und müssen sich dabei aller demokratischen Möglichkeiten bedienen.·Sie·werden sich gegen hierarchische Strukturen und autoritäre Verhaltensweisen wenden, welche aufgrund der bestehenden Machtverhältnisse eng mit staatlichen und wirtschaftlichen Strukturen verbunden sind. Wer zivile Konfliktbearbeitung propagiert, trifft auf den staatlich, militärisch kapitalistischen Komplex in seinem ganzen Umfang. Die nicht zuletzt militärisch oder polizeilich armierten Interessen, die diesen Komplex ausmachen, versuchen sich fort und fort neu und vorwärts zu legitimieren. Indern sie das Bewußtsein, die Ängste·und das Verhalten der Menschen, der Bürgerinnen und Bürger so trimmen und so beeinflussen, daß nach Staats- oder „Völkergemeinschafts“ Sicherheitsinteresse Mord zur legalen und hochmoralischen Arbeit der Bürger wird; daß massenmörderische Kriege und schon die kostenreichen Aufrüstungen zu Sachen der Gerechtigkeit, des Friedens und der Wohlfahrt stilisiert (transsubstantiiert) werden. Seitdem der Kalte Krieg eine andere Welt von Feinden nicht mehr frei Haus, serviert werden, entsprechend Neue Weltordnungen zu politisch wirksamen Fiktionen, wie sich versteht, vor allem von westlich kapitalistischen Ländern repräsentiert; werden Bombenabwürfe·als „humanitäre Interventionen“ geadelt und werden solche Interventionen der Umwelt und Menschenrechte willen als Szenarien vorgestellt, um künftige Kriege zu rechtfertigen. Es entsteht der „Mythos der humanitären Intervention“ oder auch des „gerechten Krieges“, und dies in einer Welt, in der die reichsten Länder sich weiter rüsten, damit die Ungleichheit unter den Menschen und zwischen den Ländern wachse und gedeihe.

(3) Mit diesen Bemerkungen deuten wir die Zusammenhänge und Ziele an, unter denen sich und auf die hin sich ein Ziviler Friedensdienst zu entfalten hat. Diese Sichtweise wird jedoch keineswegs von allen denjenigen geteilt, die sich für die Schaffung eines solchen Dienstes gegenwärtig einsetzen. Im Antrag der SPD Bundestagsfraktion „Ziviler Friedensdienst Expertendienst für zivile Friedensarbeit“ (Deutscher Bundestag, Drucksache 13/6204 v. 22.11.96) heißt es z.B. „Die traditionellen Instrumente der Friedenssicherung, die die internationale Staatengemeinschaft einsetzt, sollen daher ergänzt werden durch einen Zivilen Friedensdienst, einen Expertendienst für zivile Friedensarbeit. „Einige Zeilen später: „Der Zivile Friedensdienst ergänzt insofern die entwicklungspolitischen Instrumente.“

NRW-Ministerpräsident Johannes Rau sagte Iaut epd vom 15.4.1997 anläßlich der Eröffnung des von NW geförderten ersten Ausbildungskurses für zivile Konfliktbearbeitung, zivile Friedensdienste seien eine wichtige Ergänzung zum Einsatz der Bundeswehr im ehemaligen Jugoslawien. Nach der gleichen Quelle plädierte der evangelische Bischof von Berlin-Brandenburg, Wolfgang Huber, für ein friedenspolitisches Konzept, das auf den Säulen militärische Friedenssicherung und menschenrechtsorientierte Friedensarbeit aufbaue. Der katholische Bischof Hermann Josef Spital (Tier) äußerte sich in ähnlichem Sinne. Der Zivile Friedensdienst sei als Ergänzung der militärischen Friedenssicherung ein plausibles Konzept. Auch von militärischer Seite wird in diesem Sinne argumentiert. Publik-Forum aktuell „Frieden muß von unten wachsen“ zitiert den Kommandeur des Zentrums Innere Führung der Bundeswehr, Hans Christian Beck: „Beim Bemühen um Frieden muß die präventive und friedliche Lösung von Konflikten im Mittelpunkt stehen.“

Hier kommt dem Zusammenwirken von nicht-militärischen staatlichen und Nicht-Regierungsorganisationen eine hohe Bedeutung zu. Ohne professionelle zivile Experten ist diese Arbeit nicht zu leisten. Militärische Einsätze lösen keine Konflikte und schaffen keinen dauerhaften Frieden. Aber ich denke, sie können nötig werden, wenn andere friedliche Mittel der Streitbeilegung erschöpft sind.

Diese Zitate zeigen, daß manche Befürworter eines Zivilen Friedensdienstes eine ganz andere Sichtweise von dessen Einordnung und Aufgabe haben. Der Dienst wird nur als ein neues Instrumentarium des Umgangs mit Konflikten verstanden, so als handele es sich nur um Funktionsäquivalente zu den bisherigen diplomatischen und militärischen. Sieg oder Niederlage mit Ziviler Konfliktbearbeitung!? Damit ginge die neue Qualität dieser Konfliktbearbeitung verloren, die ja auf Aussöhnung und Wiederherstellung von Kooperation gerichtet sind. Zivile Konfliktbearbeitung wird nur als eine Ergänzung zu traditionellen Mitteln verstanden. Das Bild läßt sich verkürzt so beschreiben: Am Anfang der Eskalationsleiter von Konflikten sind zivile Mittel einzusetzen, während an ihrem Ende das „letzte Mittel“, nämlich die militärische Gewalt, zur Durchsetzung der angestrebten Ziele zu stehen hätte? Bei der Kriegsschadensbeseitigung wären dann wieder die Zivilen dran. Das Komitee wendet sich strikt gegen eine solche Integration der zivilen Konfliktbearbeitung und damit auch des Zivilen Friedensdienstes. Die militärische Logik als Repräsentantin des „letzten Mittels“ gäbe die Grundorientierung der gesamten Konfliktbearbeitung vor. Dadurch können die Grundprinzipen ziviler Konfliktbearbeitung nicht wirksam werden. Im Hintergrund jedes Dialogs und aller Versöhnungsarbeit stünde die Gewaltoption, das Ziel auch ohne Rücksicht auf den Dialogpartner durchsetzen zu wollen. Zivile Konfliktbearbeitung würde bestenfalls zu einer modernisierten, aber doch traditionellen Diplomatie, die zumindest von der Seite der überlegenen Mächte aus stets eine militärgestützte Politik betrieben hat. Wir wollen dieses Argument noch verschärfen: Trifft unsere oben dargelegte These von der Umrüstung der reichen Industriestaaten auf ein weltweites militärisches Eingreifsystem zur Durchsetzung der Globalisierungsinteressen in der „Neuen Weltordnung“ zu, läuft dann nicht ein Ziviler Friedensdienst Gefahr, zur Hilfskraft solcher Bestrebungen zu werden? Ein weiteres Argument schließt sich an. Ist erst einmal ein Ziviler Friedensdienst in das bestehende Arsenal der Instrument integriert, so wird er vielleicht noch um seine Position darin ringen, aber er wird seine Fähigkeit verlieren, den militärischen Konfliktaustrag grundsätzlich zu kritisieren und in Frage zu stellen. Der Kampf um eine Entmilitarisierung der Welt wäre schon verloren.

4) Vor dem Hintergrund des knapp Skizzierten, der riesigen Aufgaben und der ebenso riesigen Gefahren sind u.E. folgende Grenzmarkierungen der Orientierung und des Verhaltens aller, die sich für Zivile Friedensdienste im pazifistischen Sinn engagieren, unabdingbar. Wir wären all denjenigen, die diese Stellungnahme erreicht, die darüber diskutieren und denen es wie uns um die Zivilen Friedensdienste im Rahmen einer pazifistisch-menschenrechtlichen Gesamtorientierung und einer ihr entsprechenden Praxis u tun ist, sehr dankbar, wenn sie sich mit Zustimmung und Kritik äußern.

1. Zivile Friedensdienste, die ihren Namen verdienen, einzurichten und zu praktizieren, ist Ausdruck einer strikt pazifistischen Orientierung. Zivile Friedensdienste entsprechen konsequent nur ihrer friedenspolitischen Aufgabe, wenn sie autonom pazifistisch organisiert, lokalisiert, besetzt und kontrolliert werden.

2. Die Autonomie, zivile Friedensdienste zu organisieren und zu praktizieren, wird nur dann gewährleistet, wenn all die Organisation, die sich in der Bundesrepublik oder am Ort der Dienstleistung darum kümmern, weiterhin autark sind. Staatliche Gelder dürfen allenfalls einen Teil der Finanzierung der Friedensdienste ausmachen und nur akzeptiert werden, wenn sie ohne jede Auflage gegeben werden, so daß die jeweiligen friedensdienstlichen Aktionen in jeder Hinsicht von den zuständigen Gruppen bestimmt werden.

3. Die pazifistische Logik der zivilen Friedensdienste verlangt konsequent eine strikte Absage an jegliche militärische Logik und ihre Institutionen und Aktivitäten. Die Zivilen Friedensdienste dürfen nicht im Rahmen von Programmen erfolgen, die auch militärischen Zwecken dienen. Sie dürfen und können nur „einem Herren“ dienen, der pazifistischen Taube.

4. Zivile Friedensdienste dürfen nur in enger Absprache mit den Menschen vor Ort konzipiert und eingesetzt werden, für die sie geleistet werden sollen. Kooperation mit und Unterstützung von dort vorhandenen Arbeitsansätzen sind unabdingbar. Nur wenn eine örtlich zureichende Zustimmung vorliegt, die auch die Einzelheiten des Konzepts betrifft, dürfen zivile Friedensdienste eingerichtet werden. Es muß äußerst behutsam darauf geachtet werden- auch wenn eine solche Zustimmung vorliegt-, davon zivilen Friedensdienst Leistenden nicht eigenständige Prozesse am Ort in problematischer Stellvertreterpolitik gestört, irritiert oder verhindert werden.

5. Das Forum Ziviler Friedensdienst, dem das Komitee angehört, ist so zu konzipieren, daß es nicht selbst zur Trägerorganisation von zivilen Friedensdiensten wird. Das Forum ZFD hat primär wichtige konzeptionelle und Konzepte und Aktivitäten kritisch begleitende Funktionen. Um die Unabhängigkeit des Zivilen Friedensdienstes werden alle Pazifisten gewaltfrei zu kämpfen haben.
 

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Wolf-Dieter Narr ist Hochschullehrer, Mitbegründer und langjähriger Sprecher des Komitee für Grundrechte und Demokratie
Martin Singe ist Redakteur des FriedensForums und aktiv im Sprecher*innenteam der Kampagne "Büchel ist überall! atomwaffenfrei.jetzt".